Kino, das immer globaler wird
Ein Beziehungsminenfeld, ein hedonistischer Widerstandskämpfer und ein über-grimassierender Schauspieler: Die Arthouse-Charts der Woche.
"Wie viel Zeit haben wir denn noch? Zwei Wochen bis zum Roten Teppich. Oder? - Das Festival nimmt den Film wegen der Stars. Die kennen nur 10 Minuten davon. Ein Anruf vom Studio. Und der Film ist raus."
Platz 5 - NUR EINE STUNDE RUHE von Patrice Leconte
"Sieh mal, was ich gefunden habe"
"Können wir kurz reden, bevor du die auflegst? - Häh?"
Die Rede ist von dem Jazz-Album von 1956, das der Pariser Anwalt beim Trödler gefunden hat. Das Chaos, das sich in diesem Beziehungsminenfeld aus Geliebter, Ehefrau, renitentem erwachsenem Sohn, polnischen Handwerker, der sich als Portugiese erweist, und spanischer Putzfrau entspinnt um den immer scheiternden Versuch Michels, die alte Platte zu hören, dieses Chaos wirkt ungeheuer geordnet gemäß der Regeln einer Erzähldramaturgie, die am Ende alles wie am Schnürchen abspult. Präzise Konstruktion, keine Seele.
Platz 4 - ELSER von Oliver Hirschbiegel
Das Eindrucksvolle an Oliver Hirschbiegel Film über den Hitler-Attentäter Georg Elser ist diese Lebendigkeit, diese Lebensfreude, dieser Hedonismus, mit der Hirschbiegel seine - historische - Figur ausstattet. Elser wird am Ende von den Nazis ermordet. Doch da ist nichts vom Statuarischen, Helden- oder Ikonenhaften, das die Widerstandskämpfer Sophie Scholl - Julia Jentsch - oder Graf Stauffenberg - Tom Cruise - in den Filmen von Marc Rothemund oder Bryan Singer haben. Christian Friedel wirkt ungeheuer lebendig als dieser Hedonist Georg Elser. Und damit ist diese Figur ein durchgängiger Kontrapunkt zur Vernichtungslogik der Nazi-Ideologie. ELSER ist ein Film über Humanität.
Platz 3 - BEST EXOTIC MARIGOLD HOTEL 2 von John Madden
Man sollte nicht vergessen: Die einprozentige Umsatzsteigerung an den Kinokassen im Jahr 2014 ist vor allem den asiatischen Kinogängern zu verdanken. Was bedeutet, dass das Kino immer globaler zu werden hat, um die unterschiedlichen Marktpotentiale zu bedienen. Wenn chinesische Stars in einem Hollywood-Blockbuster zweite Hauptrollen spielen - wie jüngst in Michael Manns BLACKHAT -, dann steckt dahinter die gleiche Marktbestückungslogik wie in der BEST-EXOTIC-MARIGOLD-HOTEL-Reihe: Nimm britische Stars wie Maggie Smith, Judi Dench oder Bill Nighy und packe sie in eine Geschichte über reiche Leute, die ihr Altersdomizil in einem indischen Luxushotel errichten, packe dazu den heißesten Blockbuster-Inder, den auch das westliche Publikum kennt - Dev Patel -, versüße das Ganze mit Bollywood-Elementen, und vielleicht gucken dann ja auch ein paar von den 1,2 Milliarden Indern zu.
"Ist sie von Dir programmiert worden, mit mir zu flirten?"
Platz 2 - EX MACHINA von Alex Garland
"Würdest Du das als Betrug betrachten? - Du nicht?"
Wie all die Science-Fiction-Geschichten, die von der Nähe zwischen Mensch und Maschine erzählen, handelt auch der wunderbare Film EX MACHINA - formal und inhaltlich von großer Klarheit wie Strenge - von der Hybris des Menschen.
"Eine Maschine zu konstruieren, die ein Bewusstsein hat, ist nicht eine Geschichte der Menschheit, es ist die Geschichte von Göttern."
Mann schöpft eine Maschinenfrau, eine Künstliche Intelligenz, eine KI. Ein kontrollierbares sexuelles Wesen, faszinierend, obwohl nur eine Bits&Bytes-Puppe, umhüllt mit Metall, Silikon und Carbon. Aber es gehört zu den unverbrüchlichen Bestandteilen des Science-Fiction-Genres, dass die geschaffenen Wesen der Kontrolle ihrer Schöpfer entgleiten. Auch in Alex Garlands Film EX MACHINA funktioniert der Reset-Knopf nicht mehr, Ava, die KI-Frau, rebelliert. Und vielleicht steckt ja im Zynismus der männlichen Schöpfer-Figur Nathan nichts als verzweifelte Melancholie:
"Hast du Mitleid mit Ava? Hab Mitleid mit dir selbst, Mann. Irgendwann sehen uns die KI's rückblickend genauso wie wie irgendwelche fossilen Skelette in der Wüste von Afrika sehen."
"Fünf Riesen! Wir kriegen 5000 Dollar."
Platz 1 - BIG EYES von Tim Burton
"Und was ist mit Ehrlichkeit? - Ach Himmel, auf den Bildern steht Keane. Ich bin Keane, du bist Keane. Von jetzt an sind wir ein und dasselbe."
In dieser Geschichte über den Möchtegern-Maler, der seine Frau, die Bilder mit traurigen Kindern mit großen Augen malt, jahrzehntelang über den Tisch zieht, spielt Amy Adams sehr schön. Das wirkliche Jammerspiel an dieser Kunst- und Mediensatire ist aber, dass Christoph Waltz mit seinem inzwischen tendenziell unerträglichen Grimassieren immer überspielt. Spätestens seit 2009 und dem Oscar-Gewinn für seine Rolle in Tarantinos INGLOURIOUS BASTERDS bedient sich Waltz penetrant der gleichen - extrem erfolgreichen - schauspielerischen Mittel. Aber getretener Quark wird breit, nicht stark! Und ausgetretener breiter Quark ist ungenießbar.