"Es gibt für uns keinen Planeten B"
Er kann den Quark im Atomkern erklären und auch, wie der Hass im Menschen entsteht: Harald Lesch redet in 15-minütigen TV-Vorträgen über komplizierte Zusammenhänge. Bei der Physik spielt für ihn immer die Philosophie mit.
Physik sei lange Zeit experimentelle Philosophie gewesen, sagt Lesch: "Das heißt, die Fragen, die wir heute in der Physik richtig messen und berechnen können mit unseren Theorien, das waren früher philosophische Fragen: Wie hat das Universum angefangen, wie kommt überhaupt irgendwas Neues in die Welt? Das sind alles ur-philosophische Fragestellungen mit denen die Philosophie sogar begonnen hat, und man muss sich dann tatsächlich fragen, wie wäre denn unsere Welt, wenn unsere Theorien über sie wahr wären."
Ein Brief von der Nasa
Schon als Zehnjähriger war Lesch so fasziniert vom Weltraum, dass er eine Bewerbung an die Nasa abschickte. Das Antwortschreiben aus dem Jahr 1970 hängt jetzt an der Wand seines Arbeitszimmers. Lesch gilt als Deutschlands populärster Welterklärer: im Fernsehen, in Büchern und als Professor für Physik an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Als Astrophysiker beschäftigt er sich mit dem Urknall, der Entstehung der Erde. Am meisten interessiere ihn aber, ob die Menschen im Universum allein seien. Ein schwieriges Forschungsfeld, denn allein die Abstände im Universum seien unmenschlich:
"Wenn wir mit den heutigen Technologien zum nächsten Stern fliegen wollten, der vier Lichtjahre entfernt ist, dann wäre dieses Gerät über 50.000 Jahre unterwegs." Diese Entfernungen verwiesen aber auch auf unsere Verantwortung, denn man könne sich nicht auf den Gedanken zurückziehen, "es gäbe noch einen Planeten B, dem man sich dann vielleicht, nachdem man den eigenen verhunzt hat, zuwendet."
Besonders die digitale Welt zeige, wie gierig wir auf das Neue sind und "dass wir dabei vergessen, dass unsere Lebensbedingungen sehr, sehr lange Vorbereitungszeit brauchen, sehr alt sind, und dass wir auch sehr alt sind, ein Produkt der Evolution, und wenn wir da so weiter machen, werden wir einfach wieder verschwinden."
Unser ökologischer Fußabdruck
2016 veröffentlichte er zusammen mit Klaus Kamphausen das Buch "Die Menschheit schafft sich ab – Die Erde im Griff des Anthropozän". Die letzten Generationen hätten sich fast ausschließlich damit beschäftigt, Grenzen zu überwinden, ist Lesch überzeugt. Dabei sei der ökologische Fußabdruck der Europäer wesentlich größer als der eines Kleinbauern in Afrika mit zehn Kindern. "Das heißt, wir sind gerade auch dabei, so eine Art neuen Kolonialismus zu vollziehen, weil die industriell weit entwickelten Länder verbrauchen viel, viel mehr Ressourcen von diesem Planeten als alle anderen Menschen."
Lesch appelliert an die Vernunft der Menschen: "Ich bin ein totaler Sachfreak", sagt er über sich selber. Er räumt aber gleichzeitig ein, nicht alles in der Welt könne wissenschaftlich erklärt werden: "Es gibt gewisse Erfahrungen, die empirische Wissenschaft nicht machen kann. Das verweist darauf, dass es eben nicht möglich ist, mit empirischer Wissenschaft die gesamte Welt zu durchdringen. Und gerade diese inneren Welten von uns, die machen uns ja als Lebewesen sehr stark aus."
Die Sonnenwind-Wechselwirkung
Als Sohn eines Gastwirts im hessischen Mücke war Harald Lesch sein Weg in den Olymp der Wissenschaften nicht in die Wiege gelegt. Auch als er mit 24 Jahren sein Physik-Diplomstudium mit einer Arbeit abschloss, die er "Sonnenwind-Wechselwirkung mit dem interstellaren Medium" nannte, konnte niemand ahnen, dass er einmal zu Deutschlands populärsten Welterklärern gehören würde.