Behörden legen "freiwillige Rückkehr" nahe
Im Vorfeld der geplanten Verschärfung des Asylrechts ab 1. November wird zunehmend härter zwischen Flüchtlingen mit und ohne Bleibeperspektive unterschieden. Anke Petermann hat sich angeschaut, wie Hessen und Rheinland-Pfalz mit Flüchtlingen verfahren, die kein Asyl genießen.
"Gut – so sieht das super aus, ja."
Die Ingelheimer Frauenärztin Susanne Pfeifer schaut sich die Operationsnarbe ihrer Patientin genau an und tastet sie sorgfältig ab.
"Also. die linke Brust ist schön weich. Die tut eher weh, ja, ja, ja. Dass da noch da und dort eine Verhärtung ist, ist völlig normal."
Nicht besorgniserregend nach einer Operation, bei der gutartige Geschwulste entfernt wurden.
"Jeder Patientin würde man maximal noch was Schmerzstillendes, Entzündungshemmendes aufschreiben."
Aber Nertina Muharemi ist nicht eine von vielen Patientinnen, bei denen es nur darum geht, ob sie einen Tag früher oder später wieder arbeiten gehen. Die Albanerin lebt mir ihrem Mann und der neunjährigen Tochter seit einem Vierteljahr in der Ingelheimer Erstaufnahme für Asylsuchende. Ihr Gesuch wurde abgelehnt, der erwachsene Sohn schon nach Albanien abgeschoben. Ob und für wie lange die Ingelheimer Ärztin der 39jährigen aus Tirana ein Attest gibt, entscheidet daher auch über das Schicksal von Mann und Tochter. So jedenfalls sehen die Muharemis das. Eine schlimme Nachricht also, dass die OP-Wunde bestens verheilt ist. Ein Attest, fragt Shyqyri Gubetini, der Dolmetscher vom Deutschen Roten Kreuz. Die Ärztin schüttelt energisch den Kopf und antwortet:
"Nee. Das geht wirklich nicht, da mach ich mich strafbar, ja. So, ich kann jetzt nichts mehr für Sie tun."
Das Haus der Roma-Familie wurde abgerissen
"Die werden abgeschoben", murmelt Gubetini. Der Kosovo-Albaner unterstützt die Muharemis auch ehrenamtlich, weil er sie für diskriminiert hält. In Tirana ließen die Behörden das Haus der Roma-Familie für den Bau einer Straße abreißen. Sie versprachen eine fünfstellige Entschädigung, wollen nun aber nur eine vierstellige Summe zahlen, so dass die Familie kein neues Eigentum erwerben kann.
Als Mieter aber sind Roma in Albanien unerwünscht, eine Wohnung werden die Muharemis kaum finden. Der Familienvater hält eine zerschlissene Discounter-Plastiktüte mit Dokumenten hoch – seiner Ansicht nach Belege für Menschenrechtsverletzungen, die Asyl in Deutschland begründen müssten. Das hat er bei sogenannten Ausreisegesprächen mehrfach betont:
"Ich habe denen gesagt, dass ich in meinem Land diskriminiert bin als Roma"
Und er hat gesagt, dass er nicht klein beigeben und sich zurückschicken lassen werde. Dennoch hat Bujar Muharemi soeben eine Erklärung unterschrieben. Die Familie werde freiwillig ausreisen, wenn es kein Attest gebe. Dabei hatten die Muharemis schon einen Rechtsanwalt gefunden, der sich an die Härtefallkommission des rheinland-pfälzischen Landtags wenden wollte. Und auf Honorar weitgehend verzichtete. Shygyri Gubetini hatte das eingefädelt. Und kann nicht fassen, was Bujar Muharemi ihm draußen vor der Arztpraxis beiläufig mitteilt, nämlich, er habe da so ein Formular unterzeichnet.
Vollzug des Asylverfahrensgesetzes
Das Ehepaar erklärt: Wir sind bereit, freiwillig nach Albanien zurückzukehren. Wir möchten nicht abgeschoben werden. Wir werden versuchen, (...) ein Attest vorzulegen, ansonsten kehren wir freiwillig zurück."
Shyqyri Gubetini starrt ungläubig auf das Papier. Sein ganzer Einsatz und die ganze Arbeit des Rechtsanwalts – vergeblich. Nertina Muharemi erklärt:
"Sie sagt jetzt, dass eine Frau verweigert hat, die freiwillige Erklärung zu unterschreiben. Der wurden dann die Tickets ins Zimmer gebracht und dann mit Gewalt abgeschoben."
Flugtickets für die Abschiebung oder sogenannte "freiwillige" Rückkehr unter dem Druck drohender Abschiebung, das sind die Alternativen für mehr als 99 Prozent der Asylsuchenden aus den Westbalkanländern. Das rot-grün regierte Rheinland-Pfalz macht sich für die "freiwillige" Rückkehr stark. Freiwilligkeit unter Androhung von Zwang? Die grüne Integrationsstaatssekretärin Margit Gottstein beschreibt den Spagat.
"Unser Interesse ist, gerade als Integrationsministerium, was ja für die Thematik zuständig ist, Abschiebungen möglichst zu verhindern. Wir setzten hier aber Recht und Gesetzt durch. Das heißt, Abschiebungen sind am Ende eine Ultima Ratio. Aber wir versuchen, dafür nehmen wir auch Geld in die Hand, alles daran zu setzen, dass die Menschen die Möglichkeit haben zu verstehen, was passiert mit ihrem Asylantrag, mit ihrem abgelehnten Asylantrag, dass dann ein Beratungsgespräch durchgeführt wird und dass sie erklärt bekommen, dass sie freiwillig das Land verlassen können."
Aufforderung zu Ausreise-Gesprächen
Warum sie so nachdrücklich zu Ausreise-Gesprächen aufgefordert werden, noch bevor ihnen selbst eine Entscheidung schwarz auf weiß vorliegt, versteht jedoch kaum ein Angesprochener. Das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge informiert die Ausländerbehörden vorab, dass ein Asylantrag voraussichtlich abgelehnt wird. Warum dann schon der Ausreiseberater auf ein erstes Gespräch über eine Rückkehr drängt? Um die kurze Frist zum freiwilligen Gehen auszunutzen, begründet die grüne Integrationsstaatssekretärin. Margit Gottstein war früher selbst mal Flüchtlingsberaterin.
"Und ich halte es für sinnvoll, wenn die Ausländerbehörde von diesem Zeitpunkt an Gespräche mit den Betroffenen führt und nicht noch eine Woche ins Land verstreichen lässt, gegebenenfalls noch eine Verteilung in eine Kommune ermöglicht, die dann dazu führt, dass die Menschen sich inhaltlich darauf einstellen, ‚ich schicke jetzt mein Kind in die Schule, ich versuche mich hier zu integrieren, es ist ja alles gut‘, und dann kommt drei Wochen später die endgültige Entscheidung, die Rückführung und gegebenenfalls sogar die Abschiebung."
Bis Ende August kehrten fast 2800 Asylbewerber aus Rheinland-Pfalz in ihre Heimatländer zurück - 91 Prozent kamen aus Albanien, Serbien oder dem Kosovo. Die meisten entschlossen sich zu einer "freiwilligen" Rückkehr, zum Teil bekamen sie einen Zuschuss zu den Reisekosten. In einem Zehntel der Fälle wurden die Betroffenen abgeschoben, das heißt polizeilich begleitet ausgeflogen. Die hohen Kosten dafür werden ihnen in Rechnung gestellt, können aber in der Regel nicht eingetrieben werden. Vorbildliche Quoten "freiwilliger Rückkehr" im rot-grün regierten Rheinland-Pfalz? Die CDU-Opposition zeigt sich unbeeindruckt. Sie verweist auf die Differenz zwischen den Achttausend, die in den vergangenen anderthalb Jahren aus Westbalkan-Ländern ins Land kamen, und den Dreitausend, die dorthin zurückkehrten. Fünftausend also sind geblieben - weil ihre Anträge noch nicht bearbeitet wurden, weil sie aus gesundheitlichen Gründen geduldet werden oder weil es bei der zuständigen Bundespolizei einen Abschiebestau aufgrund akuten Personal- und Nachwuchsmangels gibt. Den erkennt jedenfalls die Gewerkschaft der Polizei. Beim Besuch des Bundeskriminalamtes in Wiesbaden kommentiert Bundesinnenminister Thomas de Maiziere von der CDU:
"Wir werden die Zahl derer, die diese sehr schwierige und sensible Arbeit machen – die Zahl werden wir erhöhen, und Nachwuchsprobleme gibt es dabei nicht."
Bundesinnenminister spricht von "Nachholbedarf"
In den ersten Monaten des Jahres seien schon mehr Menschen abgeschoben worden als im ganzen Jahr 2014, betont der Bundesinnenminister und spricht von Nachholbedarf – bundesweit. In Mainz macht CDU-Fraktionschefin Julia Klöckner dafür allein das ihrer Ansicht nach zögerliche Agieren der rot-grünen Landesregierung verantwortlich. Schon der Ressort-Zuschnitt sei falsch: in Hessen setze das CDU-geführte Innenressort Rückführungen beherzt durch. In Rheinland-Pfalz scheue die grüne Integrationsministerin harte Botschaften:
"Wenn nämlich das Ministerium, das für Aufnahme wirbt, dann auch für Abschiebung zuständig ist, dann wird lange Zeit nichts getan, dann gibt es Rundschreiben an Kommunale, dass sie mit Abschiebungen warten sollen, und das ist sicherlich nicht gut."
Die Zuständigkeit für Willkommen und Abschiebung in einem Ressort zu bündeln, kann das von vorn herein nicht funktionieren? Letztendlich bleibt es den kommunalen Ausländerbehörden vorbehalten, wie zügig sie Ausreisetermine festsetzen - in Abhängigkeit auch von den Kapazitäten der Polizei und der Flughäfen. Die großen Airports der Republik seien schon am Limit, meldet die Gewerkschaft der Polizei. Hessen aber hat einen so gut wie ungenutzten Regionalflughafen im Norden des Landes. In Frankfurt und München ist die Kombination von gewaltsamer Abschiebung und Passagierverkehr heikel, im verkehrsarmen Kassel-Calden können dagegen ganze Maschinen für je hundert "Rückzuführende" gechartert werden. Freie Slots? In Calden kein Problem, mehrere Abschiebe-Flüge starten hier wöchentlich, Journalisten – unerwünscht, wie im Rest der Republik auch. Janine Wissler, Fraktionschefin der hessischen Linken, sieht die neue Funktion von Kassel-Calden kritisch.
"Einen Flughafen, den man gebaut hat, den keiner braucht, jetzt zu einem Abschiebe-Flughafen zu machen, finde ich einfach zynisch und eine unfassbare Idee dieser Landesregierung."
Linke kritisiert "fehlgeleitete Abschottungspolitik"
In den Augen der Linken steht eine fehlgeleitete Abschottungspolitik dahinter. Darauf hätten sich mittlerweile alle Parteien verpflichtet, auch die Grünen in den Ländern.
"Das krasseste Beispiel ist, dass die hessische Landesregierung im vergangen Jahr eigens ein Flugzeug gechartert hat, um drei eritreische Flüchtlinge nach Italien abzuschieben. Das hat die SteuerzahlerInnen 20.000 Euro gekostet. Und da kann man sich mal überlegen, wie lange diese drei Menschen von dem Geld hätten in Deutschland leben können. Das heißt: Für Abschiebung und Abschottung wird ja auch Geld ausgegeben, statt den Menschen hier ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen."
"’Wirtschaftsflüchtlinge’ abschieben" wird an vielen Stammtischen gefordert. Doch seit in den neunziger Jahren zwei Menschen bei gewaltsamen Abschiebungen zu Tode kamen, sind Polizei, Piloten und Politik vorsichtiger geworden. Abschiebebeobachter von Menschenrechtsorganisationen wissen, dass Rückführungen alle Beteiligten psychisch belasten, auch wenn kein körperlicher Zwang ausgeübt werden muss. Am schlimmsten ist es für Menschen, die lange geduldet wurden, vielleicht weil sie nicht in ein Kriegsgebiet zurückgeschickt werden konnten. Am allerschlimmsten ist es für die Kinder, weiß Uli Sextro, Flüchtlingsreferent der evangelischen Diakonie. Er arbeitete lange als Abschiebebeobachter am Frankfurter Flughafen.
"Und (ich) habe dort immer wieder junge Menschen, Kinder, gesehen, die völlig apathisch waren und Polizisten und sonstige Leute angesprochen haben: ‚Wo sind meine Freunde, warum kann ich nicht mehr in die Schule gehen, wo schickt ihr mich hin? Ich bin doch in Deutschland, ich bin ein Deutscher‘."
Das Schicksal eines 23jährigen bosnischen Serben
Vor mehr als zehn Jahren war der 23jährige bosnische Serbe Denis Hasic eines dieser verzweifelten Kinder, das mit seinen Eltern, ehemaligen Jugoslawien-Kriegsflüchtlingen, zurück musste in eine Heimat, die nicht seine war.
"Ja, ich hab’ da 12 Jahre gelebt in Deutschland, da in Budenheim, wo Mainz ist. Mein erstes Wort war auf Deutsch. Ich hatte in Deutschland gute Freunde, gute Lehrer, gute Nachbarn."
Unter dem Druck bevorstehender Abschiebung musste die Familie 2004 innerhalb von einer Woche nach Serbien ausreisen. Dort fühlte sich der damals 12-Jährige als Deutscher diskriminiert, verlacht für seine mangelnden Serbisch-Kenntnisse, seinen deutschen Akzent und seine Denkweise.
"Die deutsche Mentalität und die Kultur – das kannst du nicht vergessen. Ich hab’s versucht mit Tabletten. Ich hab’s nicht geschafft. Ich hab’ da kein Leben. Und ich bin da krank geworden. Depressionen, Muskelschmerzen, einfach nur krank geworden."
Im Sommer 2015 macht sich Hasic auf den Weg in seine echte Heimat, stellt in Trier einen Asylantrag. Eine paar Wochen lang lebt er im Bitburger Flüchtlingscamp. Dort lernt er eine Familie kennen, die ihn bei sich zu Hause aufnimmt, ihm Abitur und Ausbildung ermöglichen will. Als Asylbewerber wird der junge Serbe abgelehnt. Die Familie unterstützt ihn beim Gang vors Verwaltungsgericht. Für psychologische Gutachten und einen Rechtsanwalt habe er schon "einen Kleinwagen investiert", witzelt der Elektromeister aus dem Bitburger Land, der Hasic aufgenommen hat. Der Gastvater will sich derzeit nicht vorm Mikrofon äußern. Hasic sagt:
"Ich wünschte einfach nur gesund zu sein. Ich werde kämpfen, einfach nur kämpfen. Und in Serbien bin ich da wie tot."
Ob das Verwaltungsgericht Trier anerkennen wird, dass die erzwungene Ausreise den jungen Mann traumatisiert und krank gemacht haben könnte? Zweifelhaft. Ein zerstörtes Kinderleben - wohl kein Asylgrund.