Ein Hörgerät im Handy
Nur 25 Prozent aller Menschen mit Hörminderung nutzen ein Hörgerät. Oldenburger Forscher haben nun eine App entwickelt, die ihnen das Telefonieren erleichtern und die drohende Verschlechterung des Hörsinns aufhalten soll.
Jan Rennies: "Sie hören nun ein Signal, wie es typischerweise am Telefon klingen würde, wie es also auch ein Normalhörender wahrnehmen würde."
Telefonstimme: "Telefongespräche sind ein wichtiger Bestandteil unseres Lebens geworden."
Rennies: "Ein solches Signal kann man jetzt, um es zu veranschaulichen durch einen simulierten Hörverlust leiten, sodass man als Normalhörender den Eindruck davon haben kann, wie es sich für eine mögliche Hörstörung anhören könnte."
Telefonstimme: "Ob im Beruf, zu Hause oder unterwegs, wir sind inzwischen überall erreichbar."
Rennies: "Und mit der Fraunhofer-IDMT-entwickelten Applikation Auditory Voip, wäre dann eine Hörkompensation möglich."
Telefonstimme: "Störende Umgebungsgeräusche können die Kommunikation am Telefon erheblich erschweren, besonders, wenn das Gehör beeinträchtigt ist."
Ende 2013 stellte das Fraunhofer Institut für Digitale Medientechnologie in Oldenburg die Auditory Voip vor. Die App für das IPhone verspricht bessere Sprachverständlichkeit bei Telefongesprächen. Neben Anpassungen der Lautheit und des Klangs an individuelle Vorlieben, kann die App auch Hörverluste ausgleichen. Die Forschergruppe widmet sich seit Gründung des Instituts der Übertragung moderner Medizintechnik aus Hörgeräten in den Bereich der Unterhaltungsindustrie. Dr. Jan Rennies leitet am Fraunhofer Institut die Projektgruppe persönliche Hörsysteme.
Hörgeräte werden als stigmatisierend empfunden
Rennies: "Ein spezifisches Problem von Hörgeräten ist, dass sie nur einen relativ geringen Anteil der Betroffenen erreichen. Das ist ungefähr jeder Fünfte, von denen die eigentlich ein Hörgerät bräuchten, der tatsächlich nur eins verwendet. Das hat verschiedenste Gründe. Die Kosten sind ein Faktor, es ist immer noch ein wenig stigmatisierend und daher ist eben der große Vorteil darin, dass man die Technologie in zum Beispiel ein Smartphone direkt integriert, dass das eben bei den Leuten schon direkt verfügbar ist. Das ist ein akzeptiertes und mit Spaß verbundenes Gerät."
Ab circa 50 Jahren nimmt beim Menschen das Hörvermögen ab. Der typische Altershörverlust bedeutet vor allem Schwierigkeiten bei der Wahrnehmung von hohen Frequenzen und der Verlust des ursprünglichen Lautheitsempfindens. Es treten aber auch Verzerrungen auf. Beschädigte und abgenutzte Haarzellen leiten weniger Informationen über das Innenohr zum Gehirn. Das bedeutet für viele eine Beeinträchtigung in der alltäglichen Kommunikation. Mobile Telefongespräche stellen dabei eine besondere Herausforderung dar. Dr. Jens Appell ist Leiter der Projektgruppe für Hör-, Sprach- und Audiotechnologie in Oldenburg.
Jens Appell: "Wenn sie unsere Auditory Voip auf dem IPhone starten, dann müssen sie natürlich erstmal die Zugangsdaten für ihren Voice-over-IP-Provider eingeben. Und danach haben sie aber eine ganz normale Telefonieanwendung. Das heißt, sie können über Kontakte Personen direkt anwählen oder sie geben die Telefonnummer ein. Aber dazu kommt auch ein Menüpunkt, über den sie sich ihre Hörpräferenz einstellen können, und da können sie dann ein Testsignal abspielen und das Signal auf eine Lautheit einstellen, die Ihnen angenehm ist und auch auf einen Klang."
Ein gleichmäßiges Klangbild mit besserer Sprachverständlichkeit
Alle eingehenden Gespräch werden nun auf ein Hörprofil angepasst. Vorher zu leise, zu laut, dröhnend, gedämpft oder schrill klingende Sprachsignale werden als gleichmäßiges Klangbild mit verbesserter Sprachverständlichkeit wiedergegeben. Auch während des Gesprächs kann der Nutzer das eingehende Telefonsignal über eine einfache Bedienoberfläche einstellen.
Rennies: "In der Smartphone App haben wir das jetzt so gemacht, das man über ein Wischen von links nach rechts zwischen verschiedenen Voreinstellungen hin- und herschalten kann und einfach bei der stehen bleibt, wo man das Gefühl hat, der Hörkomfort ist am größten. Dass da im Hintergrund eine mögliche Hörunterstützung läuft, die meinen eigenen Hörverlust kompensiert, das wird dem Nutzer in der Form gar nicht bewusst, sondern er wählt einfach das aus, was ihm am besten passt."
Dahinter verbirgt sich komplexe Signalverarbeitung, wie sie oft auch in Hörgeräten zu finden ist. Jedes eingehende Telefonsignal wird analysiert und dann an die individuellen Einstellungen angepasst. Mithilfe dieser sogenannten adaptiven Signalverarbeitung werden gezielt nur die Frequenzen im Signal verändert, die nicht in das gewünschte Klangbild passen.
Hersteller stellen sich gegen Eingriffe in die Klangqualität
Appell: "Mit unseren Technologien versuchen wir eben Menschen mit einer geringen Schwerhörigkeit, die oft unversorgt ist, zu adressieren, sie zu motivieren, sich tatsächlich mit ihrem eigenen Hören und ihren eigenen Hörpräferenzen auseinanderzusetzen. Denn eine Schwerhörigkeit ist eine progradierende Erkrankung, die mit dem Alter zunimmt und wenn man zu lange keine Hörunterstützung genutzt hat, führt es eben auch dazu, dass man das Hören regelrecht verlernt."
Bis jetzt bedeutet die Nutzung der Auditory Voip noch die etwas unkomfortable Einrichtung eines kostenpflichtigen Zugangskontos bei einem Anbieter für Internettelefonie – Voice over IP. Der Grund dafür liegt in den festgelegten Toneinstellungen der Hersteller. Jegliche externen Eingriffe in die Klangqualität sind unerwünscht. Sie könnten auf die Marke ein schlechtes Licht werfen. Individuelle Klangeinstellungen oder verschiedene Umgebungsszenarien für Telefongespräche sucht man beim IPhone jedenfalls vergebens.
Appell: "Wir versprechen uns natürlich davon, dass wir damit zeigen, dass Schwerhörige über ein solches System telefonieren und davon profitieren und letztendlich dann auch die großen Hersteller darauf aufspringen und sagen okay, warum machen wir das nicht direkt in unseren Geräten, wenn wir sie auf den Markt bringen."
Mit der Auditory Voip kommt eine Technologie zum Einsatz, die den persönlichen Hörkomfort verbessert und den fortschreitenden Hörverlust aufhalten will. Mögliche Anwendungsbereiche solcher Technologien sieht die Forschergruppe aber auch in anderen Bereichen der Unterhaltungsindustrie. Ob personalisierte Audioeinstellungen in Fernsehern, Kopfhörern oder die wirksame Unterdrückung von Umgebungsgeräuschen: Die Zukunft des Hörens richtet sich nach Ihnen, egal, wie gut Sie hören können.