Arnold Stadler: "Rauschzeit"

Mausi und andere Wiederholungen

Ein Paar
Ein Paar © dpa / picture alliance / Klaus Rose
Von Jörg Magenau |
Stadler erzählt die Geschichte von Alain und Mausi. Die beiden sind um die Vierzig und ein Paar mit kleinen und großen Problemen. Doch richtig viel erfährt der Leser nicht über die beiden und ihre Sorgen, dafür umso mehr über die Selbstverliebtheit des Autors.
Als Tourette-Syndrom gelten nervöse Ticks, die sich in Zuckungen oder auch in sprachlichen Absonderlichkeiten äußern. Alain, männliche Hauptfigur in Arnold Stadlers neuem Roman "Rauschzeit", leidet an einem sprachlichen Tourette und wird nicht müde, das zu bekunden. Aber was heißt schon leiden: Vielmehr scheint er seinen Wiederholungszwang durchaus zu genießen, so dass man sich als Leser daran gewöhnen muss, immer wieder auf dieselben Worte, Witze, Wendungen zu stoßen. Eine Krankheit ist Tourette erst und nur deshalb, seit sie als solche definiert worden ist. Literarisch betrachtet aber führt dieses Verfahren unweigerlich zu Ermüdung und Überdruss. 548 Seiten Roman – und die wichtigsten, im Buch dann ausdauernd wiederholten Sätze stehen schon im Klappentext. "Was ist das Glück? Später weiß man es", lautet einer dieser Aphorismen, die sich dann im Dauerplay-Modus einfräßen. Oder dass "erinnern ein anderes Wort für vermissen" ist. Man hat es dann irgendwann verstanden.
Worum es geht, ist schnell gesagt: Alain und Mausi, beide um die Vierzig, beide Übersetzer und also sprachlich veranlagt, sind ein Paar, das in seine "vegetarische Zeit" eingetreten ist. Soll heißen, die fleischliche Leidenschaft ist erloschen, Sex ist etwas, was es früher mal gab, damals in der "Rauschzeit" der Freiburger Studentenjahre. Rauschzeit bezeichnet nicht nur die Brunft des Schwarzwildes, sondern ist auch der Nachname einer für ihre entspannte Sexualkraft bewunderte Freundin, deren überraschende Selbsttötung zu einem Wideraufleben alter Sehnsüchte bei Alain und Mausi führt. Denn sie sind ja noch gar nicht so alt, wie sie tun.

Die Geschichte der immer wieder auftauchenden Mausi

Dass eine weibliche Figur "Mausi" heißt, ist allerdings nur schwer erträglich. Wie soll man so jemanden und einen Autor, der das für unverzichtbar hält, ernst nehmen? Viel zu sagen hat Mausi auch gar nicht. Während Alain in Köln einen Kongress besucht und sich auf einer Bank am Rhein an seine Jugend erinnert und an seine erste Liebe zu Babette, die ihm hier in Köln plötzlich wieder erschien, nach zwanzig Jahren, begegnet Mausi in der Berliner Oper ein adonishafter Holländer, den sie von Stund an zu lieben entschlossen ist. Und so schleppt sich das dünne Geschehen in stetem Wechsel zwischen Mausi und Alain in synchronen Schleifen dahin. Wobei Alain so heißt, weil das so ähnlich klingt wie "allein". Das wird etwa 25 Mal mitgeteilt.
Dass Liebe "das Warten auf Liebe ist", hat man nach zehn Wiederholungen durchaus begriffen. Dass Alain grau geworden ist, weiß man allmählich auch. Der beim ersten Mal sehr schönen Formulierung, Erinnerung sei ein "Rückspiegelschmerz", ist man dann längst überdrüssig. Gegen Wiederholung als ästhetisches Prinzip wäre nichts zu sagen, wenn die Wiederaufnahme zu neuen Aufbrüchen und Veränderungen führen würde. Wenn sie aber bloß sprachliche Selbstverliebtheit ist, ein dauerndes Aufsagen des Immergleichen in quälender Redundanz und Langeweile, dann möchte man den Autor oder Alain mit seiner Suada und seinem Narzissmus lieber alleine lassen. "Der Wind ist eine Gewalt von nichts über etwas" – noch so ein Permanent-Satz, der den Roman aufbläst. Schreiben ist manchmal eine ziemlich zähe Gewalt von nichts über nichts, auch wenn es um die ganz großen Themen geht: das Glück, die Liebe, die Lust und das unaufhaltsame Verstreichen des Lebens. Vielleicht ist die Wiederholung dann auch bloß ein Verzweiflungsakt gegen die Vergänglichkeit. Ach du je.

Arnold Stadler: Rauschzeit
S. Fischer, Frankfurt/Main 2016, 548 Seiten, 26 Euro

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