Atomsemiotik für die Nachwelt

Hier bitte nicht buddeln!

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Bergleute und Gäste stehen im ehemaligen Erkundungsbergwerk Salzstock Gorleben.
Wie sollten wir unsere Nachwelt vor unserem strahlenden Erbe warnen? Seit Jahrzehnten schon befasst sich die Atomsemiotik mit dieser Frage. © picture alliance / dpa / Philipp Schulze
Überlegungen von Robert Gast |
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Atommüll ist hochradioaktiver Abfall, der unter Tage versiegelt werden muss. Heute ist die Gefahr allen bewusst. Aber wie ist das in tausenden von Jahren? Journalist Robert Gast zur Atomsemiotik und der Frage, wie sich mit der Nachwelt kommunizieren lässt.
Deutschland sucht ein Endlager für seinen Atommüll. Es soll die gelben Fässer sicher verwahren, am besten für eine Million Jahre. Bis 2031 will die Bundesregierung einen geeigneten Standort finden. In den Jahren darauf werden Bagger und Bohrer anrücken. 2050 folgen dann die Castoren mit Deutschlands hochradioaktivem Abfall. 10 Millionen Kilogramm gilt es unter Tage zu versiegeln.
Bei der Planung für das Endlager geht es bislang vor allem um Geologie. Dringt irgendwann Wasser in den Salzstock ein? Hält das Tongestein? Solche Fragen sind wichtig, aber sie sind nur ein Teil des Problems. Geologische Vorgänge kann man vorhersagen. Der Mensch hingegen ist unberechenbar. Erst recht, wenn es um Zeiträume geht, die tausende Generationen überspannen.

Gefahr der Radioaktivität vermitteln

Werden unsere fernen Nachkommen noch wissen, was Radioaktivität ist? Oder werden sie unser sorgsam geplantes Endlager einfach wieder ausbuddeln? Vielleicht wundern sie sich dann über das sonderbare, wärmespendende Metall darin - und heizen damit kurzerhand ihre Hütten.
Man kann das für ein albernes Gedankenspiel halten. Aber was wissen wir schon über die Zukunft? Vor 10.000 Jahren lebte Homo Sapiens noch in Höhlen. Erst vor rund 5000 Jahren erfand er die Schrift. Würden wir einem Menschen von damals begegnen, könnten wir mit ihm höchstens Handzeichen austauschen. Er oder sie wäre für uns vermutlich ähnlich fremd wie ein Außerirdischer.
Wie also sollten wir mit unserer Nachwelt kommunizieren, wie sie vor unserem strahlenden Erbe warnen? Seit Jahrzehnten schon befasst sich die wissenschaftliche Nischendisziplin der Atomsemiotik mit dieser Frage. Im Lauf der Zeit haben Experten verschiedenster Couleur ihre Ideen beigesteuert. Linguisten waren dabei, aber auch Archäologen und Sciencefiction-Autoren.
Zum Teil haben sie skurrile Vorschläge entwickelt. Etwa den, das Erbgut von Katzen zu verändern. Ihr Fell würde sich dann verfärben, wenn sie Radioaktivität ausgesetzt sind. Legendär ist auch die Idee einer "atomaren Priesterschaft", die das Wissen um die Endlager vor dem Verfall bewahren soll.

Warnschilder benötigen kulturellen Kontext

Solche medienwirksamen Einfälle machten die Atomsemiotik zum Gespött. Dabei wollten die Experten nur darauf hinweisen, wie schwierig die ihnen gestellte Aufgabe war. Schließlich eignet sich keine unserer Kommunikationsformen dafür, der fernen Nachwelt zuverlässig etwas mitzuteilen.
Sprachen wandeln sich rasant, wenn man sie unter dem Zeitraffer betrachtet. Zeichnungen und Warnschilder benötigen einen kulturellen Kontext. Was uns ein Totenschädel ist, wird nachfolgende Generationen vielleicht ein grinsendes Gesicht sein.
Doch was muss, das muss. Nicht nur Deutschland plant ein Endlager, sondern auch andere Nationen. Die Atomenergiebehörde der OECD hat daher vor kurzem Einschätzungen von 41 Experten aus 14 Ländern in einem Bericht gebündelt. Er läuft auf eine Art Trendwende hinaus: Statt als potenzielle Eindringlinge sollte man unsere Nachkommen als mündige Wesen betrachten, heißt es darin. Schließlich haben die Menschen der Zukunft ein Recht daran, über ihren Umgang mit unserem Müll zu entscheiden.
Entsprechend gilt es, unser heutiges Endlager-Know-how möglichst vielfältig mit unserem kulturellen Gedächtnis zu verweben. In Museen, gut vernetzten Archiven und sogar dadurch, dass man Endlager zu Kulturdenkmälern erklärt. So könnte das Wissen für viele Generationen weitergegeben werden, glauben die Experten.

Verdrängen hilft nicht beim Endlagerproblem

Die Warnhinweise an den Endlagern, von Monolithen bis hin zu vergrabenen Tontafeln, wären in diesem Szenario nur die letzte Verteidigungslinie, die vielleicht gar nicht nötig ist. Dazu gehört Optimismus, aber was bleibt uns anderes übrig? Die Atomsemiotik jedenfalls zeigt: Durch Verdrängen lässt sich das Endlagerproblem nicht lösen.
Ein aktives Erinnern wäre auch deutlich fairer. Schließlich sollten wir als Menschheit aus dem Atomzeitalter lernen – und es uns in Zukunft zweimal überlegen, wenn wir erneut ein Problem in die Welt setzen, das für tausende Jahre Bestand hat.

Robert Gast, Jahrgang 1984, Diplomphysiker, arbeitet als Wissenschaftsjournalist für das Monatsmagazin "Spektrum der Wissenschaft" und die Nachrichtenseite "Spektrum.de". Er hat Physik an der Universität Heidelberg studiert und bei der "Süddeutschen Zeitung" volontiert. Für seine Artikel wurde er mehrfach ausgezeichnet, etwa mit dem Georg von Holtzbrinck Preis für Wissenschaftsjournalismus (Kategorie Nachwuchs) oder dem Journalistenpreis der Deutschen Mathematiker-Vereinigung.

© Mike Beckers
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