Atomforum-Präsident Güldner: Die Industrie akzeptiert das Primat der Politik

Bei strittigen Fragen – wie der Übernahme der Kosten für die Endlagersuche – schließt die Atomindustrie eine Klage nicht aus. Zugleich stellte Atomforum-Präsident Ralf Güldner klar, dass Atomkraftwerke in Deutschland bis 2022 nur noch eine "Brückenfunktion" bei der Stromversorgung übernehmen.
Gabi Wuttke: Deutschland sucht ein Endlager für seinen Atommüll. Das ist richtig, wichtig, überfällig, aber auch noch ein weiter Weg. Frühestens in zweieinhalb Jahren werden die Rahmenbedingungen feststehen, ein weiter Weg, wie gesagt, auf dem viele Stolpersteine liegen und deshalb Stellschrauben neu justiert werden.

"Implementierung der deutschen Energiewende", damit beginnt auf der Jahrestagung des Deutschen Atomforums der Mittwochmorgen. Jetzt ist sein Präsident Ralf Güldner am Telefon, einen schönen guten Morgen!

Ralf Güldner: Guten Morgen, Frau Wuttke!

Wuttke: Was genau ist mit "Implementierung der deutschen Energiewende" gemeint? Wie will sich das Deutsche Atomforum in die politische Marschrichtung eingliedern?

Güldner: Nun, die Energiewende ist ja viel mehr als der Ausstieg aus der Kernenergie. Es ist der Einstieg in ein komplett neues Energiesystem, Energieversorgungssystem. Das ist natürlich zum Teil die Aufgabe, oder zu einem großen Teil Aufgabe unserer Mitgliedsunternehmen, aber nicht so sehr Aufgabe des Atomforums. Im Moment leistet die Kernenergie aber immer noch einen Beitrag zur Energieversorgung, der nicht vernachlässigbar ist. Wir haben in Deutschland noch neun Anlagen am Netz, die im vergangenen Jahr etwa 100 Milliarden Kilowattstunden Strom erzeugt haben, und damit ein Sechstel zur Stromversorgung beigetragen haben. Das ist wichtig, um die Netze stabil zu halten, um die Frequenz stabil zu halten. Diesen Beitrag werden wir weiterhin leisten. Und zum anderen stehen natürlich die Themen Endlagerung und damit die Entsorgung der radioaktiven Reststoffe an, die das Deutsche Atomforum sehr stark beschäftigen.

Wuttke: Noch deutlicher als jetzt eben, in einer Pressemitteilung vom April, preisen Sie, das Deutsche Atomforum, die Atomkraft als Hilfe für den Übergang in das Zeitalter der erneuerbaren Energien. Bislang hat das Atomforum ja massive Kritik am deutschen Atomausstieg geübt. Woher rührt dieser Strategiewechsel?

Güldner: Nun, wir akzeptieren das Primat der Politik, und wir haben schon, als Bundesumweltminister Röttgen sein Energiekonzept 2010 veröffentlicht hat und die politischen Entscheidungen getroffen wurden, gesagt, wir werden unseren Beitrag leisten, um diese Brückenfunktion darzustellen, damit wir hier die Energieversorgung zu akzeptablen Preisen für die Verbraucher aufrechterhalten können.

Durch den Atomausstieg nach Fukushima ist die Zeitspanne, die dafür zur Verfügung steht, deutlich kürzer geworden, aber auch hier werden wir unseren Beitrag leisten. Letztendlich hat aber die Politik hier die Rahmenbedingungen zu setzen und die Entscheidungen zu treffen.

Wuttke: Wenn zum Beispiel RWE gerade eine Genossenschaft Bürgerenergie gegründet hat, folgen Sie dann der Strategie des großen Unternehmens oder war das Ihre Idee?

Güldner: Das war sicherlich nicht die Idee des Deutschen Atomforums, aber die Energieversorgungsunternehmen in ihrer Gesamtheit müssen sich den Rahmenbedingungen des Marktes stellen. Und hier gibt es nicht nur einen Trend zu den erneuerbaren Energien, hier gibt es auch einen Trend zu dezentraler Energieversorgung, und hier werden die Unternehmen ihre Positionen finden und ihre Maßnahmen treffen, ihre Strategien ändern. Das hat aber nichts damit zu tun, dass die Kernenergie, solange wir in Deutschland die Anlagen betreiben dürfen, und das wird bis Ende 2022 für die letzten Kraftwerke sein, ihren Beitrag zu einer sicheren, zuverlässigen und preisgünstigen Energieversorgung leisten wird.

Wuttke: Und was wird das Deutsche Atomforum nach 2022 machen?

Güldner: Nun, wir haben ja gerade durch die Entscheidungen der Politik gehört, dass das Thema Endlagersuche und dann Entsorgung der radioaktiven Reststoffe uns noch über viele Jahrzehnte beschäftigen wird. Diese Themen werden wir also weiter bearbeiten. Zum anderen haben wir in Deutschland immer noch eine gut funktionierende kerntechnische Industrie, die ganz wesentliche Beiträge, gerade jetzt auch zur Verbesserung der Anlagen, in aller Welt leistet. Sicherheitstechnische Systeme, die bei uns schon länger zum Einsatz kommen, werden jetzt in anderen Ländern nachgerüstet. Hier steht unsere Industrie zur Verfügung, hier werden wir auch unsere Beiträge leisten.

Wir werden vor diesem Hintergrund auch für viele Jahrzehnte noch kerntechnische Kompetenz brauchen. Das heißt, wir werden auch an Hochschulen und Forschungseinrichtungen dafür einsetzen, dass kerntechnische Kompetenz in Deutschland erhalten bleiben kann. Das sind die drei großen Themenfelder, die uns dann auch nach dem Abschalten der letzten Anlagen beschäftigen werden.

Wuttke: Herr Güldner, Bund und Länder wollen mit einer Kommission aus 24 Vertretern die Möglichkeit zur Atommüllentsorgung prüfen. Der Öffentlichkeit ist nicht mehr bekannt, als dass sie aus der Politik, der Wissenschaft, den Kirchen, Umweltverbänden und aus der Wirtschaft kommen sollen. Auch da zwei Vertreter. Wird jemand aus der Atomindustrie dabei sein oder nicht?

Güldner: Das wissen wir noch nicht …

Wuttke: Ach, Sie auch nicht!

Güldner: ... wir haben noch keine offiziellen Anfragen aus der Politik. Wir bereiten uns aber darauf vor, kompetente Kandidaten zur Verfügung zu halten, die nicht nur die Kompetenz einbringen, ihr Fachwissen, sondern eben auch die notwendige Zeit zur Verfügung haben. Und um in dem doch recht eng gestalteten Terminplan hier zu vernünftigen Lösungen zu kommen. Wir werden uns hier einer konstruktiven Mitarbeit nicht verschließen.

Wuttke: Na ja, in zweieinhalb Jahren sollen dann die Rahmenbedingungen für ein Atommüllendlager stehen, aber wenn Sie jetzt noch nicht einmal eingeladen worden sind – Sie rechnen ja damit, und es wäre ja auch absolut sinnvoll und nötig – wie kann das sein?

Güldner: Nun, ich denke, der BMU mit den Ländern ist zunächst dabei, das Gesetzgebungsverfahren für das Endlagersuchgesetz voranzutreiben. Das ist zeitlich sehr dringend. In diesem Gesetz soll ja erst die Rolle dieser Bund-Länder-Enquete-Kommission festgelegt werden. Ich denke, das Gesetzgebungsverfahren hat im Moment Priorität, und danach wird man sich um die Kommission kümmern. Welche Ergebnisse die Kommission bringen wird, wie die Arbeit vonstatten geht, das können wir jetzt natürlich noch nicht beurteilen.

Wuttke: Um mal darüber zu reden, wie es überhaupt um das Verhältnis zwischen Atomenergie und Bundesregierung bestellt ist: Peter Altmaier hatte ja die Manager der Atomkraftwerksbetreiber Mitte April eingeladen - eine Reaktion auch auf die Kritik, bei der Endlagersuche nicht mit ins Boot geholt worden zu sein. Sehen Sie Bewegung im Streit? Besonders natürlich, wer die Suche am Ende bezahlt?

Güldner: Nun, wir sind bei einigen politischen Beschlüssen seit 2011, insbesondere nach Fukushima, nicht eingebunden worden. Wir sind aber zu jedem Gespräch bereit. Wir begrüßen jedes Gesprächsangebot. Bundesumweltminister Altmaier hat uns nun an den Tisch gebeten zur Frage der Suche nach alternativen Zwischenlagerstandorten. Und wir werden an diesen Gesprächen natürlich konstruktiv teilnehmen.

Wuttke: Schützt Gesprächsangebot vor Klage?

Güldner: Nein. Das ist auf keinen Fall so. Wir werden bei allen Ergebnissen, die aus diesen Prozessen herauskommen, natürlich unsere Rechtsposition überprüfen und gegebenenfalls auch darauf reagieren.

Wuttke: Im Interview bei Deutschlandradio Kultur Ralf Güldner, der Präsident des Deutschen Atomforums, dessen Jahrestagung morgen in Berlin beginnt. Gute Reise hierher, schönen Dank, guten Tag!

Güldner: Guten Tag. Danke sehr, Frau Wuttke!


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