Atemberaubende "Fall"-Studie
"Falling Man" heißt das berühmte, schreckliche Foto, das der New Yorker Fotograf John Drew am 11. September 2001 um 9.41 Uhr mit seiner Kamera aufnimmt: Es zeigt einen Mann, der aus einem der Türme des World Trade Centers kopfüber in den Tod stürzt. Ebenfalls "Falling Man" nennt sich ein obskurer Performance-Künstler namens David Janiak, der kurz nach den Anschlägen eigene makabre Stürze überall im New Yorker Stadtgebiet inszeniert.
Beide Motive liefern Don DeLillo die bedrückend perfekte Metapher für seinen Roman und seine Hauptfigur Keith Neudecker: Der im Nordturm arbeitende Anwalt hat den Einschlag der Flugzeuge überlebt, ist aus seinem zerstörten Büro über die Treppen entkommen. Aber auch er ist ein "Gefallener", für den nichts mehr so ist wie vor seinem Sturz. Die Freunde und Kollegen, mit denen er allwöchentlich Poker spielte, sind fast alle tot, einer ist in seinen Armen gestorben.
Traumatisiert kehrt Keith Neudecker in die Wohnung seiner Ehefrau Lianne zurück, von der er sich eigentlich getrennt hat. Jetzt will er einen Neubeginn, alles nochmals auf Anfang setzen, doch das gelingt nur halb - in seinen Beruf kehrt Keith Neudecker nicht mehr zurück, am Ende reist er als Pokerprofi-Zombie durch amerikanische Casinos. In der autistischen Situation des Glücksspiels panzert er sich gegen eine Wirklichkeit, mit der er nicht mehr zurechtkommt.
Um diesen Helden gruppiert Don DeLillo weitere Protagonisten aus dem amerikanischen Umfeld des Anwalts, dazwischen schneidet der Autor Szenen aus dem Leben der Attentäter; der Roman beginnt und endet mit dem Einschlag der Flugzeuge.
Don DeLillo, Jahrgang 1936 und neben Philip Roth, John Updike und Thomas Pynchon der bedeutendste lebende US-Romancier, hat in seinen bislang 14 Romanen vor allem die Ängste und Traumata der amerikanischen Gesellschaft offengelegt und analysiert. Immer wieder hat Don DeLillo Verschwörungstheorien, Paranoia und Gewalt zu seinem literarischen Thema gemacht. Vor allem deshalb wurde "Falling Man" mit besonderer Spannung erwartet.
Doch der Autor legt nicht das erwartete Mammutepos zum 11. September vor, sondern beschränkt sich auf die subtile Psychologie weniger Figuren. Durch diese Reduktion gelingt ihm eine atemberaubende "Fall"-Studie, die das neue große amerikanische Trauma in all seiner Komplexität und Schwärze zeichnet. Mit dem Fall der Türme beginnt für Amerika und auch den gebürtigen New Yorker Don DeLillo eine eigene Zeitrechnung: davor und danach. Der Abgrund, der sich geöffnet hat, ist in seiner Tiefe noch nicht abzuschätzen.
"Falling Man" ist kein Trost, doch der Roman zeigt in seiner literarischen Kraft, was Literatur bedeuten kann: ein Gefährte zu sein in der Angst. Wohl selten zuvor hat Amerika ein Buch so dringend gebraucht wie dieses.
Rezensiert von Joachim Scholl
Don DeLillo: Falling Man
Roman. Aus dem Amerikanischen von Frank Heibert
Kiepenheuer & Witsch Verlag Köln 2007
304 Seiten. Euro 19, 95
Traumatisiert kehrt Keith Neudecker in die Wohnung seiner Ehefrau Lianne zurück, von der er sich eigentlich getrennt hat. Jetzt will er einen Neubeginn, alles nochmals auf Anfang setzen, doch das gelingt nur halb - in seinen Beruf kehrt Keith Neudecker nicht mehr zurück, am Ende reist er als Pokerprofi-Zombie durch amerikanische Casinos. In der autistischen Situation des Glücksspiels panzert er sich gegen eine Wirklichkeit, mit der er nicht mehr zurechtkommt.
Um diesen Helden gruppiert Don DeLillo weitere Protagonisten aus dem amerikanischen Umfeld des Anwalts, dazwischen schneidet der Autor Szenen aus dem Leben der Attentäter; der Roman beginnt und endet mit dem Einschlag der Flugzeuge.
Don DeLillo, Jahrgang 1936 und neben Philip Roth, John Updike und Thomas Pynchon der bedeutendste lebende US-Romancier, hat in seinen bislang 14 Romanen vor allem die Ängste und Traumata der amerikanischen Gesellschaft offengelegt und analysiert. Immer wieder hat Don DeLillo Verschwörungstheorien, Paranoia und Gewalt zu seinem literarischen Thema gemacht. Vor allem deshalb wurde "Falling Man" mit besonderer Spannung erwartet.
Doch der Autor legt nicht das erwartete Mammutepos zum 11. September vor, sondern beschränkt sich auf die subtile Psychologie weniger Figuren. Durch diese Reduktion gelingt ihm eine atemberaubende "Fall"-Studie, die das neue große amerikanische Trauma in all seiner Komplexität und Schwärze zeichnet. Mit dem Fall der Türme beginnt für Amerika und auch den gebürtigen New Yorker Don DeLillo eine eigene Zeitrechnung: davor und danach. Der Abgrund, der sich geöffnet hat, ist in seiner Tiefe noch nicht abzuschätzen.
"Falling Man" ist kein Trost, doch der Roman zeigt in seiner literarischen Kraft, was Literatur bedeuten kann: ein Gefährte zu sein in der Angst. Wohl selten zuvor hat Amerika ein Buch so dringend gebraucht wie dieses.
Rezensiert von Joachim Scholl
Don DeLillo: Falling Man
Roman. Aus dem Amerikanischen von Frank Heibert
Kiepenheuer & Witsch Verlag Köln 2007
304 Seiten. Euro 19, 95