Astrid Séville: Der Sound der Macht. Eine Kritik der dissonanten Herrschaft
C.H. Beck, München 2018
192 Seiten, 14,95 Euro
Populistisch statt alternativlos
Sprachverfall in der deutschen Politik: Braucht es eine neue demokratische Streitkultur? Astrid Séville fordert in "Der Sound der Macht" genau das.
Den "Sound der Macht" will die Münchner Politikwissenschaftlerin Astrid Séville in ihrem neuen Buch ergründen, das zugleich eine "Kritik der dissonanten Herrschaft" liefern will. Was sie auf der politischen Bühne hört, klingt nicht gut: "abgedroschene Floskeln", "unglaubwürdig gewordene Mantras", "rationalistische Sprachmuster", "toxische Phrasen". Anstatt politische Kontroversen offen auszutragen, wehrten die Spitzenpolitiker jede echte Auseinandersetzung über alternative Gesellschaftsentwürfe ab – und nicht nur das: "Sie sagen uns nicht, was auf dem Spiel steht."
Merkels "Politik der Schonung"
An erster Stelle dieser rhetorischen Verfälschung steht für Séville die verbreitete Rede von der Alternativlosigkeit. Einst ein Kennzeichen der britischen Premierministerin Margaret Thatcher, gehöre die Behauptung, dass der von ihr eingeschlagene Weg alternativlos sei, nun zum ausgewiesenen Politikstil Angela Merkels – mit dem Unterschied, dass Merkel sich damit nicht als Überzeugungstäterin und resolute Politikerin inszeniere, sondern eine "Politik der Schonung" vorantreibe. Wo eine Debatte notwendig wäre, in der alle Stimmen gehört werden, würden Sachzwänge geltend gemacht.
Das beobachtet Séville zum Beispiel in der Euro-Rettungspolitik. Austerität sei das proklamierte Ideal der deutschen Regierung gewesen, die Einschwörung auf die Währungsunion als einer "Schicksalsgemeinschaft" Merkels Mittel. Die Folge: Deutsche Wähler seien gegen die europäischen Partnerländer aufgebracht worden, die nun als lasterhaft und faul galten, während eine Kritik am Euro nahezu unmöglich geworden sei, ohne der europafeindlichen, rechtspopulistischen Agitation bezichtigt zu werden.
"Vulgärdemokratische Sounds" in islamfeindlichen Positionen
Séville erkennt in diesem Politikstil in Anlehnung an Jürgen Habermas einen "Sog der Technokratie", der unter den Bürgern Verstimmungen hervorrufe, mithin zu einer "dissonanten Herrschaft" führe. Dissonanzen liest sie an der populistischen Gegensprache ab, die eine solche "Entpolitisierung von Problemen" hervorgebracht habe. Der "begnadeten Technokratin" Angela Merkel, die in sprachlicher Hinsicht offenbar alles verkörpert, was Séville ablehnt, gibt die Autorin eine Mitschuld nicht nur am Erstarken der AfD, sondern auch am Aufstieg der europafeindlichen Gruppierungen.
Fällt dieses Merkel-Bashing oft ermüdend einseitig aus, dient auch das Kapitel zur europäischen Finanzpolitik weniger neuen Erkenntnissen als der Bestätigung der eigenen Urteile Sévilles. Sehr viel besser gelungen ist demgegenüber ihre Analyse des "vulgärdemokratischen Sounds", der nach ihrer Beobachtung längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen ist und sich etwa in islamfeindlichen Positionen äußert: "Die Hemmschwelle ist merklich gesunken." Diese "eindeutige Rechtsverschiebung des politischen Diskurses" beschreibt Séville als "diskursive Privilegierung der Unterprivilegierten". Sie erkennt darin zugleich eine Chance zur Wiederbelebung der politischen Gegenwartssprache, die sich, herausgefordert durch die Parolen der Populisten, endlich ihrer überkommenen Floskeln entledigen könnte.
Scharfe Beobachtungen in zu lockerem Stil
Séville ist eine scharfe Beobachterin der politischen Kommunikation und besticht, wenngleich sie dem Leser ein wenig zu oft die Welt erklären will, mit ihrer Diskursanalyse von Spitzenpolitikern und deren rechtspopulistischen Gegnern. Noch überzeugender wäre ihr Buch aber gewesen, wenn es auf den gewollt lockeren Stil und die erzählerische Ich-Perspektive verzichtet hätte.
Das Buch sollte offenbar, auch weil es einige Thesen aus ihrer Dissertation aufgreift, nicht zu wissenschaftlich klingen. Doch die Übersetzung in eine vermeintlich populäre Sprache gelingt Séville nicht immer. Hier schwächt ihr eigener "Sound" die Wirkung ihrer guten Ideen ein wenig ab.