Asal Dardan: "Betrachtungen einer Barbarin"
Hoffmann und Campe, Hamburg 2021
192 Seiten, 22 Euro
Zwischen Identität und Zuschreibung
05:32 Minuten
Asal Dardan zeigt in "Betrachtungen einer Barbarin", wie sich in Vorurteilen gesellschaftliche Machtstrukturen manifestieren. Stark sind die Essays dort, wo die Autorin Fragen stellt und Widersprüche aufzeigt. Schwach, wo sie moralisiert.
Als Kind, schreibt Asal Dardan, sei sie die perfekte Kleinbürgerin gewesen. Während sie in Köln in einer tristen Hochhauswohnung saß, träumte sie von einem Einfamilienhaus mit Garten und Garage, wo abends eine Katze um die Beine schleicht und man am Wochenende gemeinsam Scrabble spielt. Nicht weniger sehnsuchtsvoll war ihr Bild von der Elternwelt. Aus den iranischen Popsongs, die in der Wohnung liefen, baute sie sich ein Fantasie-Teheran voller lebensfreudiger Menschen, "urban, dreckig, laut und chaotisch".
Doch die Bruchlinien zwischen Imagination und Lebensalltag und vor allem die Risse innerhalb der eigenen Empfindungen waren schon früh zu spüren. Und sie fanden Ausdruck in der immer gleichen Frage nach der vermeintlichen Herkunft, manchmal gar nicht ausgesprochen, sondern wahrnehmbar im Blick, in einer Geste oder als Ton, der in den Sätzen der anderen mitschwang.
Emphatisches Bewusstsein für Uneindeutigkeit
"Die Herrschenden merken nicht, dass ihre Welt nur einer partikularen, situierten Wahrheit entspricht (so wie ein Weißer sich nicht seines Weißseins und ein Heterosexueller sich nicht seiner Heterosexualität bewusst ist)", schreibt Didier Eribon in "Rückkehr nach Reims". Es ist diese gesellschaftlich bedingte Blindheit für die eigenen Vorannahmen und Vorurteile, die auch Dardan umtreibt. In den Vorurteilen manifestieren sich zugleich Machtstrukturen, die dem System eingeschrieben sind, ein "hegemonialer Blick", dem das Gegenüber ausgesetzt ist, bis hin zu Aggression und Gewalt. Allen Vorstellungen von Kohärenz und Einklang hält Dardan in ihren Essays ein emphatisches Bewusstsein für Uneindeutigkeit und Verflechtung entgegen.
Ihr Vater arbeitete unter dem Schah für den iranischen Geheimdienst, nach der Revolution flüchtete die Familie nach Deutschland. Asal Dardan war damals ein Jahr alt, ihre Exilerfahrung, betont sie immer wieder, sei also sehr speziell: "Ich selbst habe kein Zuhause verloren, dennoch fällt es mir schwer, mich zugehörig zu fühlen." Irgendwann erzieht die Mutter die Tochter allein, beide wohnen in Bonn. Später geht die Tochter aufs Internat, macht nach dem Abitur ein Volontariat bei CNN in Atlanta.
Fremdheit und Nähe
Man erfährt diese biografischen Details allesamt in Form von Splittern, die in die unterschiedlichen Essays eingestreut sind. Das erzählt schon etwas über Dardans Schreiben. Assoziativ und sympathisch direkt verknüpft sie Beobachtungen und Reflexionen, taucht in Erinnerungen ein oder entwickelt aus Zitaten heraus (von Hannah Arendt etwa oder Edward Said) ihre Gedanken über Fremdheit und Nähe, Identität und Zuschreibung, über Ausgrenzung und Aggression.
Dabei durchdringen sich Erinnerungserzählung und gesellschaftliche Analyse auf wundersame Art und Weise. Da beschreibt sie die Landschaft und das Haus auf der schwedischen Insel Öland, wo sie eine Weile mit ihrer Familie lebte, und untersucht zugleich die Bedingungen von Fremd- und Zuhausesein. Andernorts gibt es ein eindringliches Stück über die NSU-Morde und die katastrophalen Verhältnisse während der Ermittlungen, das zu einer Fallstudie über rassistische Strukturen in der Gesellschaft wird.
An den besten Stellen verbinden sich die einzelnen Elemente nahezu organisch. Dardan hat aber auch die Neigung, zu moralisieren und immer wieder Appelle in ihre Essays einzubauen, die in einem eher vereinnahmenden "Wir müssen"-Ton gehalten sind, den sie ansonsten kritisiert. Viel stärker ist sie dort, wo sie Fragen stellt und Widersprüche aufzeigt. Von solchen Passagen gibt es nicht wenige in diesem anregenden, offenen, aufklärerischen Buch.