Leistungsschau der digitalen Kunst
Die "Ars Electronica" in Linz hat sich zu einem unüberschaubaren Treffen von Computer-Nerds, Wissenschaftlern und Künstlern entwickelt. Auch Wissenschaftler sind dabei. Unser Reporter hat neben Baum-Poesie und einer Techno-Koch-Session auch Handfestes für den Alltag gefunden.
Im Angebotsdickicht des 'Ars Electronica Festivals' zwischen Konferenz, Happening und Leistungsschau versteckt sich die Masterarbeit von Ann-Katrin Krenz. Sie hat Visuelle Kommunikation in Berlin studiert. Ein sechseckiger Rahmen aus Aluminium umspannt einen Baum und fährt mittels Rädern aus dem Modellbau den Stamm auf und ab. Ein kleiner Fräskopf wie beim Zahnarzt schreibt Muster in die Rinde. Tatsächlich hat Ann-Katrin Krenz ein romantisches Gedicht von Joseph Eichendorff gewählt und nur die Wortlänge "codiert" und in den Baum gefräst. Der Titel: Abschied.
"Die dritte Strophe ist wunderschön, weil sie sowohl philosophisch, als auch wörtlich passt. Es heißt "da steht im Wald geschrieben" und ich schreibe tatsächlich in den Wald. Weiter unten sieht man dann die Worte "schlicht und wahr" und es sind tatsächlich schlichte Worte. Es ist eben codiert, so 'ne Art Morsezeichen."
In Berlin stehen mittlerweile wohl einige Bäume mit diesem Gedicht-Muster. Die exakten, waagerechten Linien fallen auf, ein Verliebter mit dem Taschenmesser war das sicher nicht!
"Ich wollte die digitale Ästhetik erreichen um dann eben so'n Artefakt der Technik am Ende noch zu haben, wenn das Gerät eben nicht mehr am Baum ist und der Baum dann quasi im Wald weiterwächst. Und dann verwächst eben dieses künstliche Artefakt mit dem natürlichen Baum und dann wird's wieder eins vielleicht."
Zu Ann-Katrin Krenz' "Parasitic/ Symbiotic" gehört auch ein Theorieteil zum Naturbegriff. Krenz sagt, sie sei da im Definieren steckengeblieben und trotzdem: von der Ars Electronica hat sie einen "Award of Distinction - Interactive Art" erhalten. So tief hat sich in Linz sonst kaum jemand mit Natur beschäftigt.
Jedes brutzelnde Ei wird verstärkt
Am späten Abend steht Navid Navab auf der Bühne. Hunderte Leute drängen sich in der dunklen Gleishalle und beobachten den Kanadier, der sich wie ein Zeremonienmeister, DJ und Koch zugleich verhält. Vor ihm ein Tisch mit Küchenutensilien, darüber eine Kamera, deren Bild auf eine Leinwand projiziert wird.
Jedes Raspeln von Gemüse, jeder Schnitt ins Fleisch, jedes brutzelnde Ei in der Pfanne wird tausendfach verstärkt und von elektronischen Sounds unterstützt. Das Publikum ist paralysiert.
Neben verkopfter, aber doch greifbarer 'Kunst am Baum' und der Techno-Event-Cooking-Performance ist auch für 100- Prozentige Nützlichkeit gesorgt!
Schuhsohlen mit Drucksensoren für Prothesenträger
Der Zusammenschluss von Studenten der Kunstakademie Berlin-Weißensee, einem Prothesen-Hersteller und einer Entwicklerwerkstatt trägt den Namen "Artificial Skins and Bones". Oft hört man den Ratschlag, "auf den eigenen Körper zu hören". Nur was tun, wenn einem zum Beispiel ein Bein fehlt? Agnes Rosengren aus Schweden und der Deutsch-Chilene Bernardo Aviles-Busch haben sich genau das zur Aufgabe gemacht: Auf den eigenen Körper hören können, wo sonst nur noch Phantomschmerzen sind. Etwa eine Schuhsohleneinlage für Prothesenträger mit Drucksensoren und Chips. Sie gibt dem Nutzer Feedback:
"Das Programm bemerkt, ob man den Fuß zu sehr vorne oder hinten belastet, oder ob man gar schief geht. Auch der Rhythmus, die Gleichmäßigkeit der Schritte wird überprüft und ob sich der gerade aus bewegt und nicht zu sehr zur Seite schwingt."
Das Programm "Audio Gait" der beiden 24-Jährigen ist ein akustischer Physiotherapeut, den man immer an seiner Seite haben kann. Agnes Rosengren: "Am Anfang dachten wir auch darüber nach, Störsounds reinzumachen. Allerdings ham wir da immer den Vergleich, dass man keinen Physiotherapeuten haben will, der einen anschreit, sondern der ganz lieb zu Dir sagt: 'Hey, Du machst irgendwas falsch - mach‘s anders.'"
Es läuft die Playlist vom Smartphone und sobald man ein wenig schief geht, verschiebt sich der Sound mehr aufs linke oder mehr aufs rechte Ohr. Bernardo Aviles-Busch: "Wenn man viel Musik hört und seine Lieblingsstücke jeden Morgen auf dem Weg zur Arbeit hört, dann weiß man ja auch, wie sie klingen. Das heißt, dass man auch sofort merken würde, was man falsch tut. Wenn man lernt, was man falsch tut, wär' das glaub ich eine ziemlich meditative Art, um wieder gehen zu lernen, oder motiviert zu werden, wieder anzufangen zu laufen."
Bernardo Aviles-Busch und Agnes Rosengren haben zusammen mit den anderen Projekten von "Artificial Skins and Bones" einen der beiden Starts-Preise erhalten. Eine mit 20.000 Euro dotierte Auszeichnung der Europäischen Union, die in diesem Jahr zum ersten Mal verliehen wurde.
Interaktive Blume war 1968 nur für Kinder attraktiv
Bei der Ars Electronica gab es auch einen Preis fürs Lebenswerk: Die Britin Jasia Reichardt hat den "Visionary Pioneers of Media Art"-Award erhalten. Seit den 1960ern hat sie Ausstellungen mit Kunst, Technik und Medien kuratiert. Ein Leben mit Installationen, Robotertheorien und elektronischer Musik. Sie erzählt von einer interaktiven Blume, die sich zum Betrachter beugt, wenn dieser singt. 1968 wollten sich nur Kinder darauf einlassen. Heute sieht das ganz anders aus. Die Interaktivität hat mit den Smartphones so sehr in das allgemeine Leben Einzug gehalten, dass sich keiner mehr blöd vorkommt. Jasia Reichardt weiß, wo alles hinführt:
"Die Zeit vergeht heute viel schneller. Ich erwarte, dass in ein, zwei Jahren hier Arbeiten von Robotern stehen. Nicht von Künstlern, die Computer benutzen, sondern Kunstwerke von den Computern selbst! Und Künstler und Publikum werden staunend daneben stehen."
Bis dahin kehren Junge und längst Erwachsene den Spieltrieb nach Außen und fliegen Drohnenrennen. Eine Mischung aus Ben Hur und Star Wars für die 2010er Jahre.