"Assassin's Creed Syndicate"

Spielend durch die Weltgeschichte

Szene aus dem Computerspiel "Assassin's Creed Syndicate".
Szene aus dem Computerspiel "Assassin's Creed Syndicate". © dpa / picture alliance / assassinscreed.ubi.com
Von Tobias Nowak |
Das erfolgreiche Computerspiel "Assassin's Creed Syndicate" ist im London des 19. Jahrhunderts angesiedelt. Es bietet gute Unterhaltung - und prägt ganz nebenbei auch das Geschichtsbild der Nutzer. Doch stimmt eigentlich, was wir dort sehen?
"London 1868. Zentrum der industrialisierten Welt. Profit sorgt für Fortschritt, während die Arbeiter nie schlafen. Sklaverei wird nicht nur durch Eisen und Ketten gebracht, sondern durch unseren ganz persönlichen Überlebenskampf. Es ist Zeit, das zu ändern."
Seit 2007 meucheln sich die Spieler der Videospiel-Reihe "Assassin's Creed" durch die Jahrhunderte. Jedes Jahr kommt mindestens einer dieser Blockbuster-Titel aus dem Hause Ubisoft auf den Markt und entführt die Spieler in historische Szenarien, um dort eine Geschichte zu erleben, die − mal mehr, mal weniger gelungen − in die Grauzonen der Geschichtsschreibung eingepasst ist. Vor einem Jahr war das Paris der französischen Revolution der Ort, an dem man in Geschichte eintauchen und vielen historischen Figuren begegnen konnte.
In die Nachbildung der historischen Spielorte fließt große geschichtswissenschaftliche Sorgfalt ein, allerdings darf man nicht vergessen: Hier sollen populäre Unterhaltungsmedien entstehen; das Spiel soll sich verkaufen. Der didaktische Anspruch – falls es einen gibt − steht hinter dem kommerziellen zurück.
Tatsächlich gibt es aus Sicht der Geschichtswissenschaft durchaus Kritikpunkte an den "Assassin's Creed"-Spielen. Professor David Andress von der Portsmouth University in England war zwar auch begeistert von der Akkuratesse, mit der Paris rekonstruiert ist, bemängelt aber andere Punkte, wie zum Beispiel den Straßenverkehr zu Zeiten der Französischen Revolution: Der ist im Paris aus "Assassin's Creed" viel zu harmlos dargestellt, denn es sind ausschließlich Fußgänger auf den Straßen zu sehen:
"Während des ganzen 18. Jahrhunderts beklagten sich die Menschen beständig, dass Kutschen ohne Rücksicht auf Passanten durch die Straßen fuhren. Die Polizeiberichte während der Revolution waren voll mit Anzeigen wegen Streit mit Taxifahrern, die berüchtigt waren für ihre Unhöflichkeit und Grobheit. Das mag auch heute noch manchmal so sein, aber diese Typen saßen auf hohen Kutschen und hatten lange Peitschen in der Hand."
Aus Sicht der Spieldesigner ist verständlich, warum man diesen Verkehr im Spiel vermeiden wollte: Der Kampf durch die Straßen hätte es für Spieler sehr viel schwerer gemacht, dem eigentlichen Meuchelmörder-Auftrag zu folgen.
Wie Geschichtsvermittlung durch Spiele funktioniert
Professorin Angela Schwarz von der Uni Siegen widmet sich seit Jahren der Frage, wie Geschichtsvermittlung durch Spiele funktioniert, was sie transportiert und wie man sie nutzen kann. Denn die Geschichtsbilder vieler junger Menschen heutzutage sind geprägt von solchen Spielen, ob die Geschichtslehre diese nun gut findet oder nicht:
"Wenn man jetzt mit dem Maßstab kommt: 'Ist das historisch korrekt oder nicht?', dann ist das nicht die entscheidende Frage für das Spiel. Sondern wird bei einem Spielenden die Frage ausgelöst: 'Jetzt möchte ich mal wissen, ob das historisch korrekt ist?', und er sucht dann weiter."
Ob und wann dieser Impuls bei Spielenden ausgelöst wird, ist schwer zu beantworten, vor allem, da es neben der Historie ja auch noch eine actionlastige Story gibt.
Nun, im Herbst 2015, präsentiert Ubisoft mit "Assassin's Creed Syndicate" das – wenn man die Ableger nicht mitzählt − neunte Spiel der Reihe. 75 Jahre nach der Französischen Revolution ist man als Assassine diesmal im London der Industriellen Revolution unterwegs.
Wieder ist viel Sorgfalt in die Rekonstruktion dieser ersten modernen Metropole der Welt geflossen. Aber wie treffend werden London und die Epoche dargestellt? Professor Robert Whitaker ist als Historiker spezialisiert auf Großbritannien im 19. Jahrhundert. Er konnte das Spiel schon vor der Veröffentlichung testen und die digitalen Persönlichkeiten der Zeit kennenlernen, beispielsweise Charles Dickens, Florence Nightingale, Queen Victoria oder Charles Darwin, dessen Streit mit seinem größten Kritiker, Richard Owen, sehr treffend beschrieben wird.
Karl Marx kann den Historiker nicht überzeugen
"Man erlebt den Streit zwischen Darwin und Richard Owen, einem der größten Kritiker von Darwins Werk 'Über die Entstehung der Arten'. Das Spiel beschreibt ganz gut den Krieg der Worte, der in den 1860ern zwischen den beiden tobte."
Aber nicht alle historischen Personen sind so gut getroffen:
"Die Beschreibung von Karl Marx ist eine Enttäuschung. Laut Spiel beginnt er 1868 'Das Kapital' zu schreiben..."
...tatsächlich wurde der erste Band 1867 veröffentlicht...
"...und in der spieleigenen Datenbank wird als sein größtes Vermächtnis bezeichnet, dass er Millionen junger Männer heutzutage zu langen Bärten und Lifestyle-Kaffee inspirierte. Das Spiel behandelt Karl Marx und sein Erbe herablassend."
Wieder wird nur die weitergehende Beschäftigung mit dem Thema den interessierten Spielerinnen und Spielern die Ungenauigkeiten offenbaren. Aber wie überzeugt die eigentliche Hauptrolle aller "Assassin's Creed"-Spiele, die Stadt?
"Die Darstellung dieser Städte ist unglaublich, sie sind aufsehenerregend. Und die Enttäuschungen, die ich ständig erwähne, fühlen sich dagegen wie Nörgelei an."
Neben sehr unterschiedlichen Stadtvierteln Londons glänzen natürlich die berühmten Landmarken, St. Pauls Cathedral, Buckingham Palace, der Big Ben oder das Parlament. Und alle kann man auf typische Assassinen-Art besichtigen:
"Auf die Nelson-Säule auf dem Trafalgar Square zu klettern, war mir ein ganz besonderes Vergnügen."
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