Arnold Höllriegel: "Die Derwischtrommel. Das Leben des erwarteten Mahdi"
Ediert, mit Anmerkungen und einem Nachwort von Florian Krobb,
Die andere Bibliothek, Berlin 2018
333 Seiten, 42 Euro
Die letzte große Hoffnung des Islam
Auch fast 90 Jahre nach ihrem Erstveröffentlichung bietet die Romanbiografie des fanatischen Gotteskriegers Mohammed Achmed eine mitreißende Lektüre. Arnold Höllriegels Buch kommt ohne moralische Überheblichkeit und Herabwürdigung des Fremden aus.
Das Schreiben lag ihm im Blut, nicht weniger als das Reisen – Richard Arnold Bermann, 1883 in Wien geboren, zog es als Doktor der Romanistik nach Mailand, dann nach Berlin. 1913 unternahm er seine erste große Reportagereise nach Irland, ein Jahr später nach Indien. Während des Ersten Weltkriegs gelangte er als Korrespondent bis nach Konstantinopel, danach berichtete er von den Friedensverhandlungen in Saint Germain. Er fuhr quer durch Europa, nach Amerika und Afrika, wurde der meistgereiste Starjournalist seiner Zeit und bekannt unter dem Namen: Arnold Höllriegel.
Mitreißender Schwung
Seine Romanbiografie des fanatischen Gotteskriegers Mohammed Achmed "Die Derwischtrommel. Das Leben des erwarteten Mahdi" erschien 1931. Nun, fast neunzig Jahre später, ist sie wiederentdeckt und hat nichts von ihrem mitreißenden Schwung eingebüßt.
Mehr noch: die Neuveröffentlichung fällt in eine Zeit, in der religiöser Fundamentalismus und der Blick des Westens auf fremde Kulturen im Zentrum vielfältiger Auseinandersetzungen stehen. Beides thematisiert Höllriegel in seinem Buch bereits. Und zwar auf eine für damalige Verhältnisse höchst ungewöhnliche Weise – ohne Herabwürdigung des Fremden, ohne moralische Überheblichkeit.
Anführer einer religiösen Massenbewegung
Die Erfahrung des Ersten Weltkriegs in den Knochen und die gesellschaftlichen Krisen Europas im Kopf, begibt sich Höllriegel nach Ägypten und in den Sudan, um Vorort Schauplätze in Augenschein zu nehmen, von denen aus wenige Jahrzehnte zuvor eine religiöse Massenbewegung die Kolonialmächte in Schrecken versetzte. Er logiert in Khartum und beschließt: "Ich will das Leben des Derwischs schreiben, des Mahdi, des Nachfolgers des Propheten, des Mannes, der die letzte große Hoffnung des Islams gewesen ist."
Mohammed Achmed führte als Mahdi, als muslimischer Messias, Krieg gegen die Türken und ihre Schutzmacht Großbritannien. Ihm und seinen Kalifen gelang es über Jahre hinweg, weite Teile des Sudan unter ihre Kontrolle zu bringen. Und sie wollten mehr, träumten wild davon, unter dem Klang der Trommeln ihr schwarzes Banner bis nach Europa zu tragen.
Verständnis für Kultur und Wesensart
Höllriegel zeichnet den Derwisch dennoch nicht dämonisch, sondern ist um Verständnis für seine Motive, Kultur und Wesensart bemüht. Ihm gegenüber stellt er als Vertreter der europäisch-christlichen Zivilisation den Generalgouverneur des Sudan, Charles George Gordon. Die beiden sind sich in mancherlei Hinsicht nicht unähnlich. Höllriegel untergräbt damit die seinerzeit behauptete Differenz zwischen Westen und Wildnis, die Überlegenheit der weißen Rasse.
Über diese moderne Sicht hinaus besticht das Buch durch die rasante Schreibweise des Autors: Dialoge, Stimmenvielfalt, schnelle Wechsel der Schauplätze, kontrastierende Eindrücke, kurze, intensive Schlaglichter, reflexive Passagen, Tagebuchnotizen, innere Monologe der Figuren, spektakuläre Einzelszenen fügen sich so zusammen, dass die Lektüre zum Cinema-Scope-Erlebnis wird.