Atomwaffenfreie Welt als Vision

Pjotr Fedossow im Gespräch mit Birgit Kolkmann |
Der russische Politologe Pjotr Fedosov hält die UN-Resolution für eine atomwaffenfreie Welt für eine Vision. "Wie man sich das konkret vorstellt, darüber muss noch sehr lange verhandelt werden", sagte der Politologe an der Akademie der Wissenschaften in Moskau. Zunächst müsse die Politik dafür sorgen, dass der Bestand an Atomwaffen in der Welt weiter reduziert wird.
Birgit Kolkmann: Kann das Wirklichkeit werden, eine Welt ohne Atomwaffen? Es ist die Vision des US-Präsidenten und als er gestern die Sitzung des UN-Sicherheitsrats leitete, wurde eine Resolution, die auf die Abschaffung der Atomwaffen abzielt, einstimmig angenommen und das wurde als historischer Moment in der Geschichte der UNO gewertet. - Professor Pjotr Fedossow ist Politologe an der Moskauer Akademie der Wissenschaften. Ihn begrüße ich jetzt in der "Ortszeit". Schönen guten Morgen!

Pjotr Fedossow: Guten Morgen.

Kolkmann: Herr Fedossow, das klingt ja nach ganz großer Übereinstimmung. Wie stellt sich denn die russische Seite diese Abrüstung vor?

Fedossow: Wie man sich das konkret vorstellt, darüber muss noch sehr lange verhandelt werden. Sie haben das Ziel der vollständigen Vernichtung von Atomwaffen mit Recht als Vision bezeichnet. Das konkrete politische Ziel auf dem Wege zu dieser Vision ist im Moment, zunächst mal weitere Reduzierungen herbeizuführen oder mindestens den Vertrag zu prolongieren, der in wenigen Wochen abläuft. Auch in diesem Sinne scheinen gestern große Fortschritte erreicht zu sein.

Kolkmann: Nun gibt es eine Umfrage der russischen Nachrichtenagentur Nowosti, überschrieben: über 50 Prozent der Russen seien gegen atomare Abrüstung. Man wolle also keinen Abbau des Atompotenzials in den nächsten Jahren. Wie ist das zu werten?

Fedossow: Ich kenne diese Umfrage. Die Frage, die an die Befragten gestellt wurde, lautete: soll Russland seine Atomwaffen beibehalten. Auf diese Frage antworteten zirka 50 Prozent mit ja, ausgehend davon, dass die andere Seite, also die Vereinigten Staaten in erster Linie und der Westen, wie man das in Russland bezeichnet, seine Atomwaffen auch beibehält. Ich bin sicher, wenn man die Russen gefragt hätte, sind sie grundsätzlich dafür, dass die Atomwaffen in der ganzen Welt verschwinden, dann wären die Ergebnisse völlig andere.

Kolkmann: Somit entscheiden wieder die richtigen oder nicht so richtigen Fragen?

Fedossow: So ist es.

Kolkmann: Dann fragen wir noch einmal auch anders herum bei Ihnen. Wie wichtig ist denn der Atomschild für Russland jetzt noch? Wie gut ist er denn?

Fedossow: Der Atomschild für Russland ist sehr wichtig, denn das ist im Wesentlichen der einzige Punkt, in dem Russland auch heute noch der Supermacht einigermaßen gleichwertig ist. Der Komplex aus der Vergangenheit, man muss unbedingt Schritt halten und nur im Rahmen eines Gleichgewichtes sei Sicherheit möglich, ist vorherrschend - ich glaube nicht nur in Russland, sondern auch in der ganzen Welt. Politiker, die über die Abrüstung sprechen, sprechen grundsätzlich und meinen grundsätzlich immer nur, dass jede Abrüstung eine ausbalancierte Abrüstung sein soll.

Kolkmann: Ist die Abrüstung aber gerade auch in Russland nicht schon längst im Gange? Es sollen in der Amtszeit von Wladimir Putin allein 50 Prozent der Gefechtsköpfe vernichtet worden sein und die Abrüstung geht weiter. Was ist denn überhaupt noch da?

Fedossow: Die Abrüstung ist nicht nur in Russland eine Wirklichkeit, sondern auch weltweit. Es wurde … Die Zahl der Sprengköpfe ist reduziert worden wie auch die Zahl der Träger aufgrund des Vertrages, der demnächst abläuft. Leider muss ich sagen, dass das, was heute noch da ist, ausreicht, um unsere Zivilisation weltweit mehrmals zu vernichten. Das ist eindeutig viel zu viel und dass der Wille da ist, weiter abzurüsten, ist eine großartige Sache.

Kolkmann: Nun geht es jetzt bei der Vision von Barack Obama, der ja nun alle zugestimmt haben im UN-Sicherheitsrat, auch um den illegalen Handel mit atomwaffenfähigem Material. Wie kann man das unterbinden, vor allen Dingen auch in den ehemaligen Staaten der Sowjetunion?

Fedossow: Ach wenn man das bloß wüsste! Erstens ist das natürlich nicht ausschließlich eine Frage der ehemaligen Staaten der Sowjetunion, das ist nun wirklich ein globales Problem und die Antwort, wie man das erreichen kann, ist im Grunde genommen dieselbe oder setzt im Grunde genommen dasselbe voraus, was eine positive Beantwortung der Frage, wie man die Kriminalität vernichten kann, voraussetzt. Niemand weiß eine Antwort auf diese Frage, aber man weiß sehr genau, dass dies nur möglich ist, wenn alle Staaten weltweit ihre Bemühungen in diesem Sinne koordinieren und wenn das Völkerrecht sehr genaue Vorschriften zu dieser Frage vorlegt, die dann weltweit eingehalten werden.

Kolkmann: Die Visionen, sie sind schön, das alles einzudämmen, aber wenn es Staaten gibt wie Nord-Korea, wie Iran, der möglicherweise ja auch atomare Waffen haben möchte, wie Indien und Pakistan, die sie bereits haben und möglicherweise nicht mit an einem Strang ziehen, was bedeutet das dann?

Fedossow: Es gibt im Moment viele Staaten in der Welt, die sehr nah an der Schwelle von eigenen Atomwaffen stehen oder bald kommen können. In diesem Sinne ist die Koordination bei der Nicht-Weitergabe sehr wichtig, auch und vor allem im Falle Iran. Auch in diesem Sinne gab es gestern Fortschritte. Ich habe das Gefühl, dass hier Obama vor allem dadurch begeistert und darüber zufrieden ist, dass Medwedew gestern eine andere Formel formuliert hat, als Russland bis jetzt praktiziert hatte. Medwedew sagte gestern, Sanktionen sind natürlich kein gutes Mittel, aber es gibt Situationen, in denen es ohne Sanktionen gar nicht geht.

Kolkmann: Ist das eine neue Position?

Fedossow: Das ist insofern ein Fortschritt, dass damit angedeutet wird, dass Russland, wenn der Iran weiterhin nicht bereit ist, ernsthaft zu verhandeln, seinerseits bereit sein wird, einen Sicherheitsratsbeschluss im Sinne der Sanktionen gegen Iran zu unterstützen.

Kolkmann: Professor Pjotr Fedossow, Politologe von der Moskauer Akademie der Wissenschaften, im Gespräch mit der "Ortszeit". Ich danke Ihnen dafür.

Fedossow: Auf Wiedersehen.

Kolkmann: Auf Wiederhören.