Saudi-Arabien fühlt sich "abgekoppelt und ausgeschlossen"
Bislang sind die Atomverhandlungen mit dem Iran ergebnislos vertagt worden. Bei der Fortführung der Gespräche müssten auch die Interessen Saudi-Arabiens beachtet werden, sagt Nahost-Experte Henner Fürtig.
Julius Stucke: Wir blicken in Richtung Iran. Es sah da nach Fortschritt aus, aber es gab am Ende doch kein Ergebnis bei den Verhandlungen über das iranische Atomprogramm. Sie waren wieder in Bewegung gekommen, weil der iranische Präsident Hassan Rohani, anders als sein Vorgänger Ahmadinedschad, auf den Westen zuging. Und einen Anteil daran hatten sicher auch die wirtschaftlichen Sanktionen, unter denen der Iran immer stärker leidet. Aber vor anderthalb Wochen gab es dann eben doch kein Ergebnis, das Misstrauen war groß. Meint Präsident Rohani es wirklich ernst, und wie glaubwürdig ist er?
Die Verhandlungen also wurden vertagt - morgen soll es weitergehen. Sechs Parteien verhandeln offiziell mit dem Iran, das sind die fünf Vetomächte, also USA, China, Russland, Frankreich und Großbritannien, plus Deutschland – fünf plus eins. Aber auch andere schauen ganz genau hin und wirken im Hintergrund mit, zum Beispiel Saudi-Arabien.
Welche Interessen hat das Königreich, und wie kann sich das auf die Verhandlungen auswirken? Darüber spreche ich mit Henner Fürtig, Direktor des GIGA-Instituts für Nahost-Studien. Guten Morgen, Herr Fürtig!
Henner Fürtig: Ja, schönen guten Morgen!
Stucke: Herr Fürtig, warum schaut Saudi-Arabien denn da morgen ganz genau hin?
Fürtig: Saudi-Arabien fühlt sich von der jüngsten Entwicklung sehr stark abgekoppelt und ausgeschlossen und befürchtet, dass die traditionell guten Beziehungen mit den USA leiden, wenn sich das Verhältnis zwischen den USA und Iran wieder stark verbessern sollte. Wir dürfen nicht vergessen, Iran ist eine Großmacht am Golf, Saudi-Arabien in vielerlei Belangen, nicht zuletzt in der militärischen Stärke stark überlegen, und deshalb haben ja die Saudis schon nach dem zweiten Golfkrieg, also der Kuwait-Krise, ein Militärabkommen, ein Sicherheitsabkommen mit den USA geschlossen. Es ist völlig klar, dass Saudi-Arabien von amerikanischer Unterstützung in Sicherheitsfragen abhängig ist.
"Es geht darum, nicht an Einfluss zu verlieren"
Stucke: Das heißt, es geht Saudi-Arabien um Macht in der Region?
Fürtig: Es geht darum, nicht an Einfluss zu verlieren. Der Einfluss fußt ja zu großen Teilen darauf, dass das Land eben über die immensen Erdölvorkommen verfügt. Das Land mit den nachgewiesenermaßen größten Erdölvorkommen der Welt, damit natürlich auch eine extreme Finanzstärke. Und die haben sie in der Vergangenheit immer günstig in der Außenpolitik, auch in der Diplomatie, eingesetzt.
Und man befürchtet, dass die neuen Entwicklungen die Rolle Saudi-Arabiens dann wieder auf Kernkompetenzen beschränken würde. Und wie gesagt, bei Kernkompetenzen, bei der reinen Hard Power im Sinne von Wirtschaftsmacht und Militärmacht, da zieht eben Saudi-Arabien im Verhältnis zu Iran immer den Kürzeren.
Stucke: Also Einfluss in der Region ist ein Grund, sagen Sie. Ist ein anderer das Verhältnis Iran/Saudi-Arabien, das ja alles andere als ein gutes ist, also die Geschichte der alten Feindschaft zwischen den beiden?
Fürtig: Mit Sicherheit spielt das eine Rolle. Wir haben in Iran das einzige Land der Welt, in dem der Schiismus, also der schiitische Teil der islamischen Weltreligion Staatsreligion ist. Wie gesagt, das einzige Land auf der Welt. Und wir haben auf der anderen Seite des Golfes, in Saudi-Arabien, mit dem Wahhabismus eine extrem sunnitische Richtung des Islam, sozusagen die vorherrschende Konfession im Lande. Da liegen faktisch 180 Grad dazwischen, das hat sich in der Vergangenheit immer wieder zu Konflikten hochgeschaukelt. Aber es war nicht immer so.
Aus politischen Gründen, wenn ich nur an die 60er- und 70er-Jahre denke, als wir in der Region die sogenannte Zwei-Säulen-Politik der Nixon-Administration hatten, waren Saudi-Arabien und Iran die beiden Säulen amerikanischen Einflusses in der Region. Es gab also durchaus – natürlich begünstigt auch durch die Tatsache, dass wir zwei Monarchien hatten, den Schah in Iran und den saudischen König auf der anderen Seite, hatten wir also über zwei Jahrzehnte hinweg eine sehr, sehr konstruktive Politik. Das heißt, es ist nicht immer so, dass die Grundlagen für Konflikte auch tatsächlich zum Tragen kommen, wenn politische Interessen, wenn politische Gründe dagegen sprechen.
Stucke: Sie haben es schon angesprochen, eine Rolle dürfte in dem ganzen Fall auch das Verhältnis von Saudi-Arabien und den USA spielen. Das Verhältnis von Saudi-Arabien und den USA ist gut, auch das ist vielleicht eines der Probleme für den Iran. Und da stellt sich dann die Frage, wie ist denn die Möglichkeit vielleicht für Saudi-Arabien, dieses Verhältnis zu den USA zu nutzen, um die Verhandlungen zu beeinflussen?
"In der Regel gab es doch ein sehr, sehr vertrauensvolles Verhältnis"
Fürtig: Ja, das Verhältnis ist natürlich gegenwärtig auch ein bisschen in Mitleidenschaft gezogen. Es steht natürlich unzweifelhaft fest, dass seit 1945, kann man sagen, die Beziehung zwischen den USA und Saudi-Arabien exzellent waren. Unter anderem auch darauf zurückzuführen, dass wir eben mit Saudi-Arabien den größten Erdölexporteur haben und mit den USA den größten Erdölimporteur. Das heißt, wir hatten am Ende ein Interessenverhältnis, das fast einem Kartell glich, einem Kartell aus Erzeugern und Verbrauchern.
Natürlich gab es auch Unstimmigkeiten, vor allen Dingen die amerikanische Israel-Politik ist in Saudi-Arabien immer wieder sauer aufgestoßen, aber in der Regel gab es doch ein sehr, sehr vertrauensvolles Verhältnis zueinander. Ein bisschen auch irritiert durch 9/11 mit 15 der 19 Attentäter aus Saudi-Arabien, das war natürlich auch ein sehr starkes krisenhaftes Element, aber ansonsten überwogen immer die gemeinsamen Interessen.
Und dann, muss ich sagen, in jüngster Zeit hat sich natürlich die saudische Regierung, das saudische Königshaus sehr, sehr kritisch über die USA geäußert, wie sie mit ihrem Verbündeten Mubarak umgegangen ist, dass sie ihn hat fallen lassen. Das sahen sie schon als Menetekel für die mögliche Sicherheitsgarantie, die die Amerikaner ihnen gegenüber ausgegeben haben.
Sie sind sehr unzufrieden mit der amerikanischen Position in Syrien, und jetzt sehen sie aus ihrer Sicht ein Entgegenkommen, einen Ausgleichskurs zwischen den USA und Iran, dem Rivalen am Golf. Und das sind natürlich jetzt Momente, die zusammenkommen, die zu großen Irritationen in Saudi-Arabien führen.
Stucke: Also das, sagen wir mal, ist die Kritik Saudi-Arabiens an den USA. Aber hat das Land denn auch die Möglichkeit, Einfluss zu nehmen?
Fürtig: Wie gesagt, aus den Jahrzehnten der gemeinsamen Interessenverfolgung haben sich auch viele - vor allen Dingen aus Gründen, die ich vorhin genannt habe, der sehr starken Verflechtungen, der letztendlich auch Abhängigkeit im Energiesektor - Entwicklungen vollzogen, die dazu geführt haben, dass Saudi-Arabien erhebliche Mengen des Ölgeldüberschusses, also der Petrodollars, wieder in den USA angelegt haben. Man spricht gegenwärtig von einer Höhe von 700 Milliarden Dollar an saudischen Investitionen in den USA. Das führt natürlich dazu, dass beide jetzt über das von mir beschriebene Kartell hinaus auch wirtschaftlich, über den Ölsektor hinaus, miteinander verbunden sind.
Das heißt, saudische Investitionen in den USA sind so stark, dass man aus amerikanischer Sicht natürlich auf jeden Fall darauf achten muss, dass die Politik immer noch so berechenbar bleibt und das Verhältnis immer noch so berechenbar bleibt, dass die saudische Seite nicht etwa auf die Idee kommt, in großen Zügen diese Investitionsmittel wieder abzuziehen. Das würde eine enorme Krise in den USA auslösen.
Stucke: Herr Fürtig, vor dem Hintergrund all dieser Informationen - womit rechnen Sie denn bei den morgen anstehenden Verhandlungen?
Fürtig: Man wird auf jeden Fall im Sinne der atmosphärischen Entwicklung darauf achten, vor allem auch von iranischer Seite, aber letztendlich auch von westlicher Seite aus, dass es zumindest wieder in kleinen Schritten vorwärts geht. Die Reaktionen auf die großen Erwartungen, die man an das letzte Treffen gesetzt hat, die ja dann letztlich enttäuscht worden sind, hat keiner Seite wirklich genutzt.
Die Medien waren außerordentlich kritisch und sind eigentlich mit beiden Seiten sehr, sehr kritisch umgegangen. Und ich glaube auch, aus politischem Kalkül heraus will niemand derjenige sein, der an einem weiteren Scheitern oder einem weiteren Stillstand wirklich am Ende schuld ist oder zumindest zum Schuldigen gemacht wird.
Also man wird zumindest im atmosphärischen Teil und möglicherweise auch beim - dass vielleicht ein oder zwei kleine Schritte gelingen, dafür Sorge tragen, dass dieses Treffen ein Erfolg, wenn auch sozusagen in bescheidenem Maße, aber ein Erfolg wird.
Stucke: Vielen Dank für diese Einschätzungen an Henner Fürtig, den Direktor des GIGA-Instituts für Nahost-Studien. Herr Fürtig, ich danke Ihnen fürs Gespräch!
Fürtig: Ja, gerne, danke!
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