Das ist eine sehr schwierige Situation. Aber ich glaube, dass viele verstehen, dass Sportler damit nichts zu tun haben. Ich finde, Sportler sollen Sportler bleiben und ihren Job machen.
Athleten aus Russland und Belarus
Sportler aus Weißrussland und Russland sind von verschiedenen internationalen Wettkämpfen ausgeschlossen. © dpa / picture alliance / Maksim Konstantinov
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Wegen des Ukraine-Kriegs sind Russland und Belarus derzeit von vielen Wettkämpfen ausgeschlossen. Allerdings ist sich die internationale Sportgemeinschaft nicht einig. Auch im belarussischen und russischen Sport gibt es unterschiedliche Ansichten.
Der Biathlon-Europameister Sergei Botscharnikow wurde im ukrainischen Charkiw geboren, trainierte in Russland, trat seit 2015 für Belarus auf und beendete seine Karriere vor vier Monaten. Botscharnikow findet, Sport sollte man von der Politik trennen.
Das sei eine manipulative These, meint der belarussische Sportjournalist und Gründer mehrerer Sportmedien in Russland, Belarus und der Ukraine, Dmitrij Nawoscha:
"Den Satz 'Politik gehöre nicht in den Sport' höre ich ausschließlich in Situationen, wenn sich jemand in Russland oder Belarus gegen das Regime ausspricht. Wenn sich aber Lukaschenka und Putin mit Topsportlern präsentieren, hören wir diese Worte nicht. Das heißt, diejenigen, die das sagen, meinen damit, dass Sportler kein Recht haben, sich gegen den Diktator zu positionieren."
Dmitri Nawoscha trifft den Nerv. Als 2020 das ganze Belarus gegen den Machthaber Lukaschenka und gefälschte Wahlen demonstrierte, schlossen sich auch viele belarussische Sportler dem Protest an. Sergei Botscharnikow unterschrieb aber zusammen mit anderen Sportlern ein sogenanntes "Proregierungsschreiben".
Aufrichtig war ich beim Unterzeichen dieses Schreibens nicht. Aber wir alle haben diese Entscheidung getroffen, um die Karriere zu retten.
Sport ist also Politik. Auch wenn Sportler selbst es nicht wollen. Und gerade in autoritären und totalitären Ländern wie Belarus und Russland nutzt man das für Propagandazwecke, sagt Dmitrij Nawoscha:
"In Russland und Belarus ist es zum Kult geworden. Auf unterschiedlichen politischen Veranstaltungen nutzt Putin Schauspieler und Sportler aus, er lässt sich von ihnen umgeben. Zum einen soll das ein Bild kreieren, dass die ganze Bevölkerung ihn unterstützt. Und zum anderen will er die Botschaft senden: Wir sind ein mächtiger Staat, guckt, das alles habe ich gemacht. Das ist nichts anderes als ein Propagandainstrument. Und in diesem Sinne hat man an den Sport in Russland und Belarus Fragen."
Nawoscha als Opfer des Lukaschenka-Regimes
Dmitrij Nawoscha stellt diese Fragen nicht aus einer Beobachterperspektive. Er selbst wurde durch sein Engagement Opfer des Lukaschenka-Regimes. In Belarus läuft gegen ihn ein Strafverfahren. Nawoscha hilft anderen betroffenen Landsleuten, unter anderem Sportlern. Mehr als 2000 belarussische Sportler haben schon 2020 ihre Position gegen Lukaschenka gezeigt. Das erwartet Nawoscha auch von den russischen Kollegen:
"In Russland hören wir nur einzelne Stimmen: Tennisspielerin Daria Kassatkina, Fußballspielerin Nadeschda Karpowa, Fußballspieler Denisow und noch ein paar. Aber die absolute Mehrheit schweigt. Sportler sind Meinungsführer. Und sie könnten den Menschen sagen, dass sie nicht sterben müssen und nicht töten sollten."
Haftstrafen gegen Kritiker des Krieges
Sprechen in Russland ist aber heutzutage strafbar. Bis zu 15 Jahre Haft drohen jemandem, der sich gegen den Krieg äußert oder über die russische Armee "Lügen" verbreitet. Unter diesen Bedingungen muss man viel Mut haben, um den Mund aufzumachen. So spielen russische und belarussische Sportler hinter dem neuen Eisernen Vorhang unter sich. Statt dem Biathlon-Weltcup gibt es jetzt zum Beispiel einen Gemeinschaftscup, einen Wettkampf zwischen russischen und belarussischen Biathleten.
Jeder Sportler will internationale Wettkämpfe
Für jeden Sportler sind aber internationale Wettkämpfe das Ziel. Und Sportlerinnen und Sportler, die sich klar positionieren und dadurch unter dem Regime leiden, sollten auch dazu zugelassen werden, findet Dmitrij Nawoscha.
Er engagiert sich in der Belarussischen Stiftung der Sportlichen Solidarität, die die belarussischen Sportler unterstützt, die durch ihre politische Haltung in Belarus unter die Repressionsmaschine geraten sind. Einen Ausweg für diese Sportler sieht Nawoscha in der sogenannten Antikriegsdeklaration:
So kann man die identifizieren, die gegen die Diktatur auftreten und deswegen nicht unter den Boykott fallen sollen. So einen Mechanismus könnte man auch mit Unterstützung des IOC erarbeiten. Olympische Bewegung und Positionierung gegen den Krieg gehen ja Hand in Hand.
Sergej Botscharnikow ist von dieser Option nicht überzeugt: "Sportler wollten vielleicht diesen Weg gehen, aber die Frage ist, ob die Entscheidungsträger entgegenkommen werden. Bisher habe ich keine Hilfe von ihrer Seite gesehen."
Und tatsächlich: Noch hat die Antikriegsdeklaration nur wenig Früchte getragen. Internationale Organisationen haben daran kein Interesse, sagt Nawoscha. Trotzdem:
"Eine Perspektive haben ehrliche Sportler. Diejenigen, die schweigen und insbesondere die, die diese Diktaturen unterstützen, haben keine. Der belarussische Sport ist schon zusammengebrochen. Dem Kollaps des russischen sehen wir jetzt live zu."