Arnulf Conradi: "Zen und die Kunst der Vogelbeobachtung"
Verlag Antje Kunstmann, München 2019
240 Seiten, 20 Euro
Im Vogelflug die Welt verstehen
05:27 Minuten
Sprachlich mühelos verflechtet Arnulf Conradi in "Zen und die Kunst der Vogelbeobachtung" ornithologisches Fachwissen, Philosophie und Zen-Buddhismus miteinander. Der Gründer des Berlin Verlags greift dabei auf seine eigenen Beobachtungen zurück.
Als dramatischer Stoßtaucher stürzt sich der Basstölpel aus 40 Metern Höhe hinunter ins Meer. Wenn er die Wasseroberfläche durchsticht, fängt sein speerspitzer Schnabel einen Teil des gewaltigen Aufpralls ab – dann entschwindet der Jäger den Blicken.
Das Sichtbare und das Verborgene, gespannte Aufmerksamkeit und Offenheit ohne Erwartungen, die überraschende Anmut und die erschütternde Härte der Natur, gespiegelt im Bewusstsein des Menschen – das sind Grundthemen des neuen Buches "Zen und die Kunst der Vogelbeobachtung" von Arnulf Conradi. Der Titel nimmt Bezug auf mindestens zwei berühmte literarische Vorgänger, "Zen in der Kunst des Bogenschießens" und "Zen und die Kunst ein Motorrad zu warten".
Streifgänge durch die Natur
Auf die eine oder andere Weise geht es in jedem dieser Bücher und auch bei Arnulf Conradi um die Frage, inwieweit sich der beobachtende Mensch der Welt als ein Anderer gegenüberstellen kann. Und inwieweit er verschmelzen und eins werden muss mit dem, was er erlauscht und erspürt, um es zu begreifen.
Seit seiner Kindheit streift der Autor in jeder freien Minute durch die Natur, mit Hund an der Seite, in den Händen ein Fernglas, und sucht die Nähe der Vögel. "Die Seen", "Die Stadt", "Der Fluss", "In den Bergen" heißen die Kapitel in seinem Buch.
Geografisch spannt Arnulf Conradi den Bogen weit über den Globus und stellt dabei seine ganz persönlichen Vogelbegegnungen in den Vordergrund, von denen er viele auch im heimischen Berliner Grunewald und in der brandenburgischen Uckermark macht. Der Autor schreibt über den mächtigen Albatros, der bei einer Reise unvermittelt über seinem Schiff auf dem Südatlantik auftaucht, erzählt von der federleicht dahingleitenden Brandseeschwalbe bei Sylt und schwärmt vom Rotmilan an einem Seitenfluss der Peene.
Sachwissen gemischt mit Philosophie
Der Gründer des Berlin Verlags und frühere Cheflektor und Programmleiter beim S. Fischer Verlag weiß auch fachlich, wovon er schreibt: 2009 gab er in der Anderen Bibliothek "Die Vögel Mitteleuropas" heraus, das große Kompendium des wohl bedeutendsten deutschen Ornithologen: Johann Friedrich Naumann.
Sprachlich so mühelos wie die Luftkapriolen der Vögel mischt der Autor aufregendes ornithologisches Sachwissen mit Ausflügen in die Literatur und Philosophie. Erst unverbunden, dann immer inniger mit dem Vogelthema verflochten wandert der Zen-Buddhismus in das Buch, in dem Naturimpressionen eine wichtige Rolle spielen.
Ganze Landschaften aufs Papier gebracht
Das wortlos konzentrierte Aufgehen in den Tiefenschichten der Welt und des eigenen, diese Welt in sich tragenden Bewusstseins bilden so etwas wie die Basis des Buddhismus. Vor allem die japanischen Zen-Poeten haben das in wunderschöne Kalligrafien und Sprüche gefasst.
So tupft der berühmte Matsuo Basho im 17. Jahrhundert in nur wenigen Worten ganze Landschaften und komplexe Stimmungslagen aufs Papier: "In diesem Herbst, wie schwindet das Jahr dahin, Wolke und Vogel." Zeit und Zeitlosigkeit, Himmel und dieses vergängliche Leben, symbolisiert im Vogelflug, werden eins in den Betrachtungen der Dichter.