Höhn: Widerstand ist "erstaunlich stark"
Gut vier Jahre nach der Atomkatastrophe von Fukushima nimmt Japan erstmals wieder einen Kernreaktor in Betrieb. Damit stellt sich Japans Regierung gegen einen Großteil der Bevölkerung, meint Bärbel Höhn (Grüne), die Bundestagsabgeordnete und Umweltpolitikerin.
Gegen das Wiederhochfahren des Atomkraftwerks Sendai gebe es großen Widerstand, sagte Höhn im Deutschlandradio Kultur nach einer zweiwöchigen Reise durch Japan. Es gebe jede Woche Demonstrationen in Tokio, die sich regelmäßig auch gegen die Atomkraft richteten. Für sie, Höhn, sei deutlich geworden: "Premierminister Abe kann diesen Kurs - diesen Atomkurs, den er da fährt - nur gegen den Widerstand der Mehrheit der Bevölkerung durchsetzen."
Die Anti-Atomkraft-Bewegung sei "für japanische Verhältnisse" erstaunlich stark, sagte Höhn. Man müsse bedenken, dass es in Japan vor Fukushima "keinen wirklichen Widerstand gegen die zivile Nutzung von Atomkraft gab". Bestimmte Protestformen, wie sie hierzulande existierten, seien so in Japan in der Vergangenheit nicht üblich gewesen. Auch dass sich inzwischen konstant 57 Prozent der Bevölkerung gegen die Atomkraft aussprächen, sei für Japan "schon sehr ungewöhnlich".
Das Problem bestehe darin, dass Premierminister Abe bei den letzten Wahlen mit großer Mehrheit gewählt worden sei, so Höhn. Abe besitze eine große Nähe zu den Atomkonzernen: "Die haben einen Rieseneinfluss auf die Politik, die wollen natürlich ihre Atomkraftwerke länger laufen lassen, um da auch wieder mehr Gewinne machen zu können. Und da steht der Premierminister Abe auf deren Seite."
Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: In Deutschland hatte die Atomkatastrophe in Fukushima, die im März 2011 begann, ganz konkrete Folgen: Die Bundesrepublik will in Zukunft auf Energieerzeugung in Kernkraftwerken verzichten. Japan nicht – dort wurde vor halbwegs genau vier Stunden der erste Block des Kernkraftwerks Sendai in der südwestlichen Provinz Kagoshima wieder hochgefahren. Ab Freitag produziert es dann auch wieder Strom und das, nachdem Japan ja nun eine ganze Weile sehr gut ohne Kernkraft ausgekommen ist. Die grüne Bundestagsabgeordnete und frühere NRW-Umweltministerin Bärbel Höhn ist gerade erst gestern nämlich von einer zweiwöchigen Japanreise zurückgekehrt. Während dieser Reise hat sie unter anderem die Region Fukushima besucht und viele Gespräche geführt. Schönen guten Morgen, Frau Höhn!
Bärbel Höhn: Guten Morgen, Herr Kassel!
Kassel: Welche Stimmung haben Sie denn in Japan gespürt? Wie nimmt man jetzt diesen Quasi-Wiedereinstieg in die Kernenergie nach einer mehrjährigen Pause wahr?
Höhn: Es gibt einen großen Widerstand dagegen, dass ein Atomkraftwerk wieder hochgefahren wird, dass man also wirklich wieder einsteigt in die zivile Nutzung von Atomkraft. Es gibt jede Woche Demonstrationen in Tokyo mittlerweile, die sich auch gegen die Atomkraft, auch gegen andere Fragen richten. Also von daher war sehr deutlich, also der Premierminister Abe kann diesen Kurs, diesen Atomkurs, den er da fährt, nur gegen den Widerstand der Mehrheit der Bevölkerung durchsetzen.
Kassel: Warum, meinen Sie, tut er das?
Höhn: Er ist sehr nah an den Atomkonzernen, und man nennt das das atomare Dorf dort, also die haben einen Rieseneinfluss auf die Politik, die wollen natürlich ihre Atomkraftwerke länger laufen lassen, um da auch wieder mehr Gewinne machen zu können, und da steht der Premierminister Abe auf deren Seite.
Kassel: Das kommt mir irgendwo her bekannt vor. Sie sind nach Japan gefahren unter anderem, so hatten Sie das angekündigt, um dort auch mit Vertretern der Anti-Atomkraft-Bewegung zu sprechen und denen den Rücken zu stärken. Wie stark ist denn diese Bewegung viereinhalb Jahre nach Fukushima?
Ungewöhnlicher starker Widerstand für "japanische Verhältnisse"
Höhn: Ich finde sie für japanische Verhältnisse erstaunlich stark, denn bei denen sind bestimmte Protestformen, wie wir sie haben, eigentlich in der Form in der Vergangenheit nicht so üblich gewesen. Aber dass sie wirklich jeden Freitag demonstrieren, zum Beispiel auch die Mütter von Fukushima die ganze Zeit seit 2011 vor dem Ministerium METI ihre Stände aufgebaut haben, dort auf dem Bürgersteig eben lagern, das sind eigentlich schon Protestformen, die sind für Japan auch ungewöhnlich. Aber das Problem ist eben, bei der letzten Wahl ist der Premierminister Abe mit großer Mehrheit gewählt worden, und er braucht einen Koalitionspartner, aber trotzdem ist er stark gewählt worden, und dafür sucht er seinen Kurs eben durchzusetzen.
Kassel: Aber wenn Sie sagen, Frau Höhn, die Mehrheit der Japaner will keinen Wiedereinstieg in die Kernenergie – ist das nicht vielleicht auch ein bisschen stark durch die grüne Brille gesehen? Also mir liegt zum Beispiel eine Umfrage vor einer japanischen Tageszeitung, da sagen 57 Prozent ganz konkret, dass sie nicht wollen, dass dieser eine Reaktor, der heute wieder in Betrieb geht, eingefahren wird. 57 Prozent ist noch nicht so viel, und es kommt ja auch immer darauf an, was man genau fragt.
Höhn: Man muss sehen, dass in Japan anders als bei uns vor Fukushima es überhaupt gar keinen wirklichen Widerstand gegen die zivile Nutzung von Atomkraft gab. Kinder haben in der Schule Bilder gemalt, wie toll die Atomkraft ist, am Strand vor so einem Atomkraftwerk, also in Sichtweite eines Atomkraftwerks haben die Leute sich im Sommer amüsiert, das heißt, es gab überhaupt gar keine Kritik an der zivilen Nutzung. Und diese 57 Prozent sind immer sehr stabil über die ganze Zeit, haben sich sogar noch ein bisschen verstärkt in den letzten Monaten, und das ist für Japan schon sehr ungewöhnlich.
Kassel: Aber das Spezielle an diesem Kraftwerk ist ja – und es gab ja auch eine Klage, die abgewiesen wurde dagegen –, dass es über 30 Jahre alt ist. Ist das nicht ein Unterschied, ob Japaner sagen, wir finden, gewisse Sicherheitsvorkehrungen müssen verstärkt werden, gewisse Kraftwerke sind zu gefährlich oder ob sie sagen, wir wollen einfach gar keine Kernenergie mehr?
Höhn: Ja, ich glaube, dass ihnen durch Fukushima irgendwie klar geworden ist, dass gerade auch in Japan noch besondere Gefahren für Atomkraftwerke lauern, also eben dadurch, dass das ein enormes Erdbebengebiet ist, und das hat ja jetzt Fukushima auch gezeigt mit dem Tsunami zusammen, dass dann eben entsprechende Vorsichtsmaßnahmen nicht eingeleitet worden sind von den Betreibern, und insofern sehen viele Japaner das mittlerweile sehr, sehr kritisch. Also ich fand schon erstaunlich, wie stark – man muss ja sehen, Japan ist auch ein sehr überaltertes Land –, wie stark sich auch sehr viele junge Leute da jetzt engagieren.
Rückkehr in die Region Fukushima für viele Familien schwierig
Kassel: Sie waren auch auf dieser aktuellen Reise – Sie sind ja nicht das erste Mal in Japan gewesen –, aber auch auf dieser aktuellen Reise gerade in der Präfektur Fukushima. Die Regierung will, dass schon in wenigen Wochen die ersten Einwohner wieder in Dörfer in diesem Gebiet zurückkehren. Sie haben gesehen, wie es da im Moment ist – halten Sie das für sinnvoll, für möglich?
Höhn: Das muss man sehr unterschiedlich sehen. Es gibt natürlich gerade die alten Menschen, die gerne wieder zurück in ihre Heimat, in ihr Haus wollen, es gibt die Männer, die da auch gerne sein wollen, weil sie einfach nur dort auch Arbeit finden, das ist ja teilweise eben auch, ja, sind das eigentlich arme Teufel, die ansonsten eben Riesenexistenzprobleme haben, und es gibt die Frauen mit den Kindern, die nicht gerne zurück wollen, weil sie einfach auch Angst um die Gesundheit ihrer Kinder haben. Also es hat da auch viele zerrissene Familien gegeben und gibt sie weiterhin. Also insofern, glaube ich, muss man damit unterschiedlich umgehen.
Das, was ich nur sehe, ist, dass der Premierminister Abe versucht, möglichst zur Normalität zurückzukommen, damit eben auch an einigen Punkten die Grenzwerte noch weiter hochzusetzen. Und dann stellt sich irgendwann mal ja auch die Frage der Entschädigung – diejenigen, die jetzt nicht zurück wollen, werden die weiter entschädigt, bekommen die weiter Unterstützung oder wird dann nicht auch der Druck gemacht, also entweder ihr geht jetzt zurück oder ihr guckt, wie ihr durchkommt.
Kassel: Blicken die Japaner eigentlich in diesem Zusammenhang – also auch im Zusammenhang mit dem Wiederhochfahren dieses einen Reaktors heute – nach Deutschland? Es ist ja kurios, aber dennoch wahr: In Deutschland hat Fukushima konkret zum endgültigen Atomausstieg geführt. Wir erinnern uns, die damalige Regierung hatte den zuvor schon beschlossenen Ausstieg ja erstmal wieder zurückgenommen und dann kam Fukushima. In Japan passiert das nicht. Ist das den Menschen in Japan bewusst, was in Deutschland passiert ist?
Höhn: Ja, ganz vielen schon, und es gibt eben auch gerade in Umweltkreisen das Vorbild Deutschland. Ich glaube aber, die jetzige Regierung sieht Deutschland nicht als Vorbild, die haben ja Zahlen für ihren Strommix im Jahre 2030 vorgelegt, da sollen die Erneuerbaren 22 bis 24 Prozent ausmachen und die Atomkraft 20 bis 22 Prozent. Das würde bedeuten, dass man die jetzigen Atomkraftwerke entweder über 40 Jahre hinaus länger laufen lassen muss oder neue Atomkraftwerke bauen will, und das wäre nun eine vollkommen andere Politik als die, die in Deutschland gefahren wird.
Kassel: Die Grünenpolitikerin Bärbel Höhn war gerade bis gestern in Japan, hat sich dort unter anderem mit Vertretern der dortigen Anti-Atomkraft-Bewegung unterhalten, unmittelbar bevor nun heute der erste Block eines Reaktors im Süden des Landes wieder eingeschaltet wurde. Frau Höhn, herzlichen Dank für das Gespräch!
Höhn: Bitteschön!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.