"Auch neue Länder treten auf die Bühne"

Mario Ragwitz im Gespräch mit Katrin Heise · 17.12.2009
Mario Ragwitz vom Fraunhofer-Institut erwartet, dass Europa auch künftig eine entscheidende Rolle bei den erneuerbaren Energien spielt. Trotzdem machte er auf aufstrebende Länder wie die USA oder China aufmerksam - und nannte als Beispiel die Herstellung von Windkraftanlagen.
Katrin Heise: Lange Zeit galten die Europäer als Vorreiter in Sachen erneuerbarer Energien. Die Länder der Europäischen Union waren die Ersten, die den Klimaschutz so richtig ernst nahmen. In Kopenhagen sind sie ja jetzt im Moment auch eher wieder die Zugpferde. Mittlerweile hat sich allerdings die Einsicht weltweit durchgesetzt, dass erneuerbare Energien, dass das eben ein Markt der Zukunft ist.

Neue Länder machen auf sich aufmerksam, die noch vor Kurzem eher als Umweltsünder gebrandmarkt wurden. Japan will Sonnenstrahlen aus dem All einfangen, Chinas staatliche Solarproduktion schlägt die deutsche Konkurrenz absolut im Preiskampf.

Abu Dhabi baut die erste klimaneutrale Stadt der Welt. Wie sind eigentlich die Europäer, wie sind die Deutschen inzwischen auf diesem Zukunftsmarkt aufgestellt? Eine Frage, mit der sich Mario Ragwitz auseinandersetzt. Er ist Leiter des Geschäftsfeldes "Erneuerbare Energien" am Fraunhofer-Institut, und er ist Sachverständiger für das Europäische Parlament und den Deutschen Bundestag. Schönen guten Morgen, Herr Ragwitz!

Mario Ragwitz: Guten Morgen!

Heise: Diese Experimente oder Projekte, die ich gerade erwähnt habe, die klingen ja durchaus spannend. Wagen wir doch zusammen mal einen Blick in die Zukunft: Wie wird der Energiemarkt in einigen Jahren aussehen, mit welchen Techniken werden wir unseren Energiehunger stillen?

Ragwitz: Der Energiemarkt der Zukunft wird erneuerbare Energien als einen ganz zentralen Bestandteil enthalten, und Sie hatten es kurz angesprochen, dass Europa Vorreiter im Bereich der erneuerbaren Energien global in der Vergangenheit war.

Und ich möchte hier sagen, dass auch zu erwarten ist, dass in Zukunft Europa eine ganz entscheidende Rolle spielen wird und auch, was die Ambitionsniveaus der Politiken und der Ziele anbelangt auch in Zukunft, eine führende Rolle im globalen Maßstab einnehmen wird. Wir haben seit etwa einem Jahr die Richtlinie für erneuerbare Energien bis zum Jahr 2020 durch die Europäische Union verabschiedet, und diese sieht vor, 20 Prozent der Endenergie in Europa aus erneuerbaren Energien bereitzustellen.

Das bedeutet für den Stromsektor noch deutlich höhere Anteile von etwa 35 bis 40 Prozent, und diese Ziele sind auch im weltweiten Maßstab als sehr ambitioniert und als sehr zukunftsweisend einzuschätzen. Und auch in Deutschland sind mit einem Ziel am Endenergieverbrauch von 18 Prozent und etwa also mehr als 30 Prozent im Strombereich ambitionierte Ziele gesetzt.

Und in der Vergangenheit hat dieser politische Fokus dazu geführt, dass die europäischen und insbesondere die deutschen Hersteller in dem globalen Markt für erneuerbare Energien eine Führungsrolle eingenommen haben, und im Wesentlichen ist auch für die Zukunft hier eine sehr bedeutende Rolle europäischer und deutscher Firmen zu erwarten.

Heise: Manchmal hat man aber doch auch den Eindruck, dass sich gerade so der deutsche oder der europäische schwere Tanker irgendwie manchmal doch sehr langsam nur in Bewegung setzt und dagegen andere Länder jetzt so ganz schnell und wendig zu reagieren scheinen. Also wenn ich mir vorstelle, Abu Dhabi nimmt eine ganze Menge Geld in die Hand, können die nicht irgendwann den Markt für erneuerbare Energien beherrschen?

Ragwitz: Das geht häufig nicht so schnell und so einfach, wie man sich das vorstellt. Sicherlich ist es so, dass neue Länder auf die Bühne kommen. Wenn man sich beispielsweise den Bereich der Windenergie anschaut, so war es so, dass die europäischen Länder hier insbesondere Deutschland, Spanien, Dänemark, was die Installation und auch die Herstellung von Windkraftanlagen anbetraf, weltweit führend waren, und in den letzten Jahren wurden diese Länder abgelöst durch Länder wie die USA oder China in der jährlich installierten Kapazität.

Und sicherlich, hier sieht man, dass neue Länder auf der Bildfläche erscheinen, aber um den Markt für die Herstellung, für die industrielle Fertigung solcher Anlagen auch entscheidend mit zu beherrschen, ist es wichtig, dass man ein entsprechendes Innovationssystem in den Technologien ausgebaut hat.

Und hierfür ist langfristige Forschung und Entwicklung, auch langfristige Marktnachfrage, und langfristige Ziele sind hierfür erforderlich. Und diese sind in Europa mit einem langen Atem schon seit Ende der 90er-Jahre vorhanden. Und daraus resultiert auch, dass beispielsweise in Deutschland oder der Marktanteil deutscher Hersteller in der Gesamtwertschöpfung im Windbereich im letzten Jahr etwa 30 Prozent betrug. Insgesamt europäische Hersteller haben im Bereich der erneuerbaren Energien einen Weltmarktanteil von 60 bis 70 Prozent.

Heise: Ja, das ist ja noch sehr erheblich.

Ragwitz: Dieses wird letztendlich durch starke Innovationsanstrengungen, hohe Patentanteile, funktionierende Innovationssysteme untermauert und wird insofern auch in Zukunft eine wichtige Rolle spielen. Aber Sie haben recht, auch neue Länder treten auf die Bühne, insbesondere hier China, aber auch einige andere Länder wie beispielsweise Abu Dhabi.

Heise: Wenn ich Sie richtig verstehe, sind so Indikatoren, die Ihnen den Blick in die Zukunft erleichtern, beispielsweise Patentanmeldungen. Und da sind die Europäer, die Deutschen immer noch ganz gut dabei, ja?

Ragwitz: Genau. Es gibt verschiedene Indikatoren, die einem den Blick in die Zukunft dabei erleichtern. Patentanteile sind ein wesentlicher. Hier ist es so, dass für wesentliche Technologien, also beispielsweise die Windenergie, die Solarthermie, die Biomasse, das Biogas, der Anteil deutscher Patente doch sehr hoch liegt, etwa im Bereich zwischen 20 und 30 Prozent für diese Technologien, etwa auch in dieser Größenordnung für die Photovoltaik. Und die europäischen Unternehmen haben Patentanteile in der Größenordnung von 50 bis 60 Prozent in diesen Technologien, bei der Photovoltaik ist es hier etwas geringer.

Ein anderer Indikator, der eine wichtige Rolle spielt, sind sogenannte komplementäre Industriesektoren, wenn man sich beispielsweise die Windenergie anguckt. Es ist wichtig, dass ein Land auch in den komplementären Sektoren wie im Maschinenbau stark ist, und auch hier ist es so, dass europäische Hersteller sehr hohe Anteile in diesen komplementären Sektoren haben. Zum Beispiel in dem komplementären Sektor zur Windenergie haben europäische Hersteller etwa einen Weltmarktanteil von 70 Prozent, und somit ist auch hier zu erwarten, dass daraus deutliche, ja, deutliche Anreize oder ein deutlicher Push für diese Technologien auch in der Zukunft erfolgt.

Heise: Über den Markt der erneuerbaren Energien spreche ich mit Mario Ragwitz vom Fraunhofer-Institut. Sie haben genannt, also dass man auf langen Atem auch irgendwie setzen muss, dass die Marktposition auch ein bisschen abhängig ist von dem, wie in der Bevölkerung das Ganze so gesehen wird, wie es abgenommen, abgefragt wird. Angesichts der Klagen – Sie haben gerade über Wind gesprochen, Windenergie – angesichts der Klagen gegen Windräder in der Nähe zum eigenen Grundstück, das häuft sich ja in letzter Zeit, obwohl man weiß, dass das alles ganz wichtig ist. Da ist doch die Einstellung der Menschen hier gerade in Deutschland auch infrage zu stellen, oder?

Ragwitz: Sie haben vollkommen recht, die Akzeptanz der Bevölkerung ist ein ganz zentrales Element, und deswegen ist es auch wichtig, dass die erneuerbaren Energien weiter in einem engen Diskurs mit der Bevölkerung sind und die Hersteller, die Anwender et cetera.

Ich sehe allerdings nicht, dass die Akzeptanz der Windenergie oder der Solarenergie so deutlich abnimmt. Ich denke, dass wir auch in Zukunft mit neuen Technologien Windenergie Offshore zum Beispiel, Photovoltaik oder für diese Technologien eine hohe Akzeptanz haben, das belegen auch Umfragen in der Bevölkerung. Die weit überwiegende Mehrheit der Bevölkerung spricht sich für einen weiterhin starken Ausbau der erneuerbaren Energien auch in der Zukunft aus.

Heise: Ja, wenn es nicht gerade in ihrer Nachbarschaft ist.

Ragwitz: Ja.

Heise: Sie waren ja jetzt gerade in Kopenhagen auf der Klimakonferenz. Wie wichtig ist für die Industrie der erneuerbaren Energien eigentlich diese Konferenz, wie wichtig sind da tatsächliche Ergebnisse?

Ragwitz: Diese Konferenz in Kopenhagen und die entsprechenden Ergebnisse sind von ganz maßgeblicher Bedeutung für die künftige Entwicklung der Industrie, der Technologien, weil auch wiederum hier der langfristige Atem erforderlich ist und diese Abkommen, die in Kopenhagen verhandelt werden, die langfristigen Investitionsbedingungen für erneuerbare Energien ganz maßgeblich beeinflussen. Kurzfristig ist es sicherlich so, dass spezifische Förderprogramme für erneuerbare Energien, wie zum Beispiel das Erneuerbare-Energien-Gesetz in Deutschland oder ähnliche Förderprogramme, in allen europäischen Ländern oder auch in China, den USA den Ausschlag geben.

Diese werden auch ohne ein Abkommen in Kopenhagen weiterhin sozusagen funktionieren. Aber langfristig ist es doch von ganz entscheidender Bedeutung, Investitionssicherheit herzustellen, und hierfür sind klare und verbindliche CO2-Reduktionsziele von entscheidender Bedeutung.

Heise: Sind allerdings jetzt nicht unbedingt mehr absehbar?

Ragwitz: Ja, ich habe doch große Hoffnung, dass in den nächsten Tagen doch noch Entscheidungen kommen, die zeigen, dass sich die Politiker der Wichtigkeit des Problems durchaus bewusst sind.

Heise: Sagt Mario Ragwitz oder hofft Mario Ragwitz vom Fraunhofer-Institut. Herr Ragwitz, ich danke Ihnen ganz herzlich für dieses Gespräch!

Ragwitz: Vielen Dank!