Atomgipfel

Zugang zu waffenfähigem Material erschweren

Kernwaffen seien die größte Bedrohung auf der Welt, sagt der Sicherheits- und Risikoforscher Wolfgang Liebert vor dem Atomgipfel in Den Haaag. Deshalb müsse der Zugang zu waffenfähigem Material erschwert werden. Ersatzstoffe für hoch angereichertes Uran und Plutonium seien "ein ganz wichtiger Schritt".
Gabi Wuttke: Die Angst vor tödlichen Atomwaffen – seit fast 70 Jahren, seit Hiroshima und Nagasaki, gibt es sie für uns alle. Dass die politische Kampfansage gegen den Missbrauch atomaren Materials aus den USA kam, verwundert nicht, und schon gar nicht, dass Barack Obama sie acht Jahre nach dem 11. September Atom-Gipfel taufte. In Den Haag beginnt er heute zum dritten Mal, und wieder malt das weiße Haus Schreckensszenarien in den düstersten Farben. Wolfgang Liebert ist Professor an der Universität für Bodenkultur in Wien. Dort leitet er das Institut für Sicherheits- und Risikowissenschaften. Einen schönen guten Morgen, Herr Liebert!
Wolfgang Liebert: Guten Morgen aus Wien!
Wuttke: Hat Barack Obama Recht? Sind Nuklearwaffen noch immer die größte Bedrohung der Welt, oder passt das nur gut ins amerikanische Selbstbild des Weltpolizisten?
Liebert: Dass Kernwaffen die größte Bedrohung unseres Globus noch immer sind, da könnte ich, glaube ich, zustimmen. Nur würde ich betonen, es sind die Kernwaffen, die wir schon besitzen – viele, viele Tausend – und ich würde nicht so sehr einschätzen, dass ausgerechnet der Nuklearterrorismus durch terroristische Gruppen das große Problem ist. Eher der Terror durch die Kernwaffen, die wir schon in den Arsenalen haben. Und wenn das der Fokus ist von Obama, dann bin ich ganz auf seiner Seite.
Wuttke: Nuklearterrorismus ist also nichts, was bei Ihnen ganz oben auf der Agenda steht, und bei diesem Atomgipfel auf der Agenda stehen sollte?
Liebert: Das ist richtig. Unser Umgang in den Forschungsprojekten, wo wir Forschungsreaktoren betreiben, in sechzig Staaten der Welt laufen Forschungsreaktoren, also nicht die großen Leistungsreaktoren. Da war es üblich über viele Jahrzehnte, hochangereichertes Uran, also direkt waffengrädigen Stoff zu verwenden. Und wenn die Staaten da sich massiv bemühen – und da hat sicherlich die USA auch die Führung übernommen, was ich sehr gut finde –, da wieder sich herauszubewegen, Ersatzstoffe zu erfinden und dann auch in Reaktoren einzusetzen, sie also umzurüsten, dann ist das ein ganz wichtiger Schritt, um diesen latenten Zugriff auf atomwaffentaugliches Material sehr deutlich an der Quelle einzuschränken.
Und da müsste auch Deutschland noch was tun. München betreibt einen Forschungsreaktor, der mit den Konversionsbrennstoffen entwickelt worden sind, doch immer noch hochangereichertes Uran verwendet. Das ist ein ganz schlechtes Beispiel, wo sich die Staaten, insbesondere auch Deutschland, sehr bemühen müssten, mit besserem Beispiel jetzt voranzugehen.
"Situation hat sich etwas entspannt"
Wuttke: Das ist ja nun der dritte Atomgipfel. Heißt das, in den letzten sechs Jahren ist, wenn wir es auf Deutschland beziehen, nichts passiert?
Liebert: Es ist schon einiges passiert. Insbesondere kann man durchaus aus den Statistiken, die man natürlich auch nicht im Detail einsehen kann, aber Statistiken, die die Atomenergieorganisation, die IAEO, hier in Wien führt, aufgrund von Angaben der Staaten, kann man schon sehen, dass in manchen Bereichen die Situation sich wieder etwas entspannt hat. Also, dass es so viel an Fällen gibt, wo dann plötzlich irgendwo atomwaffentaugliches Material auftaucht oder in die Richtung weisendes Material, das hat sich etwas reduziert.
Es sind so ein bisschen mehr als ein Dutzend Fälle überhaupt aufgetaucht, wo es um diese konkreten Waffenstoffe Plutonium und hochangereichertes Uran geht. Und nie in Mengen, die man insgesamt für bedrohlich halten muss. Nur das Signal war bedrohlich, dass überhaupt etwas passieren kann. Dann hat es sehr viele Fälle auch in den letzten Jahren gegeben, wo radiologisch relevantes Material, was also vielleicht auch für schmutzige Bomben Verwendung finden könnte, aufgetaucht ist. Das hat in den Peak so um 2006 –
Wuttke: Was für Stoffe sind das?
Liebert: Das sind so Stoffe wie Cäsium 134, 137, die wir jetzt aus den Unfallszenarien, so wie Fukushima und Tschernobyl kennen, die also bei den Prozessen in den Reaktoren als Spaltprodukte entstehen. Oder Kobalt 60, was in medizinischen Anwendungen eine Rolle spielt, und eine ganze Menge anderer Isotope, die auch in industriellen Anwendungen eine Rolle spielen. Diese Dinge sind eventuell brauchbar, und das ist auch eine alte Geschichte, die schon von Oppenheimer und anderen in dem ersten großen Waffenprogramm der USA im Zweiten Weltkrieg überlegt wurden.
Dass, wenn man es nicht schafft, eine wirkliche Kernsprengung zu erreichen mit spaltbarem Material, kann man natürlich hochgiftiges radiotoxisches Material auch durch eine gewöhnliche Kern- Sprengung von konventionellem Sprengstoff über eine Region verbreiten. Das ist das typische Terrorszenario, wovor man auch sicherlich sich Sorgen machen muss, weil es langfristige Folgen haben kann, aber es ist natürlich was völlig anderes, eine Kernwaffe zum Einsatz zu bringen.
"Dann wären wir auf der sicheren Seite"
Wuttke: Sie haben mir das Stichwort gegeben. Das sind Fälle, die bekannt geworden sind, Diebstähle. Es ist aber de facto nichts passiert, glücklicherweise, bislang, muss man sagen. Nun könnte man ja für den Atomgipfel heute und morgen mutmaßen, dass Obama die Arbeit der NSA aufzuwerten versucht. In welchem Verhältnis stehen denn Diebstahl auf der einen Seite, das große Wort vom Nuklearterrorismus, und die Arbeit der Geheimdienste.
Liebert: Es ist natürlich so, dass man gegen solche terroristischen Bedrohungen nicht mit den üblichen Mitteln der Staaten gut vorgehen kann. Also Krieg – gegen wen soll man da Krieg führen? Auch die üblichen polizeilichen Maßnahmen, die auf nationaler Ebene meistens organisiert werden, können fehlgehen. Das ist sehr schwierig, an diese Gruppen heranzukommen und dann auch zu sehen, was sie eigentlich wirklich vorbereiten. Es ist klar, dass Geheimdienste da auch sehr aktiv sind. Also die Undercover-Aktionen spielen sicherlich eine große Rolle.
Nur, wenn uns jetzt eingeredet wird weil es diese latente Bedrohung auch gibt, die wir uns ja im Prinzip selber an den Hals geholt haben, indem wir mit diesen Materialien umgehen –, jetzt müssten unsere bürgerlichen Freiheiten extrem eingeschränkt werden, da würde ich doch sagen, da sollten die Alarmglocken bei allen Demokraten schlagen. Das sollten wir nicht zulassen, sondern eher versuchen, andere Wege auszudenken.
Wuttke: Sagen Sie das als Bürger, als Wissenschaftler, oder schlägt da tatsächlich bei diesem Thema ein Herz in Ihrer Brust?
Liebert: Es ist beides. Als Wissenschaftler bin ich natürlich eher geneigt, nach den Ursachen immer weiter zurückzufragen. Und die Ursachen dafür, dass wir da tatsächlich ein latentes Problem haben, dass auch substaatliche Gruppen da in irgendeiner Form aktiv werden können, ist, dass wir überhaupt mit diesen Materialien umgehen. Und es gibt den Bereich, sicherlich im Medizinbereich, wo es eher darum geht, die gewisse Sorglosigkeit, die mal irgendwann Einzug gehalten hat, die wieder umzukehren. Da geschieht aber schon einiges. Dass man also mit den Materialien klug umgeht, dass man den Zugang sehr deutlich beschränkt nur auf die Leute, die wissen, um was es sich handelt, und auch dafür sorgen, dass unautorisierte Personen keinen Zugriff kriegen.
Wenn wir über die spaltbaren Materialien, wenn wir darüber nachdenken, dann können wir Wege finden, wie wir einmal das, was da ist, sichern, dass es nicht dann in andere Hände – ich vermeide den Begriff "falsche Hände" – gerät, denn die, die Kernwaffen bauen, sind meiner Meinung nach immer diejenigen, die die falschen Hände haben sozusagen. Und dass wir uns bemühen, aus diesen Prozessen wieder uns rauszubewegen.
Das heißt, wir müssen schon auch über einen Verzicht von hochangereichtertem Uran in allen Anwendungen nachdenken und das auch durchführen. Und dasselbe, denke ich auch, mit Plutonium. Dann wären wir durchaus auf der sicheren Seite in der mittelfristigen und langfristigen Aktion, und bräuchten uns eigentlich weniger Gedanken darüber machen, dass dann ein sogenannter Missbrauch davon möglich ist, während wir den Missbrauch ja selber in den Kernwaffenstaaten und ihren Verbündeten zumindest in den letzten Jahrzehnten goutiert haben.
Wuttke: Sagt im Deutschlandradio Kultur der Sicherheits- und Risikoforscher Wolfgang Liebert. Ich danke Ihnen sehr und wünsche Ihnen einen schönen Tag!
Liebert: Gleichfalls!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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