Gas aus Aserbaidschan
Die Präsidentin der EU-Kommission Ursula von der Leyen (l.) und der aserbaidschanische Präsident Ilham Aliyev bei der Vertragsunterzeichnung: Die Gaslieferungen nach Europa sollen sich stark erhöhen. © IMAGO / Xinhua
Die EU und der Autokrat
28:06 Minuten
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat kürzlich in Baku eine Verdopplung der Gasimporte vereinbart. Zwar wird Aserbeidschan seit fast 30 Jahren von der Familie Aliyev autokratisch regiert – soll aber nun Exporte aus Russland ersetzen.
„Russia benutzt Energie als Waffe und falls Russland die Gaslieferungen komplett beendet oder verringert, muss Europa bereit sein.“ EU-Kommissionspräsidentin Ursuala von der Leyen spricht in diesen Tagen viel über das Energiesparen und neue „zuverlässige“ Energielieferanten als Alternative zu russischem Öl und Gas.
In Aserbaidschan ist sie fündig geworden und hat vor einigen Tagen ein Abkommen unterzeichnet über die Verdopplung der Gaslieferungen. Aserbaidschans Präsident Ilham Aliyev nennt das den „Fahrplan für die Zukunft“ und festigt so auch weiter seine Macht.
Er regiert das Zehn-Millionen-Land am Kaspischen Meer seit fast 20 Jahren. Davor war sein Vater Präsident – bis zu seinem Tod im Jahr 2003.
Kommt eine zweite Pipeline nach Italien?
Aus der Hauptstadt Baku kann man bei guter Sicht in der Ferne auf dem Meer die Öl- und Gasbohrinseln erkennen. Seit Dezember 2020 liefert Aserbaidschan von hier aus bereits Gas nach Süditalien: Über die South Caucasus Pipeline, von Baku bis in der Türkei, die von den beiden Teilstücken TANAP (Trans-Anatolian-Pipeline) und TAP (Trans-Adria-Pipeline) ergänzt wird.
Aber die Kapazität ist vergleichsweise klein. Das erfordert vermutlich eine neue Pipeline, wenn ab dem Jahr 2027 statt der bisher acht Milliarden Kubikmeter Gas künftig 20 Milliarden Kubikmeter Gas fließen sollen.
Die EU-Staaten fragen auch bei anderen Staaten nach: in Ägypten, Angola, Senegal, Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten.
Fossiler Energielieferant mit Tradition
Aber Aserbaidschan hat schlichtweg sehr große Ressourcen und viel Erfahrung: Die gewaltigen Mengen an Öl und Gas in Aserbaidschan sind seit Jahrhunderten bekannt.
Anfang des 20. Jahrhunderts befanden sich rund um Baku die größten Erdölfelder der Welt. Auch eine der ersten Pipelines führte von Aserbaidschan durch den Kaukasus zum Schwarzen Meer – geplant von den schwedischen Nobel-Brüdern: Robert und Ludvig.
Zu Sowjetzeiten war aserbaidschanisches Öl ein Treiber für die Industrialisierung der UdSSR. Als auf dem Land die Ölquellen versiegten, wurde das Kaspische Meer untersucht. Aber die Sowjets hatten nicht die passende Bohrtechnik.
Der Jahrhundertvertrag von 1994
Nach der Unabhängigkeit 1991 kamen ausländische Investoren aus den USA und Europa.
Am 20.September 1994 schloss Präsident Heydar Aliyev, der vorher im höchsten Gremium der Sowjetunion war – dem Politbüro der Kommunistischen Partei, mit 13 großen Energiekonzernen aus acht Ländern den sogenannten Jahrhundertvertrag, den ersten Vertrag über eine langfristige Zusammenarbeit.
Dieser Schritt war entscheidend für die kommenden Monate und Jahre. Denn mit der Aussicht auf eine von Moskau unabhängige Energieversorgung konnte sich auch die Politik auf neue Wege begeben.
1998 besiegelten die Vertragspartner mit der Ankara Declaration den Bau einer Pipeline von Baku nach Tiflis in Georgien und zum türkischen Mittelmeerhafen Ceyhan – unter Beteiligung von Energiekonzernen aus Europa und den USA. Im Jahr 2006 floss das erste Öl durch diese Pipeline.
Aserbaidschan liefert nach Russland und in die EU
Aserbaidschan liefert aber auch an die Nachbarstaaten: Türkei, Georgien, Iran und vor allem nach Russland. Dorthin gibt es mehrere Pipelines. Aserbaidschan will diese Verbindungen nicht abreißen lassen, aber gleichzeitig die lukrative Kundschaft in der EU erschließen.
So ist es der Plan von Präsident Ilham Aliyev, der nach offiziellen Angaben regelmäßig mehr als 80 Prozent der Wählerstimmen holt. Seit 2003 ist er im Amt, eine nennenswerte Opposition gibt es nicht.
Auf der Rangliste der Pressefreiheit von Reporter ohne Grenzen steht Aserbaidschan auf Platz 154 von 180 Ländern – beim Ranking für Demokratie sieht es ähnlich schlecht aus. Trotzdem sind offenbar viele Menschen im Land dankbar für einen wachsenden Wohlstand.
Erneuter Krieg in Bergkarabach
Auch die Armee von Aserbaidschan wird mithilfe der Türkei stark aufgerüstet. Das zeigte sich im Jahr 2020, als Präsident Aliyev armenische Stellungen und Siedlungen im umstrittenen Gebiet Bergkarabach angreifen ließ und in der Folge einige Orte eroberte.
Völkerrechtlich gehörten diese Gebiete Aserbaidschan, bewohnt wurden sie mehrheitlich von Armeniern. Tausende Soldaten und Zivilisten verloren in diesem Krieg ihr Leben.