Atheistischer Missionar
Das Thema "Religion" hat Hochkonjunktur, insbesondere nach dem 11. September 2001. Von daher wundert es nicht, dass die deutsche Ausgabe des amerikanischen Bestsellers "Der Gotteswahn" von Richard Dawkins im Umfeld des sechsten Jahrestages der Terroranschläge auf das World Trade Center erscheint.
Mit dieser Streitschrift erweist sich der Dawkins einmal mehr als Missionar: Atheist zu sein, ist in seinen Augen ein erstrebenswertes, "noch dazu ein tapferes, großartiges Ziel" - denn als Atheist, so seine Erfahrung, kann man "glücklich, ausgeglichen, moralisch und geistig ausgefüllt sein."
Missionare sind Eiferer. Nicht nur der Umfang von Dawkins Streitschrift spricht für diese These. Rasch gewinnt man den Eindruck, dass der in Oxford lehrende Evolutionsbiologe mit seiner Mission zumindest in den USA zahlenmäßig noch auf verlorenem Posten steht, von Kreationisten und allzu bibeltreuen Christen umzingelt. Folglich möchte er den Kreis derer vergrößern, deren Weltbild und Lebenspraxis nicht auf die "Gotteshypothese" angewiesen ist, sondern auf nachweisbaren Fakten basiert.
Um Atheist zu sein, bedarf es des rechten Bewusstseins. Daher ist der Autor von gut 500 Textseiten zum einen bemüht, all das zu destruieren, was die großen monotheistischen Religionen tradieren und lehren. Ein allwissender Gott etwa, der Gebete erhört, Sünden bestraft und Wunder vollbringt, ist für den Naturwissenschaftler weder experimentell noch intellektuell nachvollziehbar, ja ein Ärgernis ebenso wie der "Gott des Alten Testaments", in seinen Augen "ein kleinlicher, ungerechter, nachtragender Überwachungsfanatiker", ein "ethnischer Säuberer" und "frauenfeindlicher, homophober, ... launisch-boshafter Tyrann."
Neben den Heiligen Schriften unterzieht Dawkins auch die abendländisch-metaphysischen Gottesbeweise einer kritischen Lektüre, die hier und da nachdenklich stimmen mag, den Texten aber nur selten gerecht wird. Erkenntnisse der historisch-kritischen Exegese nimmt Dawkins ebenso wenig zur Kenntnis wie etwa Kants Differenzierungen in dessen "Kritik der praktischen Vernunft."
Zum anderen stellt der Evolutionsbiologe seine Theorie der Meme vor und erklärt damit, wie es zur Allgegenwart religiöser Vorstellungen und Praxis in der Menschheitsgeschichte kommen konnte. Die biologische Evolution schreitet dank Selektion und Mutation von Genen voran. Variationen und Kombinationen von Memen - die sind zum Beispiel Ideen und Riten - ermöglichen die "kulturelle Evolution". Dabei bedingt ein neuronales Modul für "Leichtgläubigkeit" bislang die Stabilität und Tradierung des Gottesglaubens.
Leichtgläubigkeit und Fundamentalismus drängen Dawkins zum überaus pointierten Buchtitel "Der Gotteswahn". Wenn ein Mensch eine Stimme in seinem Kopf hört, so das von Dawkins häufig benutzte Gleichnis, nennt man ihn verrückt, Wenn viele Menschen eine Stimme in ihrem Kopf hören, nennt man sie religiös. Und: Eine dauerhaft falsche Vorstellung trotz entgegengesetzter Belege aufrecht zu erhalten - diese Definition von "Wahn" ist für den britischen Forscher durchaus "eine perfekte Beschreibung des religiösen Glaubens." Religion als massentauglicher Wahnsinn? Man wird widersprechen, zumindest differenzieren müssen.
Dawkins hat in Oxford einen Lehrstuhl für "Public Understanding of Science" inne. Daher schreibt er anschaulich und gut verständlich, mit Ironie, Humor, Polemik und einem Schuss Zynismus. Etliche Wiederholungen hingegen machen die Lektüre langwierig.
Im Blick auf die Weltreligionen mangelt es dem Autor mitunter an Differenzierungen. Auch ist Dawkins nicht immer auf dem aktuellen Stand der Debatten in ihm fremden Wissenschaften wie etwa Philosophie und Theologie.
Dennoch bietet das umfangreiche Buch einige Herausforderungen für und populäre Argumente gegen die Religionen. Das könnte kritisches Denken auf Seiten der Gläubigen beflügeln, deren Gottesbilder schärfen sowie die gesellschaftliche Auseinandersetzung zwischen den unterschiedlichen Positionen beleben. So gesehen kann, darf und muss der "Kampf der Religionen" und "der Kampf der Kulturen" weitergehen - im gewaltfreien Diskurs.
Rezensiert von Thomas Kroll
Richard Dawkins: Der Gotteswahn
Übersetzt von Sebastian Vogel
Ullstein Verlag, Berlin 2007
575 Seiten, Euro 22,90
Missionare sind Eiferer. Nicht nur der Umfang von Dawkins Streitschrift spricht für diese These. Rasch gewinnt man den Eindruck, dass der in Oxford lehrende Evolutionsbiologe mit seiner Mission zumindest in den USA zahlenmäßig noch auf verlorenem Posten steht, von Kreationisten und allzu bibeltreuen Christen umzingelt. Folglich möchte er den Kreis derer vergrößern, deren Weltbild und Lebenspraxis nicht auf die "Gotteshypothese" angewiesen ist, sondern auf nachweisbaren Fakten basiert.
Um Atheist zu sein, bedarf es des rechten Bewusstseins. Daher ist der Autor von gut 500 Textseiten zum einen bemüht, all das zu destruieren, was die großen monotheistischen Religionen tradieren und lehren. Ein allwissender Gott etwa, der Gebete erhört, Sünden bestraft und Wunder vollbringt, ist für den Naturwissenschaftler weder experimentell noch intellektuell nachvollziehbar, ja ein Ärgernis ebenso wie der "Gott des Alten Testaments", in seinen Augen "ein kleinlicher, ungerechter, nachtragender Überwachungsfanatiker", ein "ethnischer Säuberer" und "frauenfeindlicher, homophober, ... launisch-boshafter Tyrann."
Neben den Heiligen Schriften unterzieht Dawkins auch die abendländisch-metaphysischen Gottesbeweise einer kritischen Lektüre, die hier und da nachdenklich stimmen mag, den Texten aber nur selten gerecht wird. Erkenntnisse der historisch-kritischen Exegese nimmt Dawkins ebenso wenig zur Kenntnis wie etwa Kants Differenzierungen in dessen "Kritik der praktischen Vernunft."
Zum anderen stellt der Evolutionsbiologe seine Theorie der Meme vor und erklärt damit, wie es zur Allgegenwart religiöser Vorstellungen und Praxis in der Menschheitsgeschichte kommen konnte. Die biologische Evolution schreitet dank Selektion und Mutation von Genen voran. Variationen und Kombinationen von Memen - die sind zum Beispiel Ideen und Riten - ermöglichen die "kulturelle Evolution". Dabei bedingt ein neuronales Modul für "Leichtgläubigkeit" bislang die Stabilität und Tradierung des Gottesglaubens.
Leichtgläubigkeit und Fundamentalismus drängen Dawkins zum überaus pointierten Buchtitel "Der Gotteswahn". Wenn ein Mensch eine Stimme in seinem Kopf hört, so das von Dawkins häufig benutzte Gleichnis, nennt man ihn verrückt, Wenn viele Menschen eine Stimme in ihrem Kopf hören, nennt man sie religiös. Und: Eine dauerhaft falsche Vorstellung trotz entgegengesetzter Belege aufrecht zu erhalten - diese Definition von "Wahn" ist für den britischen Forscher durchaus "eine perfekte Beschreibung des religiösen Glaubens." Religion als massentauglicher Wahnsinn? Man wird widersprechen, zumindest differenzieren müssen.
Dawkins hat in Oxford einen Lehrstuhl für "Public Understanding of Science" inne. Daher schreibt er anschaulich und gut verständlich, mit Ironie, Humor, Polemik und einem Schuss Zynismus. Etliche Wiederholungen hingegen machen die Lektüre langwierig.
Im Blick auf die Weltreligionen mangelt es dem Autor mitunter an Differenzierungen. Auch ist Dawkins nicht immer auf dem aktuellen Stand der Debatten in ihm fremden Wissenschaften wie etwa Philosophie und Theologie.
Dennoch bietet das umfangreiche Buch einige Herausforderungen für und populäre Argumente gegen die Religionen. Das könnte kritisches Denken auf Seiten der Gläubigen beflügeln, deren Gottesbilder schärfen sowie die gesellschaftliche Auseinandersetzung zwischen den unterschiedlichen Positionen beleben. So gesehen kann, darf und muss der "Kampf der Religionen" und "der Kampf der Kulturen" weitergehen - im gewaltfreien Diskurs.
Rezensiert von Thomas Kroll
Richard Dawkins: Der Gotteswahn
Übersetzt von Sebastian Vogel
Ullstein Verlag, Berlin 2007
575 Seiten, Euro 22,90