Eine Aufgabe für Jahrzehnte
Rund 180 Tonnen strahlende Kernbrennstoffe lagern immer noch in der maroden Atomruine in Tschernobyl. Um den Atommüll sicher zu entsorgen, soll das Kraftwerk mit einer gewaltigen Schutzhülle überzogen werden. Umweltschützer bezweifeln, dass der Plan funktioniert.
Eine Baustelle der Superlative: Weiß und metallisch glänzend steht das bogenförmige Gebilde in der trostlosen Kulisse, direkt am Kraftwerk von Tschernobyl. Die Ausmaße der Stahl-Konstruktion sind gigantisch: Die Grundfläche so groß wie die eines Fußballstadions. Das Dach so hoch, dass eine Kirche darunter passen würde. Projektleiter Viktor Salisetzky spricht von einem ingenieurtechnischen Meisterwerk:
"Derzeit beträgt das Gesamtgewicht der Kuppel mit allen Anbauten 38.000 Tonnen. Es gibt 650.000 Befestigungselemente, die allein 950 Tonnen wiegen. Die Innen- und Außenwände der Hülle sind mit Edelstahl überzogen, die Außenwand mit einer 0,7 Millimeter dicken Platte, die Innenwand mit einer Platte von 0,6 Millimeter."
Seit vier Jahren bauen Tausende Arbeiter an der Schutzhülle - teils in kurzen Schichten von wenigen Stunden, damit die Strahlenbelastung für jeden einzelnen nicht zu hoch wird, hier in unmittelbarer Nähe der Atom-Ruine.
Schutzhülle für die nächsten 100 Jahre
In einem halben Jahr soll die Konstruktion auf Schienen gesetzt und über den Unglücksreaktor geschoben werden. Der Wissenschaftler Sergej Paskewitsch erklärt die schwierigste Arbeit, die danach kommt:
Sergej Paskewitsch: "Wenn man den neuen Sarkophag darüber geschoben hat, wird man damit beginnen, die strahlenden Stoffe herauszuholen. Man muss die Stoffe dann noch weiter lagern. Und das Lager dafür muss noch gebaut werden. Das alles ist eine Menge Arbeit. Deshalb hat man die neue Schutzhülle auf eine Zeit von 100 Jahren angelegt."
Der Reaktor war nach dem Unglück 1986 in hektischer Arbeit mit Blei und Sand zugeschüttet, dann mit Stahl und Beton abgedeckt worden. Darunter liegen bis heute 180 Tonnen strahlende Kernbrennstoffe. Dieser so genannte erste Sarkophag ist marode geworden, deshalb wurde die zweite Schutzhülle gebaut. Unter ihrem Dach soll der Atommüll aus dem Reaktor geholt und dann das Kraftwerksgebäude abgerissen werden. Eine Aufgabe für Jahrzehnte. Umweltschützer bezweifeln, dass der Plan überhaupt funktioniert. Thomas Münchmeyer von Greenpeace beschreibt, wie viel radioaktives Material es in Tschernobyl insgesamt gibt:
"Die bloße Menge des Atommülls. Wenn man sich das vor Augen führt: Vom Volumen haben wir es da zu tun am Standort mit mindestens 600.000 Kubikmetern. Das ist das Doppelte von dem, was die gesamte deutsche Atom-Wirtschaft in 60 Jahren produziert hatte."
Entsorgung des Atommülls kostet Millliarden
Die Ukraine konnte schon die zwei Milliarden für die neue Schutzhülle nicht selbst aufbringen. Deshalb übernahmen die G7-Staaten und die Europäische Union den Großteil. Die anstehenden Entsorgungsarbeiten in Tschernobyl werden weitere Milliarden kosten. Wer die bezahlt, ist nicht geklärt.
An der bisherigen Finanzierung hat sich Deutschland mit rund 300 Millionen Euro beteiligt. Bundesumweltministerin Barbara Hendricks besuchte Tschernobyl vor einigen Wochen und versprach:
"Es ist jedenfalls klar, dass sich die G7 dafür verantwortlich fühlen. Und der zweite Sarkophag, der gibt ja die Möglichkeit, dass dann zukünftig sozusagen automatisiert gearbeitet werden kann. Also mit ferngesteuerten, roboterähnlichen Gebilden, die dann hier weiter arbeiten können."
Umweltschützer sind allerdings skeptisch, ob der Atommüll tatsächlich auf diese Art herausgeholt werden kann – oder ob nicht doch auch wieder Menschen diese gefährliche Arbeit machen müssen. Mit dem Bau des neuen Sarkophags ist also allenfalls ein kleiner Schritt getan, um die Katastrophe von Tschernobyl zu bewältigen.