Die erste Mordtat eines völkischen Fanatikers
Das Attentat auf den weltoffenen Schriftsteller August von Kotzebue vor 200 Jahren erregte Aufsehen in ganz Europa. Sein Mörder behauptete, im Namen des deutschen Volkes zu handeln - die Tat war ein Fanal der hasserfüllten Stimmung in der Napoleonzeit.
Am späten Nachmittag des 23. März 1819 verschaffte sich der Theologiestudent Karl Ludwig Sand unter einem Vorwand Zugang zum Haus des Schriftstellers August von Kotzebue in Mannheim. Als Kotzebue ihm die Hand zum Gruß entgegenstreckte, zog der 23-Jährige einen Dolch aus dem Ärmel und stach auf den überraschten Schriftsteller ein.
Während das Opfer tödlich getroffen zusammenbrach, hieb sich der Täter selbst in die Seite und drückte, blutbespritzt aus dem Hause flüchtend, einem Diener ein Pamphlet in die Hand.
"Frei die Gewissen! Frei die Rede! Auf du mein deutsches Volk! Hasse, morde alle, die sich in frevler mutwilliger Gesinnung so sehr überheben, dass sie des Göttlichen in dir vergessen."
Radikalisierung in Burschenschaften und Sportvereinen
Nur wenige Minuten später wurde der Täter festgenommen. Die Ermittlungen deckten die Hintergründe des Attentats auf: Sand gehörte zu dem Jenaer Ableger einer Gruppe aus dem Universitätsmilieu, deren schöne Freiheits- und Gerechtigkeitsideale in den Kriegen gegen Napoleon eine bedenkliche Radikalisierung erfahren hatten.
In den so genannten Burschenschaften und in den Sportvereinen des "Turnvaters" Jahn mischten sich Körperertüchtigung, Radau-Nationalismus und eine christlich grundierte Sehnsucht nach dem Martyrium mit der Ablehnung alles Fremden.
Der Dichter Ernst Moritz Arndt forderte: "Dieser Haß glühe als die Religion des teutschen Volkes, als ein heiliger Wahn in allen Herzen!"
Bücherverbrennung auf dem Wartburgfest
Nach dem Sieg über Napoleon in der Völkerschlacht von 1813 wurde August von Kotzebue zur bevorzugten Zielscheibe nationalistischer Feindseligkeiten. Der weltgewandte und witzige Autor, über dessen Komödien sich ganz Europa amüsierte, hatte zwar gegen die napoleonische Fremdherrschaft angeschrieben. Aber von Hass und Rache hielt er nichts.
Er war 1761 in Weimar geboren, hatte bei Goethe Theaterspielen gelernt, studierte Jura, lebte in Paris und Wien und war lange Jahre Beamter des russischen Zaren. Schon dieser internationale Lebenswandel war in den Augen der Turner und Burschenschafter zutiefst unpatriotisch. Für sie war Kotzebue, der seit 1817 wieder in Weimar lebte, ein russischer Spion. Auf dem Wartburgfest im selben Jahr warfen sie seine Bücher ins Feuer.
Erst Drohungen, dann Mord
Kotzebue wehrte sich, indem er öffentlich über die deutschtümelnde Kraftmeierei der Studenten lästerte: "Wir leben in lauter Holla! und Heda! Es soll immer drunter und drüber gehen und das ist deutsch! Auf den Gräbern der Nibelungen muss geturnt werden – und das ist deutsch!"
Die Jenaer Burschenschafter blieben die Antwort nicht lange schuldig. Vor Kotzebues Haus in Weimar legten sie einen anonymen Brief nieder: "Fahre fort, Kotzebue, vielleicht wirst Du selbst und nicht allein Deine Schrift verbrannt."
Als einige Tage später Steine in Kotzebues Wohnzimmerfenster flogen, zog er nach Mannheim um. Es rettete ihn nicht. Anfang 1819 machte sich Karl Ludwig Sand von Jena nach Mannheim auf den Weg. Im Gepäck trug er die Mordwaffe und im Herzen jenes düstere Gebräu, dem Kotzebue ein anderes Ideal von Deutschtum entgegengehalten hatte.
"So bewahre uns doch der Himmel vor solcher Deutschheit! Wir leben in der frohen Hoffnung, dass aus der trüben Wolke der eigentliche deutsche Nationalcharakter wieder hervortreten werde: Rechtlichkeit, die ohne Milde nicht gedacht werden kann!"
Beginn einer langen Epoche staatlicher Zensur
Nach der Tat erklärte Sand, sein Gewissen stehe als Stimme Gottes über dem weltlichen Gesetz. Das Gericht ließ diese Gotteskrieger-Logik nicht gelten. Im Mai 1820 wurde Sand als Mörder verurteilt und enthauptet.
Der Mord hatte die politische Welt tief erschüttert. Die im Deutschen Bund vereinigten Länder hatten schon im Herbst 1819 reagiert: Mit den "Karlsbader Beschlüssen" nahmen sie die zarten Ansätze von Presse-, Meinungs- und Forschungsfreiheit, die es nach den napoleonischen Kriegen gegeben hatte, zurück. Es begann eine fast dreißigjährige Epoche staatlicher Zensur und Gesinnungsschnüffelei.
Karl Ludwig Sand, so sehr er auch in manchen Kreisen bis heute verehrt wird, hat der Sache der Freiheit und des Rechts einen schlimmen Dienst getan.