Rettende Aromen
Nur in den frühen Morgenstunden duftet sie: die Cattleya luteola. © picture alliance / blickwinkel / C. Stenner
Den Duft bedrohter Pflanzen verewigen
06:50 Minuten
Zahlreiche Blumen sind vom Aussterben bedroht – und damit auch ihre Düfte. Das Artenschutzprojekt The Red List Project arbeitet mit der Parfümindustrie zusammen, um die Aromen zu bewahren – und Geld für ihre Schutzprojekte zu generieren.
Die Sonne brennt erbarmungslos auf Jamaika. Doch Vanessa Handley hat eine Mission. Die Botanikerin aus San Francisco will einmal die vom Aussterben bedrohte Portlandia platantha in der Wildnis sehen: eine Pflanze mit schneeweißen trompetenförmigen Blüten.
Kollegen des jamaikanischen Naturkundemuseums führen sie an einen der wenigen Orte, wo sie – außerhalb von Botanischen Gärten – noch wächst. „Wir haben uns durch dichtes Unterholz in einem trockenen tropischen Urwald gekämpft“, erzählt Handley. „Es war sehr heiß und wir kletterten viele steile steinige Abhänge hinauf. Am Ende des Tages sahen wir eine klitzekleine Ansammlung von Portlandia-Pflanzen. Ohne unsere Kollegen hätten wir sie nie gefunden. Es gibt nur noch sehr wenige Exemplare, und sie sind schwierig zu erreichen.“
Vanessa Handley arbeitet für das Red List Project. Die Organisation betreibt und fördert botanische Projekte in 13 Ländern und will Pflanzen, die auf der Roten Liste vom Aussterben bedrohter Arten stehen, retten – wie die Portlandia platantha.
Nicht ernten, nur schnuppern
Das Besondere: Das Red List Project arbeitet dafür direkt mit der Parfümindustrie zusammen, gibt Hinweise auf besondere Pflanzen und führt die Duftexperten auch schon mal zu den seltenen Exemplaren. Die sollen die exotischen Aromen dann rekonstruieren und vermarkten. Ein Teil der Einnahmen fließt zurück in den Pflanzenschutz – durch das Red List Project.
„Die Portlandia duftet sehr stark, so ähnlich wie die als Jasminrosen bekannten Gardenien. Während diese aber sehr scharf riechen können, hat Portlandia eine ausgeprägte Vanillepräsenz“, erklärt Parfümeur Spyros Drosopoulos aus Amsterdam. Mit seinem Unternehmen Baruti hat er – in Zusammenarbeit mit den Pflanzenschützern – den Geruch der Portlandia-Blüte nachgestellt und zu einem Raumspray weiterverarbeitet. Denn geerntet werden dürfen die bedrohten Arten natürlich nicht.
Künstliche Rekonstruktion des Duftes
Da hilft nur: Die Mixtur selber erschnuppern – oder die Head-Space-Analyse anwenden. „Die duftenden Pflanzenteile werden dafür von einer Plastiktüte umschlossen, ohne die Blüte zu beschädigen“, erklärt die Botanikerin Vanessa Handley. „Die flüchtigen Bestandteile reichern sich dann in der Tüte an und werden von saugfähigem Material absorbiert. Das wird dann im Labor analysiert.“ Mit einem Gas-Chromatografen: Der zerlegt Gasgemische, wie die konservierten Gerüche, in chemische Verbindungen – als grobe Anleitung für die Rekonstruktion mit anderen natürlichen und synthetischen Essenzen.
Allerdings sei es nie möglich eine hundertprozentige 1:1-Rekonstitution zu entwickeln, sagt der Schweizer Riechstoffchemiker Roman Kaiser. „Man muss sich auf die wichtigsten Komponenten beschränken. Das sind vielleicht 40 bis 50.“
Expedition mit dem Heißluftballon
Kaiser hat die Headspace-Methode seit den 70er-Jahren perfektioniert und in seinem Berufsleben 400 Pflanzendüfte als Essenzen nachgebaut. In einem lenkbaren Heißluftballon suchte Kaiser an schwer zugänglichen Stellen nach seltenen Blüten. Im oberen Amazonastal ließ er sich zum Beispiel vom erfrischend blumigen, leicht holzigen Duft einer gelben Orchideenart betören: „Cattleya luteola ist in der Literatur als duftlos beschrieben. Wenn man sie aber ein bisschen genauer untersucht, kann man feststellen, dass sie in den frühen Morgenstunden einen deutlich wahrnehmbaren grün-blumigen Luft abgibt.“
Denn gegen 5:30 Uhr werden die Pflanzen – für nur jeweils 15 Minuten – von einer dämmerlichtaktiven Bienenart besucht und bestäubt. Roman Kaiser war damals für den Duftstoffhersteller Givaudan unterwegs. Die Parfumindustrie sucht seit jeher nach neuen, ungewöhnlichen Düften.
Aufmerksamkeit generieren
Auch Spyros Drosopoulos von Baruti, der mit dem Red List Project zusammenarbeitet, hofft mit den speziellen Düften bedrohter Pflanzenarten erfolgreich zu sein. „Wir hoffen natürlich, dass es für die bedrohten Pflanzen noch nicht zu spät ist“, sagt er. „Deshalb generieren wir Aufmerksamkeit und Gelder für Pflanzenschutzprojekte. Falls wir versagen, so haben wir wenigstens den Geruch archiviert.“
In Nordsizilien ist Drosopoulos auch die Hänge des Monte Pizzuta hinaufgekraxelt – südöstlich von Palermo – mit Mitarbeitern des Red List Projects. Hier hat er den Duft des seltenen Veilchens Viola ucriana analysiert – mit seiner Nase – und ebenfalls ein Raumspray daraus kreiert.
Parfüm bringt Geld für Schutzprojekt
Verkauft werden 500 ml für 68 Euro. 50 Prozent der Einnahmen gehen ans Red List Project, das damit auch botanische Projekte fördert. „Magnolienprojekte auf den großen Antillen unterstützen wir beispielsweise mit Geld: In gemeinschaftlich organisierten Baumschulen ziehen Einheimische kleine Magnolienpflänzchen, die in den umliegenden Wäldern zu schönen und charismatischen Bäumen heranwachsen. So soll eine neue Population der gefährdeten Spezies entstehen“, merkt Naturschutzbiologin Vanessa Handley an.
Es sei aber immer noch viel schwerer Geld für bedrohte Pflanzenarten zu einzusammeln als für Tiere. Vermutlich weil sie keine Augen haben – scherzt Handley – und kein kuscheliges Fell.