Auf dem Campingplatz

Von Gerd Brendel |
Ihr Haus haben sie mitgenommen und bis zur nächsten Wasserstelle ist es nicht weit. Radio wird gerne gehört, Fernsehantennen nehmen zu. Mittagsruhe ist von 13 bis 15 Uhr und unbedingt einzuhalten. Die meisten, die hier anzutreffen sind, waren vorher noch nicht hier. Etwa 100 der Siedler auf Zeit gehören zum Stamm - zum Stamm der Dauercamper. Sie haben viel zu erzählen, dort bei Waren/Müritz.
Kamerun darf nicht sterben – Feldstudien im Land der Zeltnomaden

Merkblatt der Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Yaoundé zu Reisen nach Kamerun : Die Einreise nach Kamerun erfolgt i.d.R. auf dem Luftweg.

In der Regel. Es geht aber auch anders

" Bitteschön! Nach Kamerun ? Das Stückchen Straße bis zum Hafen und dann immer am Wasser entlang. "

Das Wasser ist die Müritz und der Hafen liegt in Waren. Aber für die Nicht-Kameruner in der landestypischen Nach-Wende Fußgängerzone ist das Gebiet noch immer ein weißer Fleck auf der Landkarte:

" Was soll ich dazu sagen. Nichts besonderes.
-Waren sie schon mal in Kamerun?
..ach ja, zu DDR-Zeiten. Sind normal, wie sich normale Menschen eben bewegen. "
Brechen wir also auf in das Herz des Müritz-Dschungels, immer am Wasser entlang. Und suchen wir uns mit unserem Schlafsack und der Machete einen Weg durch mannshohes Schilf vorbei an rüstigen Rentnerpaaren, die auf schmalen Stegen herumtrödeln, als ob es nichts mehr zu entdecken gebe auf Erden.

" Behalten Sie auf jeden Fall gegenüber den Zollbeamten Ruhe und Gelassenheit. "

" Überhaupt keine Zeit, bin voll im Stress…"

Der diensthabende Platzwart lässt den Forschungsreisenden passieren, nicht ohne einen abschätzigen Blick auf den Schlafsack geworfen zu haben, denn in ihrer Entwicklung haben die Kameruner das Campieren unter freien Himmel längst hinter sich gelassen und eine hochkomplexe Wohnkultur entwickelt. Eine typische Wohnform ist das so genannte Z E L T.

Camperin: " Wie würdest Du jemandem Zelt erklären, der das noch nie gesehen hat? "
Camper: " Das ist ein Stoff und hat Gestänge aus Kunststoff, oder Stoff das man aufbauen kann, und da ist schon ein Reißverschluss für a Tür, wo man dann reingeht. "

Erklärt ein Engeborenen-Paar in erstaunlich gutem, wenn auch nicht akzentfreiem Deutsch. Neben den ZELTEN findet man noch eine weitere Art der Behausung in Kamerun: Eine Art fahrbare Kästen: Wagen des Wohnens oder schlicht "Wohnwagen" genannt. Die unterschiedlichen Behausungen dienen auch als Unterscheidungsmerkmal für die verschiedenen Ethnien von Kamerun:

Bevölkerung: Ethnisch gliedert sich Kamerun in 286 verschiedenen Volks- und Sprachgruppen.

Ganz soviel sind es in Kamerun an der Müritz nicht.

Neumann: " Einmal haben wir hier die Dauercamper, dann haben wir hier den Stammgast. Dann haben wir den normalen Touristen und denn durch die Marina sehr viele Segler die hier sind. Das sind die Stämme. "

Und Herr Neumann ist ihr König. Ihm gehören noch ein paar andere Campingreiche in der Umgebung, die er alle mit der gleichen väterlichen Güte regiert.

Neumann: " Wie ich angefangen hab, hab ich auf meinem Campingplatz nur Schilder gelesen: Es ist verboten, es ist verboten. was hab ich gemacht- hab die Schilder abmontiert, es gibt ne Campingplatz Ordnung und jeder Camper kann lesen. "

Aber die wahre Identifikationsfigur für die traditionsbewussten Eingeboren ist der letzte König mit dem deutschen Namen R e i n h a r d R e n k.

Renk: " Ich bin eigentlich so der letzte Kameruner. "

Und in dieser Funktion bewahrt der Ex-König den Gründungsmythos von Kamerun. Es war einmal, ungefähr so:

Renk: " 1911 ungefähr da hatte ein Farmer in Kamerun eine Farm und dann wurden die Farmer vertrieben da wurden die Kolonien abgeschafft vom Kaiser, da haben sich die Engländer reingesetzt oder die Franzosen und da ist der Farmer hier nach Waren gekommen und dann hat er sich ein Stückchen Land gekauft und hat das eintragen lassen unter Kamerun. "

Eines der Höhepunkte im Stammes-Bewusstsein stellen die Ereignisse um die letzte Fußballweltmeisterschaft vor fünf Jahren dar – kein Wunder.

Sport: Die beliebteste Sportart in Kamerun ist der Fußball und In der Folge konnte sich Kamerun jedes Mal für die WM qualifizieren.

So auch im Jahre 2000.

Renk: " Da hat unsere Betriebsmannschaft, haben wir gesagt gegen Deutschland gespielt und da waren – ich sag mal- verschiedene Jugendliche da , die waren halt nicht so für Kamerun und die Deutschen haben ja auch gewonnen da gabs keine Probleme. "

Bis auf eins.

Renk: " Da war ja auch viel Fernsehen und den Moderatior vom RTL haben wir an nen Pfahl gebunden und haben ihn angebraten, weil er nich für die Kameruner war. das ist eben so Sitte muss eben mal angebraten werden, damit er für uns ist. "

Der Marterpfahl auf der großen Wiese hinter der Rezeption ist übrigens ein Werk des abgesetzten Königs. Überall auf dem Platz stößt man auf die Zeugnisse seiner Holzschnitzkunst.

" Hatte so die Vorstellung das so zu machen nach afrikanischen Vorstellungen.. Guten Abend - hatte so die Idee den Eingangsbereich so zu machen mit geschnitzten Figuren. So da sind wir angelangt: Das bin ich der Campingplatzleiter der grimmige. "

Der abgedankte Regent steht vor den geschnitzten Pfosten am Eingang.

" Den hab ich geschnitzt und neben dran da ist die Königin von Kamerun. Sehen Sie schön geschnitzt aus Lerchenholz geölt und hier war der Busen von der Königin und ich hab meine Frau als Model genommen .Die war ja gut gebaut und da haben in einer dunklen Stunde die Dauercamper den Busen weggenommen, weggesägt. den aus Holz, nicht den richtigen. "

Der Stamm der Dauercamper . Von allen Völkern auf dem Campingplatz der tapferste und unbeugsamste . In Kamerun haben sie ihre viereckigen Kästen auf der Wiese am Waldrand geparkt. Gerne sitzen sie am Nachmittag vor ihren Krals und erzählen sich die alten Mythen. Das mündlich tradierte Erzählgut teilt sich in zwei Gruppen:

Stock: " Bis früh um viere saßen wir hier. Dann hat man geschlafen, dann war mal wieder wach. "

Bierlegenden und Naturidyllen

Stock: " Wir haben hier ein Reh. Das legt immer sein Kiez hier vorm Wohnwagen ab. Und wenn ich morgens aus dem Fenster sehe, gucke ich genau auf das Nest mit dem jungen Kiez. "

Daneben bewahrt der Stock-Clan einzigartiges Erinnerungsgut an die glanzvollen Rituale des untergegangen Reichs der Ost-Kameruner und die einstige Bedeutung des eigenen Clans:

Ilona Stock: " Ich hab noch Bilder da vom Neptunfest. Ja, das wurde richtig aufgezogen, wir Frauen haben da genäht für die Nixen, für die Badenixen und denn haben wir Neptun gemacht. Und jeder ist dann getauft wurden und dann haben wir so Urkunden angefertigt und jeder hat ne Urkunde bekommen, hab ich hier: Urkunde über die Taufe der Ilona Stock zu des großen Müritz Freund. 1988 vollzogen auf Kamerun. "

Karl Heinz Stock: " Hier ist ein uralter Ausweis vom Campingrat: Der Inhaber dieses Ausweises ist Mitglied des Rates von Kamerun: Seinen Anweisungen ist Folge zu leisten und das ist dann unterschrieben vom Mitglied des Rates vom Bezirk Neubrandenburg. "

Jede Sippe hat hier eine Aufgabe übernommen und so wie die Stocks das Schriftgut des Stammes verwahren, pflegt der Nachbar-Clan der Behrend- Zenteras das traditionelle Kunsthandwerk:

" Ein Uhu ist das, original nachgemacht, hat uns sehr gut gefallen, gibt es auch als Melder, und so kleines Eichhörnchen dazu.
Hier ist noch der Angler, der fischt, hier hat er einen Fisch an der Angel. Da ist der Igel zwischen Steinpilz, da ist der Wetterfrosch. "

Wir dürfen zwischen den Artefakten der Behrends Platz nehmen und nach dem üblichen Begrüßungsschluck wird dem Feldforscher eine seltene Ehre zuteil.

Behrend: " Sie können reinkommen. "

Er darf das Kastenhaus betreten.

Jetzt sind wir hier im Wohnwagen, der Bereich zum Schlafen, hier ist ne kleine Toilette. Das ist für Gläser, Schränke für Wäsche, die Sitzecke hat auch noch Stellraum. das ist ein Einbau: Eiche rustikal.

Renk: " Der Menschenschlag isn bisschen zurückhaltend. Da muss man einfühlsam sein und dann geben die Kameruner alles. "

Das Eis ist gebrochen, weshalb Clanmutter Behrend und Clanvater Zentera beide im Dauercamper- typischen fortgeschrittenen Alter jetzt auch ihre ganz persönliche Geschichte erzählen: Alles begann auf der Geburtstag eines befreundeten Clans vor wenigen Jahren.

Behrend: " Paul war eingeladen und ich war eingeladen, vorher hatte ich ihn vielleicht gesehen, aber nicht registriert weil ich eigentlich niemanden mehr wollte und dann hab ich ihn gesehen und dann ist es passiert, liebe auf den ersten Blick so was gibt’s zwischen den Rehen und den Hasen ... und den Schlangen – und Wohnwagen. "
Abenddämmerung senkt sich über die Wiese der Dauercamper im Lande Kamerun und der charakteristische Geruch von verbranntem Wildbret erfüllt die feucht-tropische Sommerluft. Zeit für die landestypische Nahrungszubereitung.

" Was machen Sie grade?
Grillen.
Was ist grillen?
Was ist grillen - Koteletts, Bouletten, Anzünder und
en guten Grill. .. nicht täglich aber dreimal der Woche. "

Versorgungslage: Die Versorgungslage ist, zumindest in den größeren kamerunischen Städten, gut.

Eine Einschätzung, die Dauercamperin Emy und ihr Gefährte Karl bestätigen.

Emi: " Von der Versorgungslage ist es gut, kann keiner was sagen. "
Karl: " Viel Pute , viel Hähnchen, Fisch auch viel. Und da die Forelle schwimmen musste, haben wir sie schwimmen lassen, na wir haben ein kleinen getrunken hinterher. "

Ein Brauch, der die Fortsetzung der Feldstudien nach Einbruch der Dunkelheit nicht ratsam erscheinen lässt.

Der nächste Morgen ist ein Sonntag, in den angrenzenden Gebieten ein gesetzlicher Feiertag, was allerdings in Kamerun keine Rolle spielt, da die eingeborene Bevölkerung hier gänzlich unberührt vom Arbeitsrhythmus des entwickelten Kapitalismus mit seiner Einteilung in Werk und Feiertag ihr Dasein im ständigen Müßiggang fristet. Und so werden die Einwohner Kameruns an diesem Sonntagmorgen nicht von Kirchenglocken, sondern vom alltäglichen K i n d e r a n i m a t i o n s -Ritual geweckt

" Das wird dann morgens gespielt, einmal kurz einmal ganz laut, weil wir wollen ja hier nicht zur Ruhestörung aufrufen und dann kommen die Kinder ganz schnell. "

Erklärt die Kinderschamanin Sabine. Spielerisch finden so die jungen Stammesmitglieder ihren Platz im Sozialgefüge von Kamerun.

Sabine, Kinder: " Bei den Mädchen kommen die Bastelarbeiten an, besonders der Regenbogenfisch das hat was mit Glitzer zu tun und so. Was kommt denn bei Euch gut an?
-Fußball , -Fußball.. - Bist Dun Junge ? - nee.. mag trotzdem gerne Fußball.

Um das Wissen der eigenen Ursprünge ist es allerdings nicht gut bestellt.

" Wer weiß denn wo Kamerun ist?
- An der Müritz. Ja aber das ist auch ein Land in Afrika. Was wisst Ihr über Afrika?
- Tiere! Elefanten, Tieger und so. "

Das Wissen um die Herkunft aus dem fernen Land ist bedroht. Der neue König besinnt sich deshalb in seinem Regierungsprogramm wieder auf das Land der Urväter und Mütter.

Neumann: " Mein Traum von Kamerun ist, Kamerun so aussehen lassen wie Kamerun. Es wird Erweiterungen geben, dann wird ne neue Rezeption gebaut mit Restauration, mit SB-Laden, dann soll es ne Minigold Anlage geben, es werden neue Sanitär anlagen gebaut. Sie haben den Imbiss gesehen , da wollen wir ne Überdachung machen mit Schilf gedeckt, damit das aussieht wie so ein kleiner Kral , damit das son bisschen aussieht wie in Kamerum. "

Ob König Neumanns Initiative den Verfall der Tradition wird stoppen können? Oder ist die Kultur der Dauercamper dem Untergang geweiht?

" Das Exotische auf dem Zeltplatz ist dass es nichts Exotisches gibt, ist ganz normal. "

Und genau darum darf die Stammeskultur von Kamerun nicht sterben. Denn irgendwie ist Kamerun überall, auch bei uns. "