Strahlender Schrott
Seit mittlerweile zehn Jahren wird am Abriss des Kernkraftwerks in Mülheim-Kärlich am Mittelrhein gearbeitet. Doch die zentrale Frage bleibt: Wohin mit dem strahlenden Müll?
Dass der Geigerzähler bei der Kontrollmessung ausschlägt, war zu erwarten. Allerdings reagiert er nur im Mikrosievert-Bereich. Deshalb kann der Stahlschrott aus der riesigen gewölbten Betonkuppel, dem Inneren des Kernkraftwerks Mülheim-Kärlich, raus Richtung Schrotthändler. In handelsüblichen Metallgitterboxen haben schon rund 10.000 von einst 14.000 Tonnen der Einbauten das AKW verlassen. Über so eine Box beugt sich die Elektroingenieurin Dagmar Butz. Seit 27 Jahren ist sie bei RWE beschäftigt, der Schutzanzug ist ihr eine Art zweite Haut geworden.
"Alles, was jetzt hier im Moment an Systemen demontiert wird - Kabel, Rohrleitungen, kleine Pumpen, Isoliermaterial - wird so zerlegt, dass es in diese Gitterboxen passt. Es wird sortenrein sortiert."
750 Millionen Euro für den Rückbau
Und gesäubert. In das Containment hat RWE einen Spezialhochdruckreiniger eingebaut. Er schießt mit bis zu 2400 Bar Wasser auf den strahlenden Schrott. Danach ist er sauber. Dreck und Radioaktivität sammeln sich in einem Schlammfass. So bessert der Schrott etwas die Konzernkasse auf. Auch die Dampfturbinen konnten verkauft werden, sie sollen in einem ägyptischen Gaskraftwerk Strom erzeugen. Insgesamt rechnet RWE jedoch mit 750 Millionen Euro, die der Rückbau in Mülheim-Kärlich kosten wird - für ein AKW, dessen Bau einst sieben Milliarden D-Mark gekostet hat. Vor zehn Jahren wurden die letzten Brennelemente abtransportiert, das Abklingbecken ist längst ausgetrocknet. Der tief in Beton eingebaute Reaktordruckbehälter strahlt bis heute. Dagmar Butz:
"Weil der eben sehr nah an dieser Kernspaltung dran gesessen hat, ist das Material nicht kontaminiert, sondern aktiviert. Das heißt, der Reaktordruckbehälter ist selber radioaktiv geworden. Und hier haben wir keine Chance auf Reinigung. Der Behälter wird 1 zu 1 in den radioaktiven Abfall gehen."
Wohin mit dem strahlenden Müll?
Dagmar Butz streift die Schutz-Überschuhe ab und geht in ihrem orangefarbenen Schutzanzug durch den Kontaminationsmesser Richtung Verwaltungstrakt. Von einst 460 RWE-Mitarbeitern sind in Kärlich noch 50 aktiv, unterstützt von 70 Mitarbeitern von Fremdfirmen, die sich um die Demontage kümmern. Die Kantine ist noch in Betrieb, nur bleiben hunderte Stühle leer. Auch die Werksfeuerwache ist inzwischen aufgelöst, die Berufsfeuerwehrleute im Vorruhestand. Im Verwaltungstrakt liegen die Pläne für die nächste Stufe des Rückbaus. Die ständige Ungewissheit, ob und wann Kärlich nochmal ans Netz gehen durfte, war zermürbend, sagt sie. Und auch jetzt bleibt bei den ganzen Rückbauplanungen die große Frage: Wenn zeitnah kein Endlager gefunden wird - wohin mit dem strahlenden Müll? Womöglich muss RWE am Standort ein eigenes Zwischenlager einrichten. Vielleicht bleiben auch die Reaktorkuppel und der Schornstein noch jahrelang stehen. Sicherer Einschluss hieße das. Schneller weichen dürfte der Mülheim-Kärlicher Kühlturm. Mit 162 Metern etwas höher als der Kölner Dom. Um ihn herum jagen Füchse Kaninchen. Drinnen im 120 Meter breiten Rund: Vogelgeschrei.
Hier gehen Falkenpärchen auf Singvogel- und Taubenjagd. Der Künstler Anselm Kiefer hätte den Kühlturm am Rheinufer gerne zu seinem Mausoleum gemacht. Bei RWE winkt man da ab und betont, dass man auf die Abrissgenehmigung durch das rheinland-pfälzische Umweltministerium für den Kühlturm warte. Für 50.000 Tonnen Beton. Dagmar Butz:
"Sie sehen ja, das ist eine leere Betonhülle. Mehr nicht. Und ist, wenn das Gelände aus dem Atomgesetz entlassen ist, ein konventioneller Abriss eines Gebäudes."
Zu den aktuellen Berichten über die Idee einer staatlichen Stiftung für das Kernkraftwerksgeschäft will sich die Ingenieurin mit keiner Silbe äußern. Sie lacht nur, als ich sage, dass sie vielleicht ja noch Beamtin wird. Inzwischen ist sich Dagmar Butz ziemlich sicher: Die alte Belegschaft, die in Mülheim-Kärlich Ende der 70er-Jahre angefangen hat, wird komplett in Rente gegangen sein, wenn hier mal wieder grüne Wiese sein sollte.