Arnon Grünberg: "Besetzte Gebiete"

Durchs Schreiben die Welt verstehen

13:04 Minuten
Der niederländische Autor Arnon Grünberg.
Kann man seine eigene Überzeugung für die Liebe vernachlässigen? Dieser Frage geht Arnon Grünberg in "Besetzte Gebiete" nach. © picture alliance / dpa / Thilo Schmülgen
Arnon Grünberg im Gespräch mit Andrea Gerk |
Audio herunterladen
Die Geschichte in Arnon Grünbergs Roman "Besetzte Gebiete" beginnt mit einer medialen Vorverurteilung und den Folgen. Doch hintergründig spiele die Geschichte seiner eigenen Familie und das Weiterleben nach dem Holocaust eine Rolle, erzählt Grünberg.
In seinem neuen Roman "Besetzte Gebiete" erzählt der niederländische Autor Arnon Grünberg die Geschichte des Psychiaters Otto Kadoke weiter. Leser kennen Kadoke bereits aus Grünbergs letztem Buch "Muttermale".
Man könne das aktuelle Buch aber lesen, ohne Muttermale gelesen zu haben, sagt Grünberg. "Dieser Mann hat mich nicht losgelassen und so habe ich einfach angefangen, weiterzuschreiben."

Parallelen zu MeToo

Der Psychiater Otto Kadoke stellt in dem aktuellen Buch eine ehemalige Patientin als Pflegerin für seinen Vater ein. Die Pflegerin lernt einen Schriftsteller kennen, der aus ihrem Beschäftigungsverhältnis eine Missbrauchsgeschichte schreibt. Diese schlägt in den Medien anschließend große Wellen und Kadoke verliert seine Approbation.
Er habe dabei nicht konkret an MeToo gedacht, aber er habe schon den Eindruck gehabt, dass es dabei Verleumdungsfälle gegeben habe und das Publikum auch durch soziale Medien sehr schnell urteile und verurteile.
"Ich war fasziniert von einigen Männern, die ziemlich tief gefallen sind, und wo ich nicht immer sicher war, ob das so gerecht ist, ob man da nicht zu schnell geurteilt hat", so Grünberg.
Auch wenn es eine Schuld gebe, sei eine gerechte Strafe schwer zu finden. Das Publikum sei aber kein Richter und jeder müsse für sich nachdenken, bevor er einen anderen Menschen verurteile.

Man wird die Geschichte nicht los

Grünberg könne sich gut mit Kadoke identifizieren, erzählt er. "Er ist mir sympathisch. So wie er die Welt sieht, so wie er sich verhält, das kommt mir sehr bekannt vor." Doch er sei nicht Kadoke, das sei zu einfach, so Grünberg.
Kadoke verteidigt sich gegen die Missbrauchsvorwürfe und macht dadurch alles noch schlimmer. "Wenn sich die Öffentlichkeit einmal gegen einen Menschen gewendet hat, dann ist es sehr schwierig, sich da herauszukämpfen", meint Grünberg. Man werde so eine Geschichte nicht mehr los.
Kadoke verlässt deswegen auch die Niederlande und reist zu seiner Cousine, die in einer fundamental zionistischen Siedlung im Westjordanland lebt. Kadoke sei selbst Atheist und Antizionist, sagt Grünberg. Doch er verliebt sich schließlich in seine Cousine.
"Das hat mich sehr beschäftigt", sagt Grünberg, "ob man seine eigene Überzeugung für die Liebe vernachlässigen kann."

Fundamental zionistische Welt

Kadoke gibt sogar zu, diese Liebe sei auch eine Flucht aus der Verzweiflung. Er verschweigt seine Überzeugung in Bezug auf Religion und Zionismus. Die spannende Frage war, ob sich das hinsichtlich der Liebe moralisch vertreten lässt und auch, ob es gelingt.
Grünberg kennt diese fundamental zionistische Welt sehr gut. Seine eigene Schwester lebe in einer solchen Siedlung im Westjordanland und er habe schon lange mal über die Welt seiner Schwester schreiben wollen.
Bei Besuchen dort habe er oft nicht gewusst, wie er sich – auch gegenüber den Ansichten seiner Schwester - verhalten solle. Er sei für dieses Buch deshalb zur Recherche dort hingereist.

Zwei schwierige Wochen

"Es war ein interessantes Experiment, ich liebe meine Schwester, aber über gewisse Dinge kann man dann doch einfach nicht reden." Es sei nicht so einfach gewesen, zwei Wochen miteinander zu leben, wenn man so unterschiedliche Ansichten habe.
"Ich bin ein neugieriger Mensch und für mich ist Schreiben auch der Versuch, die Welt besser zu verstehen", sagt Grünberg. Deshalb finde er es wichtig, sich zu fragen, wie andere Menschen leben und was sie denken. Das sei besonders dann wichtig, wenn sie so anders leben, als man selber. Man müsse sich ihnen nähern.

Arnon Grünberg: "Besetzte Gebiete"
Kiepenheuer und Witsch, Köln 2021
432 Seiten, 24 Euro

Mehr zum Thema