Attac: Das Weltsozialforum hat viel erreicht

Moderation: Tom Grote |
Der Sprecher von Attac Deutschland, Swen Giegold, hat sich mit dem Verlauf des Weltsozialforums in Nairobi zufrieden gezeigt. Viele der zentralen Kritikpunkte des Weltsozialforums hätten sich bereits in politische Erfolge auf internationaler Ebene übersetzt, sagte Giegold.
Tom Grote: Seit 2001 treffen sich die Globalisierungskritiker weltweit. Weltsozialforum heißt dieses Treffen. In den ersten Jahren fand das Forum im brasilianischen Porto Alegre statt, dann einmal in Bombay, und in diesem Jahr, da kam man in Kenias Hauptstadt Nairobi zusammen. Organisiert wird das Weltsozialforum von globalisierungskritischen Gruppen aus aller Welt, und dazu gehört auch Attac Deutschland, und deren Sprecher ist Swen Giegold. Er ist jetzt am Telefon in Nairobi. Guten Tag, Herr Giegold!

Swen Giegold: Guten Morgen!

Grote: Das Forum geht heute zu Ende. Schön, dass Sie da mal über die Probleme mit der Globalisierung gesprochen haben, oder hat das Treffen wirklich mehr gebracht?

Giegold: Nein, das Treffen hat mehr gebracht. Durch die inzwischen sieben Weltsozialforen haben sich zu den entscheidenden Globalisierungsthemen internationale Netzwerke gebildet, im Bereich Handel, im Bereich Finanzmärkte, im Bereich Krieg und so weiter. Diese Netzwerke arbeiten sehr erfolgreich, also etwa das Behindern der Verhandlungen bei der Welthandelsorganisation ist zum großen Teil ein Verdienst der Aktivitäten, die beim Weltsozialforum entstanden sind. Das Gleiche gilt für das Durchsetzen von zahlreichen Forderungen im Bereich Privatisierungen. Es gibt ganz konkrete Ergebnisse dadurch, dass wir hier immer wieder zusammenarbeiten, und deshalb kommen auch viele Menschen immer wieder.

Grote: Ist das Hauptproblem nicht eigentlich, wir sprechen zwar viele Probleme an, wir bilden auch Netzwerke der Globalisierung, aber uns hört nicht wirklich jemand zu?

Giegold: Das würde ich überhaupt nicht so sehen. Es gibt eine Paradoxie: Als die globalisierungskritische Bewegung politisch wenig erreicht hat, war sie in aller Munde, und heute, wo man die Effekte sieht, gibt es relativ wenig Berichterstattung. Also wenn Sie mal schauen unsere Hauptkritikpunkte, die Welthandelsorganisation kommt nicht mehr vom Fleck, weil die Verträge dort eindeutig den armen Ländern schaden und die armen Länder jetzt sehr viel mehr bereit sind dort "Nein" zu sagen. Durch die starke Kritik der Internationale Währungsfonds, kaum noch jemand von den armen Ländern will seine Kredite haben. Die Weltbank ist sehr stark delegitimiert, also das heißt, viele der zentralen Themen des Weltsozialforums haben sich übersetzt in politische Erfolge auf der internationalen Ebene, und des Preis des Erfolges ist eben auch, dass man weniger darüber spricht.

Grote: Wie kommt das denn? Normalerweise ist doch ein Erfolg eine prima Sache und jeder sprich darüber. Haben Sie also ein Problem mit der Übermittlung, oder woran liegt das?

Giegold: Unser Gefühl ist, glaube ich, sehr stark, dass die Akteure, die das natürlich erreichen, ist im Moment nicht direkt die Bewegung, sondern wenn die brasilianische Regierung oder die südafrikanische Regierung auf der Welthandelsebene "Nein" sagt, dann wird das natürlich nicht direkt uns zugeschrieben. Auf der anderen Seite tut sie das, weil eben der Mobilisierungsdruck, der über die Sozialforen und über die Bewegung erzeugt wurde, so stark ist.

Grote: Ist es Ihnen denn wichtig, dass das Attac oder irgendeiner anderen Organisation zugeschrieben ist, ist nicht das Ergebnis wichtig?

Giegold: Natürlich ist das wichtig, aber wir, sage ich mal, haben nie vor allem als Einzelorganisation gearbeitet. Attac ist ja selber ein Bündnis von über 100 Organisationen in Deutschland, sehr ähnlich in anderen Ländern. Das Weltsozialforum ist ja nicht nur Attac, sondern viel, viel größer, und die Konsequenz ist, dass wir sehr viel in Bündnissen arbeiten, wo eben ein einzelner Akteur in dem Sinne nicht sichtbar ist, sondern sich eben viele Menschen und Organisationen anschließen können.

Grote: Gestern ging es dann nun los mit dem Weltwirtschaftsforum in Davos. Glauben Sie wirklich, auch nur einer der offiziellen Teilnehmer dort, der hatte wegen des Sozialforums eine schlaflose Nacht?

Giegold: Ich glaube nicht, dass sie eine schlaflose Nacht hatten, das haben die gar nicht nötig, das sind ja die Superreichen und Mächtigen, die sich dort treffen. Aber wenn Sie etwa die Rede von Angela Merkel gelesen haben, dann sehen Sie, dass sie sehr wohl wahrnimmt, dass es sehr große Beunruhigung in der Bevölkerung über die jetzige Form des Globalisierungsprozesses gibt. Nur sind die Konsequenzen, die sie daraus zieht, natürlich genau falsch, indem sie sagt, man muss an der bedingungslosen Öffnung der Handels- und Finanzmärkte festhalten, sondern das Entscheidende ist, nur mit anspruchsvollen sozialen und ökologischen Regulierungen kann dieser Prozess etwas Gutes für alle bringe. So wie es im Moment läuft, ist es grundlegend falsch, und da versucht Frau Merkel eben die Quadratur des Kreises. Aber ihre Rede zeigt, der Druck der Zivilgesellschaft und die Beunruhigung der Bevölkerung ist real und groß, und das ist auch wieder ein Verdienst dieser internationalen Bewegung.

Grote: Das Weltsozialforum findet ja nun bereits zum siebten Mal statt, diesmal in Kenia und damit zum ersten Mal auf afrikanischem Boden. Was ist anders als bei den Foren in den Jahren zuvor?

Giegold: Ja, es ist vieles anders. Also fangen wir an mit den Themen. Es ist so, es gibt Themen, die vorher viel schwächer betrachtet waren, das Thema Wasser spielt eine riesige Rolle, das Thema der Rolle der Europäischen Union und insbesondere der Handelspolitik spielt eine sehr große Rolle. Die afrikanischen Organisationen kritisieren schärfstens die geplanten so genannten ökonomischen Partnerschaftsabkommen mit Afrika, in denen vielen afrikanischen Ländern deutlich schlechtere Handelsbedingungen aufgedrückt werden sollen. Wir haben auch sehr, sehr viele Themen, die sich um Ressourcenraub drehen, also das hießt von Öl über mineralische Rohstoffe, Gold und so weiter, die hier zu sehr, sehr günstigen Konditionen von internationalen Konzernen abgebaut werden können, und nicht zuletzt gibt es hier auch sehr, sehr viel Bewegung an der Basis zum Thema, was macht eigentlich die Regierung, Korruption, wofür werden die Gelder verwendet. Der Blick auf Staat und Regierung hier ist ein sehr viel kritischerer, als wir das etwa vorher in Lateinamerika erlebt haben.

Grote: Und wie war und ist die Stimmung bei den Teilnehmern?

Giegold: Die Stimmung war sehr, sehr gut. Es war sehr lebendig. Man hatte sowohl große Veranstaltung als auch ständige Demonstrationen, kulturelle Beiträge auf den Straßen rund um ein Stadion, also es hat alles in einem großen Stadions- und Sportkomplex stattgefunden, und das ist kaum zu beschreiben, welche Energie dort ist, wenn Leute aus 160 Ländern dort aufeinander treffen.

Grote: Haben Sie auch keine Resignation erlebt, denn von der hört man auch immer wieder?

Giegold: Na ja, es ist natürlich so: Natürlich, soziale Bewegungen sind ständig in einem zentralen Zwiespalt. In dem Moment, wo man kämpft, in dem Moment, wo man sich einsetzt, sieht man in der Regel die Erfolge nicht, sondern die Erfolge bei sozialen Bewegungen kommen immer später. Denken wir an die Arbeiterbewegung, die Umweltbewegung, es war immer so, die erste Generation wurde eher als Spinner abgetan. Genauso war es bei uns, man hat immer gesagt, ihr streitet wie Don Quijote gegen Windmühlen, die Globalisierung sozusagen ist ein Naturgesetz, nicht aufzuhalten, jetzt gibt es reale Erfolge, und die erste Generation ist schon Teil gar nicht mehr in den Gruppen, die sich engagiert haben, und natürlich, soziale Bewegungen haben immer auch Momente von Frustration, aber eben auch von Erfolgen, und wo man das am stärksten spüren kann, ist hier, wo man Menschen trifft, die eben von ganz konkreten Veränderungen auch profitieren oder eben massiv leiden. Also es ist auch sehr stark eine persönliche Motivation, die ich von hier mitnehme.

Grote: Herr Giegold, früher mal war es schon fast schick, Globalisierungsgegner zu sein. Davon scheint heute nicht mehr viel übrig, oder?

Giegold: Ich fand es noch nie schick, Globalisierungsgegner zu sein, weil die Globalisierung ist ein grundsätzlich positiver Prozess. Es geht nur darum, wie der abläuft. Dass die Welt zusammenwächst, dagegen hat praktisch niemand was. Wahr ist, die Wahrnehmung in den Medien hat abgenommen, aber weiterhin, wenn Sie auf das Forum schauen, es sind überwiegend junge Leute dort, also allzu viel Schick-Probleme haben wir, glaube ich, nicht.

Grote: Bleiben wir mal bei Wahrnehmung und bei Medien. Das Wichtigste ist, dass diese Themen in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden, hat eine der Organisatorinnen gesagt. Wenn Wahrnehmen wirklich so wichtig ist, wieso kann man sich nicht mal auf eine gemeinsame Stellungnahme einigen, so eine Art Schlusserklärung, die würde bestimmt wahrgenommen?

Giegold: Das Grundproblem ist klar: Es gib in vielen zentralen Fragen in der Weltzivilgesellschaft unterschiedliche Positionen. Also zum Beispiel es ist sehr verschieden in Bewegungen, will man den Kapitalismus sozial ökologisch gestalten oder will man ihn eigentlich letztlich loswerden, und so an vielen anderen zentralen Fragestellungen gibt es unterschiedliche Wahrnehmungen. Das Forum ist ein offener Raum. Es sollen alle zusammenkommen, die nach bestimmten Grundwerten sich orientieren und danach arbeiten. Würden wir eine Schlusserklärung veranstalten oder verabschieden, müssten wir Mehrheitsentscheidungen zwangsläufig durchführen und damit würden wir Leute praktisch ausschließen vom Forum. Deshalb gibt es die Versammlung sozialer Bewegungen, da treffen sich nur die sozialen Bewegungen, und die haben auch gestern eine Abschlusserklärung verabschiedet, und die verschicken wir auch in alle Welt, aber das ist nicht die Erklärung des Forums, sonst würden wir den offenen Raum zerstören, der bisher schon so viel Positives hervorgebracht hat.

Grote: Herr Giegold, Sie haben schon ein bisschen angedeutet, es ist ein bisschen stiller geworden, nicht nur um Attac, sondern auch um viele andere globalisierungskritische Gruppen. Jetzt kommt im Juni der G8-Gipfel in Deutschland in Heiligendamm bei Rostock. Welchen Stellenwert hat der denn für Attac, ist er so was wie die letzte Rettung für Sie, um wieder wahrgenommen zu werden?

Giegold: Zunächst mal ist das eine große Chance, und es ist auch eine große Verantwortung. Wir haben von den Gruppen aus Afrika natürlich mitbekommen, dass dort erwartet wird, dass wir massiv dorthin mobilisieren, denn Afrika steht dort auf der Tagesordnung, und wir werden uns massiv einsetzen, dass dort sichtbar wird, dass wir die Politik von acht Staatschefs nicht als legitime Politik wahrnehmen, und auch im Detail argumentieren, was dort falsch läut an dem jetzigen Globalisierungsprozess und welche Alternativen wir haben. Umgekehrt ist es so: Natürlich ist es auch eine riesige Chance zusätzlicher öffentlicher Wahrnehmung, und öffentliche Wahrnehmung ist wichtig, das würde ich überhaupt nicht verleugnen, deshalb ist es für uns sicher eine Gelegenheit. Letzte Chance ist es aus meiner Sicht sicher nicht, weil die Probleme, die mit der Globalisierung verbunden sind, sind so massiv, dass es die Notwendigkeit der globalisierungskritischen Bewegung weiter gibt, und es werden auch immer wieder Themen und Kampagnen entstehen, die uns wieder viel Wahrnehmung bringen, wie etwa unsere Arbeit zum letzten WTO-Gipfel, wo wir mehr Medienwahrnehmung hatten als die ganzen Jahre davor. Also das heißt, das wird sich immer zyklisch entwickeln, und eins ist mir wichtig: Ich mache mein Engagement nicht alleine davon abhängig, ob wir eine mediale Wahrnehmung haben oder nicht, sondern ich mache das, weil ich das für richtig empfinde.

Grote: Aus Nairobi Swen Giegold, Sprecher von Attac Deutschland. Danke für das Gespräch, Herr Giegold!