Evangelikale in den USA favorisieren Trump
Rund 81 Prozent der weißen evangelikalen Christen sollen Donald Trump gewählt haben. Er sei in ihren Augen das "kleinere Übel" gewesen, sagt Pfarrer Ulrich Rosenhagen: Damit sei auch eine Entscheidung gegen das liberale Amerika Barack Obamas verbunden gewesen.
Anne Francoise Weber: Nach der Wahl von Donald Trump zum 45. Präsidenten der USA stellen sich viele Fragen nach den Konsequenzen – auch in einem Feld, das für Trump persönlich nur eine geringe Rolle zu spielen scheint: dem der Religion. Selbst wenn er eher das Gegenteil konservativ-christlicher Sexualmoral vertritt, haben ihm unzählige evangelikale Christen ihre Stimme gegeben. Angehörige einer anderen Religion, die Muslime, hat Trump mehrfach pauschal diskriminiert, auch antisemitische Töne waren im Wahlkampf zu hören.
Was bedeutet nun seine Wahl für das Zusammenleben der Religionsgemeinschaften im pluralistischen, aber doch sehr christlich geprägten Amerika? Darüber habe ich vor der Sendung mit Ulrich Rosenhagen gesprochen. Der Pfarrer aus der Landeskirche Kurhessen-Waldeck hat die letzten 13 Jahre in den USA gelebt, hat über religiöse Kommunikation in der amerikanischen Revolutionszeit promoviert und war bis diesen Sommer Kodirektor des Lubar-Instituts für die Erforschung der abrahamitischen Religionen an der University of Wisconsin in Madison. Zurzeit arbeitet er als Pfarrer in Kassel unter anderem in der Unterstützung von Flüchtlingen. Im nächsten Jahr wird er in die USA zurückkehren und dort an der University of Wisconsin ein neues Zentrum für Religion und Weltbürgerschaft aufbauen.
Herr Rosenhagen, wie reagieren Menschen, mit denen Sie zusammen am Lubar-Institut über den interreligiösen Dialog gearbeitet haben, auf die Wahl von Donald Trump? Gerade in Wisconsin dachte man ja, das sei einer der Staaten, die Hillary Clinton sicher auf ihrer Seite haben würde.
Ulrich Rosenhagen: Ja, also, die erste Reaktion bei allen Freunden und auch ehemaligen Studenten, mit denen ich gesprochen habe, ist erst mal Schock gewesen, das konnte sich so niemand vorstellen, dass jemand wie Donald Trump, der eben im Wahlkampf also Muslime verunglimpft hat und eigentlich alle andersseienden Menschen verunglimpft und gemobbt hat, dass der nun ausgerechnet als Präsident auch gewählt wird.
In so ein paar Facebook-Kommentaren meiner Studenten habe ich auch gesehen, dass das ein bisschen darüber hinausgeht, also nicht nur Entrüstung, sondern zum Teil auch, wo wirklich auch geschimpft wird, also mit Begriffen, die ich jetzt eigentlich gar nicht so im Radio auch benutzen möchte. Da weiß so niemand, wie ist es dazu gekommen und was bedeutet das jetzt. Aber die Angst, dass sich damit viel verändert, gerade für Amerikaner, amerikanische Bürger, die eben nicht traditionell protestantisch oder traditionell katholisch sind, die ist natürlich sehr groß.
81 Prozent der evangelikalen Christen sollen Trump gewählt haben
Weber: 81 Prozent der evangelikalen Christen haben Trump gewählt, schreibt die "Washington Post". Ein Kandidat, dessen Lebenswandel ja wirklich extrem weit von ihren engen Moralvorstellungen entfernt ist. Wie erklären Sie sich das denn?
Rosenhagen: Also, erst mal bin ich selber natürlich darüber sehr überrascht. Ich habe noch mal auf dem Weg zum Studio nachgedacht. Und noch vor einem Jahr war also die Stimmung auch unter den Evangelikalen ganz anders.
Also, James Dobson, das ist einer der Founder von der Moral Majority, die in den 80er-Jahren den Reagan mitgewählt hat, den Ronald Reagan, - der hat eigentlich noch vor einem Jahr oder weniger als einem Jahr gesagt, er kann sich das nicht vorstellen, Trump zu unterstützen, und der ist also moralisch korrupt und der hat die dritte Frau und das ist so ein Kasinokapitän, und da hat niemand daran gedacht, dass die Evangelikalen tatsächlich Trump unterstützen würden.
Das hat sich geändert im Sommer, da hat eine große Gruppe von Evangelikalen den Trump besucht in seinem Trump Tower in New York, in seinem Hochhaus. Und da gab es dann öffentliche Szenen. Und da wurde viel drüber berichtet. Und danach schien das so zu sein – ich weiß ja nicht, was er da denen versprochen hat oder wie die Gespräche dann auch im Einzelnen waren –, zumindest hat er denen versprochen, dass er, falls er gewählt wird, eben den Supreme Court ändern wird, also …
Gab es Versprechungen zum Supreme Court?
Weber: Das Verfassungsgericht.
Rosenhagen: Genau, da ist ja im letzten Jahr der Antonin Scalia gestorben, also ein ausgeprägt konservativer Richter, und das muss wohl schon genügend gewichtet haben, dass die gesagt haben, also, wir machen das. Ich glaube, die Überlegung, die da im Hintergrund eine Rolle gespielt hat, war vielleicht, dass es da so eine Front gegen das liberale Amerika Obamas gegeben hat, also gegen den Pluralismus oder einen Liberalismus, der eben auch ein Stück weit antikonservativ gelesen wurde.
Und die Evangelikalen haben dann zusammen mit diesen Disenfranchised Voters, also die Leute, die ökonomisch rausgefallen sind, gemeinsam eigentlich jetzt - Sie haben ja die Zahl genannt, 81 Prozent der weißen Evangelikalen haben den gewählt, das haben die Exit Polls ja gesagt oder ergeben -, die haben den dann zusammen ins Amt gebracht.
Ich glaube, die Entscheidung war: Lieber jemanden, der charakterlich miserabel ist und eigentlich gegen jegliche Form konservativer christlicher Moral steht, lieber so jemanden ins Amt zu bringen als weiterhin ein liberales Amerika, wo man dann moralisch ständig in diesen Kulturkämpfen verwickelt ist und auch Niederlagen hinnehmen muss. So denke ich mir das, das war für viele eben das kleinere Übel, obwohl, wie gesagt, vor einem Jahr war die Stimmung noch ganz anders.
"Das Religiöse hat bei der Wahl eine entscheidende Rolle gespielt"
Weber: In den USA sind ja seit den Pilgrim Fathers, also der christlich geprägten ersten Einwanderergeneration, Religion und Politik mindestens rhetorisch sehr miteinander verquickt. Also, bis heute schließen Präsidenten ihre Reden mit der Formel "God bless America". War denn dieser Wahlkampf jetzt auch voller religiöser Metaphern, obwohl das zwei Menschen waren, die sich eigentlich fast erstmals nicht als aufrechte Christen inszeniert haben, diese Kandidaten?
Rosenhagen: Ja, ich habe das so nicht wahrgenommen. Also, ich war bis zum Sommer in den USA und ich hatte eigentlich den Eindruck, dass das Religiöse eher eine Kulisse gebildet hat. Aber jetzt im Endeffekt, muss ich sagen, hat natürlich, wenn man sich diese Exit Polls anguckt, hat das Religiöse, das konservativ organisierte Religiöse natürlich schon eine ganz entscheidende Rolle mitgespielt bei der Wahl Trumps.
Also, auch der Obama ist ja auch ein sehr religiöser Mensch, der auch versucht hat, Religion nach guter amerikanischer Tradition mit heranzuziehen zur politischen Steuerung oder zu den Diskursen, die in der Öffentlichkeit gehalten werden. Also, das haben eigentlich Präsidenten immer gemacht, dass die auf Religion gesetzt haben, um so ein sozialstaatliches Vakuum auch zu füllen. Das ist in den USA einfach da. Also, die Gemeinden werden unterstützt in Sozialprojekten und das hat auch lange gut funktioniert. Also, das ist einfach eine gute amerikanische Tradition.
In diesem Wahlkampf hatte ich das Gefühl, es hat zumindest nicht eine so intensive Rolle gespielt wie zum Beispiel bei der Wahl Obamas oder wie zum Beispiel vor vier Jahren, bei Mitt Romney. Da wurde viel diskutiert, kann ein Mormone Präsident sein? Und auch unter den Evangelikalen gab es dann große Kritik und Anfragen, ob man das denn machen könnte, also, Mormonen als – in Anführungsstrichen – quasi christliche Sekte, kann so jemand als Präsident unterstützt werden?
Davor mit McCain, also mit Sarah Palin, die eben auch in so einer charismatischen christlichen Gruppe groß geworden ist, und dagegen Obama, der in Chicago lange Zeit in so einer African-American-Gemeinde war mit Anknüpfung an das Social Gospel, also an soziale Gerechtigkeitstradition, prophetische Tradition. Da hat das, habe ich den Eindruck gehabt, eine viel, viel größere Rolle gespielt als in diesem Wahlkampf.
Verschwindet der Einfluss der Kirchen?
Weber: Ist das denn vielleicht auch ein Zeichen dafür, dass grundsätzlich der Einfluss der Kirchen schwindet und eben man sich jetzt auch als Kandidat präsentieren kann, ohne sich religiös besonders zu verorten?
Rosenhagen: Also, generell gilt, dass in den USA niemand Präsident werden kann, der Atheist ist. Also, alle Umfragen zeigen, dass die beiden Gruppen, wenn da nachgefragt wird, die immer ganz negativ sind, das sind einmal die Atheisten und zum anderen, das muss man eben auch sehen, das sind Muslime. Das sind die beiden religiösen Gruppen, die immer am negativsten gesehen werden. Grundsätzlich gilt, dass in den USA jemand, der nicht religiös ist oder in keiner Weise die religiöse Sprache fähig ist aufzunehmen und an irgendwelche religiösen Identifikationsmuster anknüpfen kann - dass so jemand nicht Präsident werden kann.
Und so verrückt es klingt, selbst Donald Trump hat dann versucht zu erklären, dass er ja eigentlich aus so einer reformierten Tradition kommt, also, dass er Presbyterianer ist und dort auch lange Zeit in New York in die Gemeinde gegangen ist oder als Gemeindemitglied da dazugehört hat. Also, auch Donald Trump kam eigentlich nicht drum herum, in irgendeiner Weise das Religiöse aufzunehmen.
Mit der "Diversity Initiative" einen Kontrapunkt zu Trump setzen
Weber: Sie haben in den letzten Jahren ein erstarkendes abrahamitisches Narrativ in den USA beobachtet. Das heißt also, dass verschiedene Initiativen Juden, Christen und Muslime zusammengebracht haben mit diesem Bezug auf den gemeinsamen Stammvater Abraham und damit auch versucht haben, im Grunde eine Art nationale Einheit interreligiös zu fundieren. Können solche Initiativen überhaupt noch weiter funktionieren, nicht nur mit dem Präsidenten, sondern vor allem mit diesen Wählern, also Leuten, die ganz bewusst jemanden gewählt haben, der sich so klar gegen die Muslime gestellt hat?
Rosenhagen: Ja und nein. Also, einerseits gibt es da jetzt natürlich so was fast wie eine moralische oder zivilbürgerliche Pflicht, so was weiterzuführen, andererseits ist natürlich die Stimmung sehr kritisch im Moment, was den interreligiösen Dialog angeht.
Ich habe beobachtet, dass nach der Wahl Donald Trumps die Kanzlerin der Universität, an der ich auch arbeite in den USA, sofort einen Brief rausgeschickt hat an alle Studenten und an alle Angestellten und Fakultätsmitglieder, wo sie eben als Punkt klargemacht hat: Es ist weiterhin Aufgabe der Universität, die Diversity Initiative, also die Initiative hinsichtlich besseren Verständnisses von Menschen anderer rassischer Herkunft, ethnischer Herkunft, die geschlechtlich sich anders identifizieren, die auch religiös unterschiedlich sind, also, dass diese Diversity Initiative, die versucht zu betonen, wir sind pluralistisch und wir müssen gemeinsam auskommen in der amerikanischen Gesellschaft, das wurde sofort von der Kanzlerin gesetzt so als Kontrapunkt zu der Wahl Donald Trumps: Dass die Universität weiterhin verpflichtet ist, diese Initiativen zu unterstützen.
Also, insofern sehe ich darin eigentlich ein gutes Zeichen, dass so die amerikanische Zivilgesellschaft mit ihren Institutionen – also in dem Fall Ausbildungsinstitutionen – auch weiterhin versucht zu unterstützen, zu betonen, dass der amerikanische Pluralismus, der einfach ein Fakt ist, eben auch weiter funktionieren muss und weiter unterstützt werden muss, also erlernt werden muss, kann man ja auch sagen. Ob das natürlich unter Trump mit diesem "Make America great again", also die Vorstellung, dass eigentlich eine amerikanische Hegemonie unterstützt und gefördert werden muss oder jetzt das Leitnarrativ ist, also, wie das miteinander klarkommt oder miteinander in Beziehung zu setzen ist, das muss man über die nächsten vier Jahre sehen. Das weiß ich nicht.
Weber: Vielen Dank, Ulrich Rosenhagen, Pfarrer und zukünftiger Direktor des Instituts for Religion and Global Citizenry an der Universität von Wisconsin im Nordosten der USA.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.