Asylpolitik

Flüchtlingen aus Eigennutz helfen

Die 13-jährige Razan Tamim aus Homsk in Syrien Deutschunterricht für Flüchtlingskinder in der Fritz-Reuter-Schule in Parchim (Mecklenburg-Vorpommern).
Ein syrisches Flüchtlingsmädchen während des Schulunterrichts in Parchim (Mecklenburg-Vorpommern) © dpa / picture alliance / Jens Büttner
Von Dieter Bub · 01.04.2015
Ziel vieler Flüchtlinge ist Europa, eine Festung, deren Außengrenzen gesichert werden. Illegale Zuwanderung soll verhindert werden. Doch das wird in Zeiten des demographischen Wandels zum fatalen Irrtum, meint der Autor Dieter Bub.
Vor Kurzem erreichten wir mit dem Zug den kleinen Bahnhof von Wilmersdorf in der Uckermark. Als wir in unser geparktes Auto einstiegen, um zu unserem Gehöft zu fahren, wurden wir von vier Männern gebeten, sie mit ihren schweren Einkaufstüten ein Stück mitzunehmen. Sie stammten aus Syrien.
Zwei Kilometer weiter, vor einem Heim in einem alten DDR-Plattenbau luden sie uns zum Tee ein. Wir lehnten dankend ab, wollten nach Hause. Ich bereue das – waren wir nur in Eile? In unserem großem Familienclan und Freundeskreis kenne ich niemanden, der Kontakt zu Flüchtlingen hat. Fehlte es an Zeit oder sind es doch Vorurteile, die uns abgehalten haben?
Ich habe Respekt vor allen, die sich auf vielfältige Weise engagieren. Sie beweisen Zivilcourage, lassen sich nicht einschüchtern. Im Kontrast zu solchen Initiativen stehen gerade in der Provinz Proteste – in Bürgerversammlungen und bei Demonstrationen sowie durch massive Übergriffe Rechtsradikaler.
Die Fremden haben Deutschland nicht geschadet, sondern stets genutzt. Trotzdem waren sie nie willkommen, wurden als "Pollacken", "Spaghettifresser", "Kameltreiber", in der DDR als "Fidschis" und "Kanaken" beschimpft. Nicht einmal die eigenen Landleute, die nach 1945, aus dem Osten vertrieben, Oder und Rhein erreichten, waren willkommen. Sie allerdings konnten sich schnell integrieren. Sprachen sie doch deutsch, waren evangelisch und katholisch.
Europa ist eine Festung
Flüchtlinge von heute jedoch kommen aus Syrien, Libyen, dem Irak und Nigeria. Ihr Ziel ist Europa, eine Festung, deren Außengrenzen gesichert werden. Illegale Zuwanderung soll verhindert werden. Doch das wird in Zeiten des demographischen Wandels zum fatalen Irrtum.
Handwerk und mittelständische Industrie suchen händeringend Nachwuchs. Deshalb sollten Flüchtlinge bei uns ein neues Zuhause finden. Schon heute arbeiten Ausländer überall im Service: im Gesundheitswesen, im Taxigewerbe wie auch in der Gastronomie. In Brandenburg stellen sie mittlerweile 30 Prozent der Ärzte und helfen, die prekäre Versorgung auf dem Land zu verbessern.
Es gibt derzeit Lippenbekenntnisse zuhauf. Die Rede ist von Willkommenskultur und die Beteuerung zum Einwanderungsland wird gefordert. In der Praxis endet zur Schau gestellte Solidarität nicht selten am eigenen Wohnviertel, dort, wo neue Heime eingerichtet werden, wo anders aussehende Menschen im Nachbarhaus einziehen.
Sich für Fremde engagieren
Jeder von uns muss sich fragen, in wie weit er bereit wäre, sich für diese Fremden zu engagieren, sie zu sich einzuladen oder auch bei sich aufzunehmen. Also sind wir noch einmal hingefahren, um die syrischen Männer im alten DDR-Plattenbau zu fragen, ob wir etwas für sie tun können.
Wir trafen Talal Meskinah aus Damaskus an. Er ist 20 Jahre alt, will schnell sein Abitur nachholen und danach studieren. Er ist, wie die anderen Flüchtlinge aus Homs und Aleppo, voller Zuversicht. Später, nach dem Krieg, will er in seine Heimat zurückkehren.
Wie seine Landsleute besitzt er als Bürgerkriegsflüchtling Aufenthalts- und Arbeitspapiere. So sind sie unabhängig, können Verwandte und Bekannte in Deutschland besuchen. Bei der Integration werden sie nicht nur von der lokalen Jobzentrale beraten, sondern erhalten Hilfe von einem engagierten Landwirtspaar aus der Nachbarschaft.
Sie haben Talal bereits eine Wohnung in Berlin besorgt und ihn bei der Vorbereitung auf das Abitur unterstützt. Und sie werden sich weiter auch für andere Flüchtlinge einsetzen. Und wir? Wir wollen versuchen einer Mutter und ihrer Tochter aus Tschetschenien zu helfen. Ihr Mann wurde im Krieg getötet und sie sollte als Muslimin nun zwangsverheiratet werden.

Dieter Bub, Publizist und Buchautor, verbrachte seine Kindheit und Jugend in der DDR. Zwischen 1979 und 1983 war Korrespondent des "Stern" in Ostberlin. Nach 1990 realisierte er für den NDR und den MDR große Dokumentationen zur Geschichte der DDR.




Publizist Dieter Bub
© Foto: privat
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