"Ich muss ja, ich bin drogenabhängig"
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Während der Coronakrise ist Prostitution vorübergehend untersagt. Bußgelder drohen. An der Berliner Kurfürstenstraße gehen Frauen trotzdem anschaffen, doch die Kundschaft bleibt aus.
Auf dem Straßenstrich an der Kurfürstenstraße in Berlin Schöneberg ist wenig los an diesem frühen Mai-Abend. Keine Autos, die wie sonst im Schritttempo die Straße entlang fahren, keine Männer mit suchendem Blick. Schwierige Zeiten, meint die 38- jährige Nina.
"Es ist im Moment schwierig, Kunden zu kriegen, weil ja Berufsverbot ist. Man kriegt schon Kunden, aber man steht viel länger. Und muss sich natürlich viel mehr verstecken, also vor der Polizei und es bleiben auch viele Kunden weg. Und Neukunden sind im Moment gar keine."
Streetworker verteilen Essen
Weil das Geld, das sie auf dem Strich verdient, momentan kaum reicht, ist Nina zum "Kontaktcafé Neustart" gekommen. Die Streetworkerinnen der christlichen Organisation haben corona-bedingt einen großen Tisch vor die Tür des Cafés gestellt, verteilen Tüten mit Brötchen, Süßigkeiten und Einkaufsgutscheine für Edeka und Rewe. Ohne kommt die Prostituierte zurzeit nicht aus.
"Neue und Laufkundschaft wenig. Und wenn, welche die was für 10 Euro machen wollen und so. Die versuchen das echt auszunutzen. Aber die können mir gestohlen bleiben."
Die Drogen und das Leben auf der Straße, auf dem Strich haben die Frau gezeichnet. Ihre Augen sind glasig, nur ein Schneidezahn ist der 38-Jährigen geblieben. Nina schafft an, um an Kokain zu kommen.
"Ich mache meine vier, fünf Kunden pro Tag schon noch – ich muss ja, ich bin drogenabhängig."
Seit Beginn der Coronakrise ist es für viele der Sexarbeiterinnen auf der Kurfürstenstraße noch schwieriger geworden, als ohnehin schon. Aufgrund der Kontaktbeschränkungen ist Prostitution schlicht verboten: 250 bis 5000 Euro Bußgeld werden für Freier wie für die Frauen fällig, sollten sie erwischt werden.
Sichere Orte sind geschlossen
Da Stundenhotels und die Videokabinen im Sex-Kino an der Ecke dicht sind, bleiben Prostituierten nur unangenehme oder gefährliche Orte, erzählt Nina.
"Es geht ja nur noch im Auto oder ich muss zu denen nach Hause fahren, weil ich selbst keinen Wohnraum habe, wo ich die mit hinnehmen könnte. Oder die Kunden wollen auf die öffentliche Toilette gehen, aber da mach' ich nicht immer mit. Das ist einfach zu widerlich."
Gerhard Schönborn arbeitet seit mehr als 15 Jahren in einer Beratungsstelle, die Frauen helfen will, von der Straße wegzukommen. Er kennt fast alle Frauen, die sich hier prostituieren. So drastische und schnelle Veränderungen, wie in den vergangenen Wochen hat er hier noch nie erlebt, erzählt er, während er Brötchen-Nachschub aus dem Café holt.
"Es hat ja angefangen damit, dass der Betrieb von Bordellen untersagt war, dann tauchten hier vereinzelt Frauen auf, die ich nicht kannte. Dann hat es rapide abgenommen auf der Straße und jetzt mit den Lockerungen kommen auch wieder mehr. Weil sie einfach das Geld brauchen."
Anschaffen auf dem Drogenstrich
Um wie zum Beispiel Nina ihren Drogenkonsum zu finanzieren. Seit Jahrzehnten schon sei die Kurfürstenstraße in Schöneberg ein Drogenstrich. Seit einigen Jahren kämen aber mehr und mehr Frauen aus Osteuropa hierher. Einige von ihnen sind allein unterwegs, leben auf der Straße, andere würden von Zuhältern zur Prostitution gezwungen, erzählt der Sozialarbeiter:
"Ich sag mal die Einheimischen prostituieren sich, um ihre Drogen zu finanzieren, die Osteuropäerinnen nehmen Drogen, um das Leben hier auf der Straße zu überstehen. Und die dritte Gruppe sind die, die wirklich gezwungen werden von ihren Zuhältern, das sind die Rumäninnen und Ungarinnen. Die lassen wirklich durchblicken, dass sie nicht die Freiheit haben zu kommen und zu gehen, wann sie wollen."
Doch die Zwangsprostituierten und deren Zuhälter seien jetzt weg, mit Beginn der Coronakrise von einem Tag auf den anderen verschwunden.
"Wahrscheinlich in Ungarn, ähnlich ist es bei Rumäninnen, die mit Zuhältern hier standen. Man hat wirklich gesehen, dass die von einem Tag auf den anderen abgezogen worden sind von der Straße."
Draußen am Stand stehen nun zwei weitere Frauen um sich mit Klamotten, Essen und Einkaufsgutscheinen einzudecken. Darunter eine junge Bulgarin, die wir hier Anelia nennen, weil sie ihren Namen nicht nennen möchte
Manche finden den Weg hinaus
Sie geht seit der Coronakrise nicht mehr auf den Strich. Schönborn hat ihr einen Platz in einer Notunterkunft besorgt, sie mit Geld und Gutscheinen unterstützt.
Sie habe schon vor Corona aufhören wollen, erzählt Anelia. Die fehlenden Freier, die Angst vor einer Ansteckung mit dem Virus – das sei für sie dann der letzte Anstoß gewesen, sagt sie und schiebt sich ihre Sonnenbrille ins Gesicht.
"Jetzt hat sie einen Arbeitsvertrag unterschrieben.", erzählt Schönborn. "Und damit sie hier nicht arbeiten muss, haben wir sie versorgt. Vier Wochen lang haben wir sie versorgt und dann auch erstmal untergebracht. Eine Sozialarbeiterin macht alle Behördengänge und Anmeldungen, Konto eröffnen. Und all das."
Am Montag beginnt Anelia mit einer Putzstelle. Für die 30-Jährige dunkelhaarige Frau, die vor Jahren hier auf der Kurfürstenstraße gelandet ist, ein guter Job. Alles nur nicht das hier.
"Diese Straßen-Stricharbeit, ist vorbei bei mir. Früher hab ich das gemacht – jetzt geh' ich normal arbeiten. Ich bin junge Frau. Gottseidank mit diesem Sozial hier. Immer sozial, immer sozial…."