Geduldsprobe in Wien
13 Tage dauert der Verhandlungsmarathon bei den Atomgesprächen mit dem Iran nun schon. Dass die Frist immer wieder verlängert wird, liegt auch daran, dass Teheran zu viel will, glaubt der Politikwissenschaftler Georgio Franceschini.
Dass die Atomverhandlungen mit dem Iran nicht zum Abschluss kommen, liegt auch daran, dass Teheran die Agenda ausdehnen will, meint Georgio Franceschini, wissenschaftlicher Mitarbeiter für den Programmbereich Sicherheits- und Weltordnungspolitik von Staaten bei der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung.
Der Vorschlag des Iran, im Rahmen eines Abkommens auch die Handelsverbote für konventionelle Waffen aufzuheben, sei äußerst unglücklich, sagte Franceschini im Deutschlandradio Kultur. Die Atomverhandlungen hätten sich immer darauf beschränkt, nur einen kleinen Teil der Probleme zwischen dem Iran und dem Westen zu lösen. „Diese Verhandlungen jetzt zu erschweren, indem man neue Themen hineinbringt, macht die Sache nur komplizierter." Es sei besser, „sich rein auf das Nuklearthema zu konzentrieren und da ein Abkommen zu erzielen". Weitere Themen solle man lieber in einem zweiten Schritt angehen, so Franceschini: „Sonst kommt man wirklich nicht ans Ziel."
Zwar befänden sich die Verhandlungen kurz vor dem Erreichen des Ziels, sagte der Politikwissenschaftler. Aber: „Diese letzten 100 Meter ziehen sich." Uneinigkeit bestehe vor allem beim Thema Sanktionserleichterungen. Die Iraner wollten am liebsten alle oder sehr viele Sanktionen sofort abstellen, „während der Westen eher so ein schrittweises Vorgehen anvisiert." Das Problem sei, „dass durch diese letzte Fristüberschreitung, die Sanktionserleichterungen zumindest der amerikanischen Seite sich verzögern werden, weil sie die Zustimmung des Kongresses brauchen und der Kongress über den Sommer in Urlaub geht. Das heißt, da wird es schon mal schwierig."
Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: 13 Tage dauert nun schon die aktuelle Verhandlungsrunde der fünf UN-Vetomächte und Deutschlands mit dem Iran in Wien. So lange war sie nicht geplant, aber das ist so ungewöhnlich nicht, auch schon bei vorherigen Verhandlungsrunden, zum Beispiel in Lausanne vor gar nicht allzu langer Zeit gab es ständig Fristverlängerungen. Das ist auch diesmal in Wien so. Aber vielleicht nicht mehr allzu lange, denn der amerikanische Außenminister John Kerry hat gestern aus seiner zunehmenden Ungeduld kein Hehl gemacht.
O-Ton John Kerry: Wir wissen, dass schwierige Themen nicht einfacher werden, je länger sie verhandelt werden, aber jetzt müssen schnell Entscheidungen getroffen werden, es kann nicht ewig weitergehen. Präsident Obama hat es mir gestern Abend ganz klar gesagt, man kann nicht ewig warten. Wir sind ganz klar darauf vorbereitet, diesen Prozess auch abzubrechen.
Kassel: So weit der amerikanische Außenminister John Kerry zu den Atomverhandlungen in Wien, die noch immer kein Ergebnis gebracht haben. Wir wollen darüber jetzt mit Giorgio Franceschini reden, er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung. Schönen guten Morgen!
Giorgio Franceschini: Guten Morgen!
Kassel: Was bedeuten diese Äußerungen von John Kerry für die Verhandlungen?
Franceschini: Sie bedeuten natürlich einen gewissen Frust, weil die Verhandlungsleiter schon seit Tagen sagen, wir haben weit über 90 Prozent aller Punkte gelöst, wir sind kurz vor dem Erreichen des Ziels, wir sind auf den letzten 100 Metern. Aber diese letzten 100 Meter ziehen sich. Und da kann schon jemand mal die Nerven verlieren.
Kassel: Meinen Sie, das ist nur Mittel zum Zweck, diese Drohung? Um mal ein bisschen die Geschwindigkeit zu erhöhen? Oder droht da tatsächlich der Abbruch im letzten Moment?
Verhandlungsteilnehmer zwischen Frust und Fressattacke
Franceschini: Ich glaube, es wird noch ein paar Tage weiter verhandelt werden. Aber es ist klar, dass diese Verhandlungen irgendwann einmal zu einem Ende kommen müssen. Man hat jetzt die Frist viermal verlängert, mit heute sind wir beim fünften Mal. Und man muss eben auch sagen, dass diese Verhandlungen ja auch nervenzehrend für alle Teilnehmenden sind. Denn es wird bis tief in die Nacht verhandelt, die Leute sind übermüdet, viele Diplomaten beklagen eben auch, dass sie viel Gewicht zugenommen haben, weil sie nachts dann gewisse Fressattacken kriegen, also, es ist auch gesundheitlich, der Gesundheit nicht zuträglich, ewig lang zu verhandeln.
Kassel: Sie haben gesagt, in 90 Prozent der Punkte habe man quasi eine Einigung erreicht. Diese restlichen zehn Prozent, an denen das noch zu scheitern droht, was ist denn das jetzt noch?
Franceschini: Ich glaube, der Hauptpunkt, an dem sich die Parteien streiten, ist die Frage der Sanktionserleichterungen, in erster Linie die Geschwindigkeit der Sanktionserleichterungen. Die Iraner möchten am liebsten sehr viele Sanktionen oder alle Sanktionen sofort praktisch abstellen oder außer Kraft setzen, während der Westen da eher so ein schrittweises Vorgehen anvisiert. Das Problem ist, dass durch diese letzte Fristüberschreitung die Sanktionserleichterungen zumindest der amerikanischen Seite sich verzögern werden, weil sie die Zustimmung des Kongresses brauchen und der Kongress über den Sommer in Urlaub geht. Das heißt, da wird es schon mal schwierig.
Kassel: Die Sanktionen nicht sofort komplett aussetzen, das wollen ja die Amerikaner und auch die fünf anderen beteiligten Länder, die dem Iran gegenübersitzen, auch deshalb nicht, weil sie sagen, wir müssen erst mal genau kontrollieren, ob der Iran sein Versprechen, sein Atomprogramm nur zivil zu nutzen, wirklich einhält. Inwieweit sind denn solche Kontrollen zu 100 Prozent überhaupt möglich?
Franceschini: Zu 100 Prozent möglich sind sie nicht. Aber worum hart verhandelt wird, ist, welche Inspektionsrechte die Inspektoren der Internationalen Atomenergie-Organisation kriegen sollen. Und da verlangen die P5+1, die mit dem Iran verhandeln, schon, dass die IAEO im Iran etwas genauer nachschauen darf als in einem, sagen wir mal, normalen Kernenergieland. Und wenn der IAEO weiträumige Inspektionsrechte zugebilligt werden, kann man zumindest sagen, ist die Wahrscheinlichkeit, dass der Iran dann Dinge macht, die er nicht machen soll, doch sehr gedrosselt und eingeschränkt.
Kassel: Ist der Iran zu diesen Inspektionen über eine gewisse Grenze hinaus nur deshalb nur zum Teil bereit, weil er tatsächlich was zu verheimlichen hat, oder ist es auch eine diplomatische Frage, eine Frage der Ehre, dass dann der Eindruck erweckt wird, wir glauben denen einfach nichts?
Franceschini: Ich glaube, das Problem ist eher zweiteres, dass die Iraner doch der IAEO gegenüber gewisse Vorbehalte haben und sie teilweise eben als nicht den Schiedsrichter sehen, der neutral die Vertragseinhaltung überprüft, sondern eben auch sagen, wir sind von der IAEO ungerecht behandelt worden, die IAEO unterstellt uns ja auch in einem Dossier, dass wir kernwaffenrelevante Forschungen durchgeführt haben. Und ich glaube, worauf die Iraner eben auch hinweisen: Es wurden iranische Wissenschaftler gezielt getötet in den letzten Jahren. Und dementsprechend haben sie gesagt: Wir können nicht allzu transparent mit internationalen Organisationen umgehen und beispielsweise unsere Wissenschaftler interviewen lassen, wie das vielleicht andere Länder machen würden, weil wir hier schlechte Erfahrungen gemacht haben.
Der Iran will zu viel auf einmal
Kassel: Dir Iraner haben ja auch gerade in den letzten Tagen wieder gesagt im Zusammenhang mit den Sanktionen, ein Verhandlungsergebnis würde für sie auch bedeuten, dass sie unmittelbar auch wieder das Recht haben, Waffen zu kaufen. Natürlich keine Atomwaffen, aber Waffen zu kaufen bei anderen Ländern. Inwieweit ist es den Verhandlungspartnern da überhaupt möglich, da klar Ja zu sagen?
Franceschini: Ich halte diesen Vorschlag der Iraner für äußerst unglücklich, weil, die Atomverhandlungen haben sich immer darauf beschränkt, einen kleinen Teil der Probleme, die der Iran und der Westen hat, fokussiert zu lösen. Diese Verhandlungen jetzt zu erschweren, indem man neue Themen reinbringt, macht die Sache nur komplizierter. Man muss auch von westlicher Seite sagen: Wir haben ja auch verzichtet auf Themen, wie zum Beispiel über Themen wie das iranische Raketenprogramm, ganz zu schweigen von iranischen Menschenrechtsfragen zu verhandeln. Das heißt, es ist besser, fokussiert sich rein auf das Nuklearthema zu konzentrieren und da ein Abkommen zu erzielen, und diese Fragen eventuell der Waffenlieferungen sollte man eventuell in einem zweiten Schritt angehen, sonst kommt man wirklich nicht ans Ziel.
Kassel: Es gibt ja noch mindestens ein weiteres Land, das eigentlich eine große Rolle in diesen Verhandlungen spielt, obwohl es nicht mit am Tisch sitzt, Israel nämlich. Wie realistisch ist denn wirklich die Bedrohung Israels durch Waffen aus dem Iran?
Franceschini: Können Sie die Frage wiederholen?
Kassel: Ich habe gesagt, dass – auch wenn es nicht mit am Tisch sitzt bei diesen Verhandlungen – indirekt ja Israel eine große Rolle spielt, das ein solches Abkommen ja teilweise auch ablehnt. Wie realistisch ist denn wirklich das Szenario, dass der Iran Waffen, die er kaufen könnte, gegen Israel einsetzt?
Franceschini: Na ja, die Iraner haben ja momentan eher ihr Engagement in anderen Ländern gezeigt, nämlich Syrien, Jemen und so weiter. Die Israelis sind den Iranern konventionell derart überlegen, dass sich jetzt unmittelbar daraus keine Gefahr für Israel ergibt. Ich glaube, für die israelischen Sorgen sind schon die iranische Kernwaffe, die eine strategische Bedrohung für Israel darstellen würde. Da kann man sagen, dass möglicherweise ein Nuklearabkommen diese Gefahr etwas zurücknimmt. Es löst das Problem nicht, aber es nimmt die Gefahr zurück.
Kassel: Zum Schluss noch mal unser beider Lieblingswort, Fristverlängerung! Wie lange werden die Verhandlungen jetzt noch dauern? Wagen Sie eine Prognose?
Franceschini: Ein iranischer Diplomat meinte, man wird bis Montag, 13. Juli, weiter verhandeln. Das heißt, das Wochenende ist ruiniert für die Verhandlungsdelegationen.
Kassel: Werden sie wieder dicker.
Franceschini: Werden sie wieder dicker, werden wieder schlaflose Nächte haben. Und dann schauen wir mal, was am Montag herauskommt. Aber ich könnte mir vorstellen, dass es auch am Montag heißt, wir sind ganz knapp davor, wir brauchen nur noch einige Tage mehr.
Kassel: Herzlichen Dank! Giorgio Franceschini war das von der Hessischen Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung über die noch immer nicht zu Ende geführten Atomverhandlungen mit dem Iran.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.