Über 100 Splitter im Körper
Vor fast 30 Jahren begleitete Soraya Alekozei ihren Mann nach Deutschland. Als 2002 deutsche Soldaten an den Hindukusch geschickt wurden, ging die gebürtige Afghanin als Dolmetscherin mit - und wurde bei einem Attentat schwer verletzt. Jetzt hat sie mit "Sie konnten mich nicht töten" ein bemerkenswertes Buch geschrieben.
Halblange graue Haare, auffälliger Silberschmuck, aufrechte Haltung.
Die gebürtige Afghanin Soraya Alekozei ist eine gepflegte Erscheinung. Fotos an den Wänden ihrer Bonner Wohnung zeigen die selbstbewusste Frau im Bundeswehrkampfanzug, mit Sonnenbrille und strahlendem Lächeln. Bis die kleine kompakte Frau vor drei Jahren bei einem Bombenanschlag in ihrer Heimat Afghanistan so schwer verletzt wurde, dass man anfangs dachte, sie sei tot
"Ich hatte über 100 Splitter hatte ich in meinem Körper. Mein Körper ist total zerfetzt sozusagen. Mein Schädelknochen war zerstört, es musste entfernt werden, und jetzt ein Teil von meinem Schädelknochen ist aus Metall."
34 Operationen allein in den ersten Monaten nach dem Attentat.
Sie wurde liebevoll umsorgt von ihrem Ehemann Wali und 26 weiteren Familienangehörigen, die abwechselnd an ihrem Krankenbett wachten.
"Ich habe immer noch ein paar Kugeln in meiner Schulter. Das Schlimmste war, dass ein 30 cm langes Kantholz in meinem Kopf steckte und sogar mein Gehirn auch verletzt hat und die zweitschlimmste Verletzung war, dass mein Beckenboden in neun Stellen gebrochen ist."
Ferngezündete versteckte Sprengstoffladung
Am 28. Mai 2011 hatten sich in Nordafghanistan hochrangige einheimische Politiker und deutsche ISAF-Offiziere der internationalen Schutztruppe in der Provinzhauptstadt Taloqan zu einer Sicherheitskonferenz getroffen. Seit fünf Jahren übersetzte Oberstleutnant Soraya Alekozei bei solchen Treffen für die ISAF-Kommandeure. Wie immer wurden im Gouverneurspalast die Waffen und die Splitterschutzwesten abgelegt, um den Gastgebern zu zeigen, dass man ihnen vertraute. Soraya Alekozei unterhielt sich noch mit dem afghanischen Polizeichef über Poesie, als eine versteckte Sprengstoffladung ferngezündet wurde.
"Von dem Moment weiß ich nicht mehr, 16 Menschen sind an dem Tag gestorben, alle sehr junge Menschen und ein paar von denen standen mir so gegenüber, die sind alle gestorben, die sind alle in Stücke gerissen.
Meine rechte Hand und mein rechter Fuß war so schwer verletzt, dass man abnehmen wollte, aber wurde ich rechtzeitig gerettet, sonst wäre ich schon tot, total verbrannt, denn meine Uniform hat Feuer gefangen."
Es war das erste und bisher einzige Mal, dass eine deutsche Soldatin bei einem Anschlag im Ausland so schwer verwundet wurde. Wenn die in Bonn lebende Bundeswehrveteranin über das Attentat spricht, ist keinerlei Bitterkeit zu spüren. Die 59-Jährige hadert kaum damit, dass ihr Kurzzeitgedächtnis gelitten hat, dass sie starke Schmerzmittel nehmen muss, die sie müde machen oder dass ihre rechte Hand mit den sichtbaren Verbrennungen leblos in ihrem Schoß liegt:
"Ich kann wenigstens jemandem die Hand geben. Das ist wie ein Wunder, dass ich die Chance bekommen habe weiter zu leben."
Es geht Soraya Alekozei sehr nah, dass der Bombenanschlag ausgerechnet in ihrem "Vaterland" passiert ist. Damit hatte sie nicht gerechnet und deshalb lange nur von einem "Unfall" gesprochen. Über ihren Einsatz am Hindukusch hat sie jetzt ein beeindruckendes Buch geschrieben: "Sie konnten mich nicht töten". Lesenswert beschreibt sie ihre unbeschwerte Kindheit mit sechs Geschwistern in einer demokratisch gesinnten, wohlhabenden und modernen Familie in Kabul. Mit 18 Jahren heiratete sie ihren Cousin Wali - aus freien Stücken, wie sie lächelnd betont. Sie folgte ihrem Mann, der in Bonn Agrarwissenschaft studierte, 1974 nach Deutschland. Sie bekam zwei Söhne, arbeitete bei der Postbank und entschied sich 2004 für den Dienst bei der Bundeswehr - obwohl sie genau das ihren beiden Söhnen zuvor verboten hatte.
"In Afghanistan werden Menschen wie ich gebraucht, die die Heimat lieben, die Menschen lieben und dass sie in Liebe die Lösung sehen, nicht in Hass."
Rückkehr in die Heimat - in deutscher Uniform
Die zweifache Mutter musste zunächst lernen, wie man mit einem Sturmgewehr und einer Pistole schießt, was der überzeugten Pazifistin schwer fiel.
2005 kehrte sie in ihre Heimat zurück, diesmal in deutscher Uniform.
"Ich habe grundsätzlich auch im Camp nicht Waffe getragen. Meine Waffe ist meine Stimme. So war es auch von Anfang an und so bleibt es auch: Meine Waffe ist meine Stimme."
Sie moderierte zunächst eine afghanische Sendung der Bundeswehr, wofür extra kostenlose Radios verteilt wurden. Danach arbeitete sie als Dolmetscherin, übersetzte für Verteidigungsminister Franz -Josef Jung, traf den früheren afghanischen Präsidenten Hamed Karzai.
Soraya Alekozei galt als intelligent, resolut, stets charmant – und streitlustig, wenn es um ihre sozialen Projekte ging. In Deutschland sammelte die damals 50 Jahre alte Muslima unermüdlich Spenden. Vor fünf Jahren ließ sie in Kabul – gegen heftige bürokratische Widerstände – ein neues Waisenhaus bauen, dass sie gemeinsam mit den Soldaten ihrer Einheit eröffnete.
"Kinder brauchen nicht nur ein paar Mauern, die sie schützt vor Kälte und Regen, sondern die brauchen Liebe. Liebe macht aus Menschen richtige Menschen. Und menschliche Menschen."
Eigentlich sollte der sechste Einsatz im Mai 2011 ihre letzter sein. Das hatte sie ihrer Familie versprochen. Sie kämpft mit unglaublicher Energie um jeden Schritt. Denn sie will das Grab ihrer Mutter und die Kinder in ihrem Waisenhaus in Kabul besuchen.
"Ich will wieder gesund sein, dass mein Leben einen Sinn hat."