Atempause für die Jury

Arno S. Schmid und Carsten Probst im Gespräch mit Liane von Billerbeck |
Auch der zweite Wettbewerb für ein Einheitsdenkmal ist ohne eindeutiges Ergebnis zu Ende gegangen. Die Jury kürte drei gleichrangige Sieger. Jury-Präsident Arno Schmid betont, jetzt könne man die Diskussion noch weiterführen und die Öffentlichkeit daran teilhaben lassen.
Liane von Billerbeck: An Denkmälern ist Berlin gerade in seiner Mitte alles andere als arm. Die meisten jedoch erinnern an die dunklen Kapitel deutscher Geschichte: das Denkmal für die ermordeten Juden Europas, die Mauergedenkstätte, das Denkmal für die von den Nazis ermordeten Homosexuellen. Jetzt soll es ein Denkmal geben, das ein Wunder wach halten soll, ein von Bürgern vollbrachtes Wunder: die friedliche Revolution von 1989. Der Bundestag hatte 2007 beschlossen, so ein Denkmal zu errichten.

Ein Wettbewerb wurde veranstaltet, der allerdings eine Art Multifunktionsdenkmal wollte: Es sollte nämlich auch noch an die Rolle Leipzigs und an die Einheitsbestrebungen früherer Jahrhunderte erinnern. Kein Wunder, dass so ein Versuch scheitern musste, zumal auch die Jury alles andere als eins war.

Nun haben wir nach einem zweiten Wettbewerb, zu dem Kulturstaatsminister Neumann Künstler eingeladen hat, nicht einen, sondern gleich drei Preisträger. Was für ein Denkmal daraus entstehen soll und was das für die Mitte Berlins bedeutet, das wollen wir jetzt im Gespräch erfahren mit dem Juryvorsitzenden Arno S. Schmid und unserem Kritiker Carsten Probst. Einen schönen guten Tag an Sie beide!

Carsten Probst: Hallo!

Arno Schmid: Ja, guten Tag!

Von Billerbeck: Herr Schmid, warum drei Denkmäler? Wir haben doch nur einen Sockel.

Schmid: Ja, das ist sicherlich eine berechtigte Frage, aber auch in der Jury dieses zweiten Verfahrens hat es sich gezeigt, dass es sehr, sehr schwierig ist, im 21. Jahrhundert in einem Denkmal Ausdruck zu finden für dieses freudige Ereignis der friedlichen Revolution und der Wiedererlangung der deutschen Einheit. Und insofern ist es vielleicht der richtige Weg jetzt gewesen von der Jury, in großer Einmütigkeit, einstimmig drei ranggleiche Preise zu vergeben, um genau die Diskussion noch weiter führen zu können, die Sie in Ihrem Eingangsstatement ja selber gesagt haben, dass auch die Öffentlichkeit partizipieren kann und diskutieren kann, wie im Gegensatz zu den sehr trüben Gegenständen der Denkmäler, die in den letzten Jahren entstanden sind, ein solches freudiges Ereignis Ausdruck finden kann.

Von Billerbeck: Aber drei Denkmäler, das ist doch auch Ausdruck von totaler Unentschiedenheit. Hätte man nicht einfach sagen können, okay, wir sind nicht so weit, wir lassen uns noch ein bisschen Zeit?

Schmid: Die Frage ist, wann diese Zeit dann abgelaufen sein würde. Wie gesagt, die drei ...

Von Billerbeck: Wenn man ein Ergebnis hat, vielleicht?

Schmid: Ja, die drei Denkmale, die jetzt ranggleich mit Preisen ausgezeichnet worden sind, sind ja drei ganz unterschiedliche Herangehensweisen an diese im 21.Jahrhundert, ich sage es noch mal, schwierige Aufgabe, in einem Denkmal etwas zu ehren.

Von Billerbeck: Beschreiben Sie uns die doch mal. Was zeichnet die drei aus?

Schmid: Wir haben in dem einen Preis von Milla und Partner aus Stuttgart und Sasha Waltz eine Installation, die eine Partizipation der Besucher zulässt, ein relativ großes Denkmal, in dem der von Ihnen genannte Sockel Kaiser Wilhelms I. in seiner Form quasi sich abhebt von dieser historischen Unterlage und zu schweben anfängt, ein Zeichen vielleicht einer frohen Zukunftsstimmung. Besucher können diesen Sockel, diese Schale betreten, und sie können durch Bewegung auch diese Schale in Bewegung setzen, das heißt, ein allegorischer Hinweis, dass das Volk, dass Besucher ein Gewicht haben in der Demokratie.

Der zweite Preis ist ein figürlicher, eine figürliche Darstellung von Stephan Balkenhol, ein kniender Mann, der auf dem historischen Sockel des ehemaligen Denkmales kniet und in Richtung Norden schaut. Da haben wir eine Darstellung einer Person – und hier wird sicherlich die Diskussion einsetzen, ob eine Person diesen Vorgang, der ja durch Massen aus der Bevölkerung der ehemaligen DDR ausgelöst wurde, diesen Vorgang nun wirklich entsprechend repräsentieren kann.

Und der dritte Entwurf schließlich von Meck Architekten aus München stellt ein Dach dar, das über diesem historischen Sockel steht, allerdings aus der Achse des Schlosses herausgedreht ist ganz bewusst. Das Dach ist aus Buchstaben gebildet, die Zitate wie "Wir sind das Volk", "Wir sind ein Volk", "Freiheit und Einheit" enthält, aber in zwei Schichten übereinander, sodass das Ganze wieder etwas rätselhafter wird, weil man es nicht so ohne Weiteres wird lesen können. Dieses Dach, das quasi schwebt, soll den Aufstand der Bürger von unten in Richtung Freiheit symbolisieren. Das Dach ist transparent, man kann hindurchschauen, und das Dach ruht auf einer festen Grundordnung, die ihrerseits wieder symbolisiert wird durch Stützen, die in der auf dem ehemaligen Sockel dargestellten Karte Deutschlands, aus den Hauptstädten der 16 Ländern herauswachsen, mit einem Grundstein in Leipzig.

Von Billerbeck: Carsten Probst ist unser Kritiker, er hat beide Wettbewerbe für dieses Denkmal verfolgt. Wenn man hört, was Arno S. Schmid da jetzt gerade sagt, dann klingt das zwar irgendwie beeindruckend, aber irgendwie auch davon, dass man sich nicht entscheiden kann. Wie kann man denn dieses Dilemma auflösen, wenn wir jetzt drei preisgekrönte Entwürfe haben?

Probst: Also als eine Essenz aus dem, was wir jetzt bisher gehört und besprochen haben, scheint mir das Wort oder der Begriff Zeit besonders hervorzustechen, zum einen deswegen, weil natürlich ein Denkmal mit Zeit zu tun hat, mit gelebter Zeit, mit Geschichte, zum anderen natürlich aber auch deswegen, weil dieser Wettbewerb bisher unter einem immensen Druck, auch Zeitdruck gestanden hat. Gerade nach dem Scheitern der ersten Runde gab es einen großen Druck, jetzt nicht noch einen zweiten Wettbewerb, wenn der dann ausgeschrieben wird, auch noch einmal scheitern zu lassen. Deswegen liegt die Lösung dieses Problems möglicherweise tatsächlich auch noch einmal in einem Atemholen, in einem Luftholen.

Wir haben jetzt gewissermaßen eine innere Notwendigkeit bei dieser Jury auch gefunden, wirklich Ergebnisse zu präsentieren, und möglichst Ergebnisse, die in irgendeiner Form ausdrucksstark, viel ausdrucksstärker sein sollten, als das beim ersten Wettbewerb der Fall hätte sein können. Und das Ergebnis ist nun zusammengefasst die Formel: mehr Ergriffenheit, mehr starke Gesten, mehr große Pathosformeln. Das Ergebnis spiegelt aber doch die Bemühungen letztlich wieder, das heißt, die Bemühungen, die unter großem Druck stattfinden.

Wir haben also, wenn Sie so wollen, einen Wettbewerb, der in gewisser Weise dazu mutiert ist, Selbstzweck zu sein und das Ergebnis, ich würde nicht sagen, zweitrangig werden zu lassen, aber doch in einer gewissen Weise absolut notwendig werden zu lassen. Das ist kein guter Ausgangspunkt für ein Denkmal, das ja eine Geschichte betrifft, die noch andauert, also die Wende von '89 ist nicht mit der Wende von '89 erledigt, sondern sie ist noch in der Diskussion, sie dauert noch an.

Deswegen ist es ja so schwierig, weshalb ich glaube, dass es in der Jury möglicherweise einen geheimen Favoriten gibt, nämlich für diese große, ich nenne sie mal, Opferschale von Milla und Partner zusammen mit Sasha Waltz, die dann vom Volk zu bewegen ist, also so ein bisschen das Statische verliert. Aber sie ist eben doch eine große Pathosgeste, die in gewisser Weise zum Mitmachdenkmal umfunktioniert wird.

Von Billerbeck: Pathos ist das Stichwort, das könnte man wahrscheinlich auf alle drei preisgekrönten Entwürfe anwenden: also die Schale; dieses Dach, das aus Worten zusammengesetzt ist, auch sehr riesig; und auch diese überdimensionierte Figur, die einerseits an die Geste Willy Brandts in Warschau erinnert, andererseits auch an Lukas Podolski, wenn er ein Tor geschossen hat. Sind wir Deutschen – die Frage an Sie beide, vielleicht Carsten Probst zuerst – nicht in der Lage, ein leichtes Denkmal zu machen, das ja etwas Schönes ... es war ja eine ganz wunderbare, auch eine lustige Zeit, als diese ganzen Demonstrationen abgelaufen sind, ich will das nicht verkürzen, aber sind wir nicht in der Lage, brauchen wir immer so was Bedeutungsschwangeres?

Probst: Na ja, in dieser Ausstellung gab es schon zu den 28 Entwürfen, die jetzt in die engere Wahl gekommen sind, waren es glaube ich, gab es schon lustige Sachen, also so inszenierte, statische Feuerwerke beispielsweise. Aber zu lustig darf es ja auch nicht werden, es ist trotzdem ja ein ernsthafter Vorgang gewesen. Die Frage ist eigentlich: Warum schaffen wir es nicht? Ich glaube, das liegt einfach, wie eigentlich der Herr Professor Schmid auch schon sagte, an der Formel selber.

Wir haben eigentlich seit dem 19. Jahrhundert keine Denkmalskultur mehr, und mit gutem Grund haben wir die auch nicht mehr. Man mag sich fragen: Warum sind wir nicht mehr im 19. Jahrhundert? Das wird sich auch in Fragen der Stadtplanung immer wieder in Berlin und in anderen großen Städten gefragt in letzter Zeit. Aber es ist nun einmal so, dass gerade bei Denkmalen sich zeigt, dass wir eine gewisse Kultur überwunden haben, die mit solchen statischen, großen Denkzeichen umgeht, und das zeigt ja letztlich auch, dass das Selbstverständnis für eine solche Form zurzeit fehlt.

Von Billerbeck: Herr Schmid, Jens Bisky hat heute in der "Süddeutschen" geschrieben, mein Gott, macht doch irgendwo zwei Tafeln, eine in Leipzig, eine in Berlin und gut ist. Wieso machen wir so ein großes Theater?

Schmid: Ja gut, ich habe das gelesen in der "Süddeutschen Zeitung". Aber das ist ja genau die Frage: Genügt es, wie beim Checkpoint Charlie Tafeln aufzustellen, die de facto historische Ereignisse abbilden, und die im Übrigen ja sehr interessant sind und immer wieder auch das Interesse der Besucher locken, ohne Zweifel? Aber würde diese Geste auch jetzt für Freiheit und Einheit und ein Denkmal für diese Zeit und für diesen Vorgang genügen oder nicht?

Insofern kann ich Herrn Probst eigentlich nur recht geben: Wir tun uns sehr, sehr schwer, eine Formensprache zu finden, mit der wir solche Ereignisse als Denkmal in dieser Form ehren können. Und letztendlich haben Sie Ähnliches in Architektur und Stadtplanung, nicht umsonst fliehen viele wieder in Rekonstruktionen ...

Von Billerbeck: Historismus.

Schmid: ... und entwickeln eine Sehnsucht auf etwas, was eigentlich nicht mehr wirklich zeitgemäß ist. Das Schloss in Berlin ist ja ein Beispiel, Schloss in Braunschweig und andere genauso. Also wir tun uns schwer, zeitgemäß eine Formensprache zu finden für diesen Vorgang. Aber genau das ist die Aufgabe, und insofern denke ich, wir haben jetzt mit den drei Preisen – die im Übrigen auch das Meinungsbild, das breite, heterogene Meinungsbild und dieses Spektrum im Preisgericht, wo ja Bundestag, Bundesregierung, Land Berlin, die Initiative Freiheits- und Einheitsdenkmal genauso vertreten war wie Künstlerinnen und Künstler und Architekten –, ... Wir haben jetzt diese Möglichkeit, noch mal in einer Diskussion uns an eine Lösung heranzutasten, die repräsentativ sein kann im positiven Sinne jetzt, nicht im pathetischen Sinne.

Von Billerbeck: Also kurz zusammengefasst: den Vorhang zu und alle Fragen offen, das Freiheits- und Einheitsdenkmal wird gebaut, die Frage ist nur, wann und wie es aussehen wird. Arno Schmid war das, der Juryvorsitzende, und unser Kritiker Carsten Probst. Herzlichen Dank an Sie beide!

Schmid: Ich danke Ihnen!

Links:
Bundesbauministerium: Vorstellung der prämierten Entwürfe
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