Auf dem Weg zum Überwachungsstaat
Gesetzliche Hürden werden geschleift, die Technik aufgerüstet, Gefahren werden übertrieben: Marita Neher beschreibt das bedrohliche Anwachsen unserer Sicherheitsapparate im Zeichen der Terror-Abwehr - und überrascht die Leser mit einer sehr steilen These.
Auch Marita Neher glaubte einmal an jenen volkstümlichen Spruch, mit dem Politiker gern Kritiker beschwichtigen, die sich über Sicherheitsmaßnahmen beschweren.
"Wer nichts zu verbergen hat, der hat nichts zu befürchten."
Dass dieser Spruch aber gar nicht mehr gilt, das kann uns die Journalistin am Beispiel von Personen zeigen, die in Deutschland, England und Frankreich ins Visier der Terrorfahnder geraten sind. Man sollte das Schlimmste befürchten.
Ein Verdacht genüge, auch wenn er sich als falsch erweise, um verhaftet und verschleppt zu werden, ja um zu erleben, dass eine private Existenz zerstört wird. Gefährdet ist besonders derjenige, auf den ein bestimmtes Muster passt. So gerät ein junger, männlicher Muslim leicht unter Terrorismusverdacht.
"Er betet regelmäßig in einer Moschee, in der schon bekannte Islamisten gepredigt oder gebetet haben, hält sich an religiöse Vorschriften, er kommt aus einem muslimisch geprägten Land, mit oder ohne deutsche Staatsbürgerschaft, ist intelligent, Student, Ingenieur, Wissenschaftler, viel im Internet auf muslimischen und islamistischen Webseiten unterwegs, hält sich unter Umständen in Pakistan oder Afghanistan auf, hat dort vielleicht ein Ausbildungslager besucht."
Verhält er sich auch noch unauffällig, dann entspricht sein Leben dem Datenprofil eines potentiellen Terroristen. Die datengestützte Terrorfahndung betrifft aber nicht nur die Gruppe muslimischer Verdächtiger. So berichtet Marita Neher über den Fall eines Berliner Sozialwissenschaftlers, der eines Morgens von einem Sondereinsatzkommando der Polizei in seiner Wohnung überrascht, gefesselt und anschließend per Hubschrauber zum Ermittlungsrichter nach Karlsruhe gebracht wurde.
"Wer nichts zu verbergen hat, der hat nichts zu befürchten."
Dass dieser Spruch aber gar nicht mehr gilt, das kann uns die Journalistin am Beispiel von Personen zeigen, die in Deutschland, England und Frankreich ins Visier der Terrorfahnder geraten sind. Man sollte das Schlimmste befürchten.
Ein Verdacht genüge, auch wenn er sich als falsch erweise, um verhaftet und verschleppt zu werden, ja um zu erleben, dass eine private Existenz zerstört wird. Gefährdet ist besonders derjenige, auf den ein bestimmtes Muster passt. So gerät ein junger, männlicher Muslim leicht unter Terrorismusverdacht.
"Er betet regelmäßig in einer Moschee, in der schon bekannte Islamisten gepredigt oder gebetet haben, hält sich an religiöse Vorschriften, er kommt aus einem muslimisch geprägten Land, mit oder ohne deutsche Staatsbürgerschaft, ist intelligent, Student, Ingenieur, Wissenschaftler, viel im Internet auf muslimischen und islamistischen Webseiten unterwegs, hält sich unter Umständen in Pakistan oder Afghanistan auf, hat dort vielleicht ein Ausbildungslager besucht."
Verhält er sich auch noch unauffällig, dann entspricht sein Leben dem Datenprofil eines potentiellen Terroristen. Die datengestützte Terrorfahndung betrifft aber nicht nur die Gruppe muslimischer Verdächtiger. So berichtet Marita Neher über den Fall eines Berliner Sozialwissenschaftlers, der eines Morgens von einem Sondereinsatzkommando der Polizei in seiner Wohnung überrascht, gefesselt und anschließend per Hubschrauber zum Ermittlungsrichter nach Karlsruhe gebracht wurde.
Reichen die Beweise nicht aus, wird nachgeholfen
Er habe im Internet Suchwörter wie "Gentrifizierung" und "Prekarisierung" eingegeben und wurde verdächtig, weil solche Worte auch linksradikale Gruppen in Bekennerschreiben benutzt hatten. Das Ergebnis der Rasterfahndung schuf einen Anfangsverdacht, es folgte ein Jahr Überwachung, schließlich eine Woche Untersuchungshaft und am Ende erwies sich der Strafvorwurf als haltlos.
Für die Autorin war dies keine Ermittlungspanne, sondern routinierte Methode. Mit einer Vielzahl von Suchbegriffen würden Polizei und Geheimdienste Daten filtern und dabei willkürlich – fernab jeden konkreten Tatverdachts – Namen mit ihrem Fahndungsnetz einfangen.
Reiche das Beweismaterial nicht aus, um eine Zielperson zu überführen, würden die Ermittler auch schon einmal nachhelfen.
"Und was brauche ich, um einen unauffälligen Muslim aus seinem Versteck zu locken und den gewaltbereiten Islamisten aus ihm herauszuschälen? Ich setze einen V-Mann auf ihn an, der sich sein Vertrauen erschleicht und ihn provoziert, Dinge zu sagen, die er bis vor kurzem noch nicht einmal gedacht hat. In anderen Worten: Ich erschaffe mir meinen Feind – und damit meine berufliche Daseinsberechtigung."
Sie schaffen sich den Feind, den sie zu bekämpfen vorgeben. Das ist Marita Nehers steile These. Sie versteht es, komplexe Sachverhalte in einfachen Bildern auszudrücken, schildert eindrucksvoll Einzelschicksale und liefert gut recherchierte Fakten und Daten zu dem, was sie den Albtraum Sicherheit nennt.
Der Krieg gegen den Terror heize sich selbst auf. Politiker, Polizei und Geheimdienste, Fachwissenschaftler - eng verzahnt mit industriellen Anbietern, würden sich gegenseitig in ein Wettrüsten der Sicherheitsapparate hineinsteigern, diese vor allem technologisch aufrüsten, aber auch Bedrohungslagen übertreiben, gesetzliche Hürden schleifen, ihr Zusammenspiel verschleiern und öffentliche Kontrolle hintertreiben.
"Sicherheit ist ein prosperierender Wirtschaftszweig. Auf EU- und auch auf nationaler Ebene beschäftigen sich unzählige Kommissionen, Stiftungen, Institute, Vereine (auch NGOs genannt), Universitäten und Unternehmen mit dem Thema Sicherheit, so dass es mir unmöglich ist, eine auch nur halbwegs vollständige Liste vorzulegen."
Für die Autorin war dies keine Ermittlungspanne, sondern routinierte Methode. Mit einer Vielzahl von Suchbegriffen würden Polizei und Geheimdienste Daten filtern und dabei willkürlich – fernab jeden konkreten Tatverdachts – Namen mit ihrem Fahndungsnetz einfangen.
Reiche das Beweismaterial nicht aus, um eine Zielperson zu überführen, würden die Ermittler auch schon einmal nachhelfen.
"Und was brauche ich, um einen unauffälligen Muslim aus seinem Versteck zu locken und den gewaltbereiten Islamisten aus ihm herauszuschälen? Ich setze einen V-Mann auf ihn an, der sich sein Vertrauen erschleicht und ihn provoziert, Dinge zu sagen, die er bis vor kurzem noch nicht einmal gedacht hat. In anderen Worten: Ich erschaffe mir meinen Feind – und damit meine berufliche Daseinsberechtigung."
Sie schaffen sich den Feind, den sie zu bekämpfen vorgeben. Das ist Marita Nehers steile These. Sie versteht es, komplexe Sachverhalte in einfachen Bildern auszudrücken, schildert eindrucksvoll Einzelschicksale und liefert gut recherchierte Fakten und Daten zu dem, was sie den Albtraum Sicherheit nennt.
Der Krieg gegen den Terror heize sich selbst auf. Politiker, Polizei und Geheimdienste, Fachwissenschaftler - eng verzahnt mit industriellen Anbietern, würden sich gegenseitig in ein Wettrüsten der Sicherheitsapparate hineinsteigern, diese vor allem technologisch aufrüsten, aber auch Bedrohungslagen übertreiben, gesetzliche Hürden schleifen, ihr Zusammenspiel verschleiern und öffentliche Kontrolle hintertreiben.
"Sicherheit ist ein prosperierender Wirtschaftszweig. Auf EU- und auch auf nationaler Ebene beschäftigen sich unzählige Kommissionen, Stiftungen, Institute, Vereine (auch NGOs genannt), Universitäten und Unternehmen mit dem Thema Sicherheit, so dass es mir unmöglich ist, eine auch nur halbwegs vollständige Liste vorzulegen."
Beobachtung in Echtzeit
Einige der aktiven Netzwerke und seriösen Tischrunden hat Marita Neher aber schon aufgespürt und einer näheren Untersuchung unterzogen, besonders Forschungsprojekte auf EU-Ebene. Die EU hat von 2007 bis 2013 über 50 Milliarden Euro Forschungsgelder in Projekte zur "inneren Sicherheit" gesteckt und ist dabei, diese Aktivitäten auszuweiten.
Ein besonders profiliertes Projekt nennt sich "INDECT". Es soll ein intelligentes Informationssystem werden, um Bedrohungen für die Sicherheit von Bürgern in städtischer Umgebung zu erkennen und erkannte Gefahren zu bekämpfen.
"INDECT muss man sich vorstellen als eine Kombination aus Überwachungskameras, Ortungssystemen, Drohnen, Robotertechnologie und intelligenten Suchmaschinen. ‚INDECT ermöglicht die Beobachtung aller Bürger im Web und auf der Straße in Echtzeit' und verfolgt das Ziel der präventiven Erkennung von 'abnormem Verhalten', also etwa von Störungen der öffentlichen Ordnung und von Straftaten. 'Automatisierte Schnittstellen leiten Beobachtungen und Erkenntnisse unmittelbar an Polizei und Ermittlungsbehörden weiter.'"
Vom Innenministerium in Warschau initiiert, wird "INDECT" von der Universität für Wissenschaft und Technik in Krakau gemeinsam mit 17 Partnern aus neun Ländern ausgeführt und derzeit in verschiedenen städtischen Ballungsgebieten erprobt. Das Bundeskriminalamt kam einer Einladung zur Mitwirkung übrigens nicht nach, weil es, so die entsprechende Presseerklärung, den umfassenden Überwachungsgedanken des Projektes ablehnt.
Aufschlussreich beschreibt die Autorin, wie entschieden sich Beamte von Polizei und Sicherheitsdiensten gegenüber journalistischer Recherche abschotten. Und auch das habe System.
Den Politikern hält sie vor, einerseits immer wieder zu versichern, wie wichtig ihnen die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit sei, aber andererseits eben diese Freiheit und die bürgerlichen Rechte um der Sicherheit willen gesetzlich einzuschränken. Sicherheit werde zum Albtraum, nicht weil sie zu hohe Kosten für die Etats verursacht.
Der Albtraum seien ein Überwachungsstaat und sein politischer Preis.
Marita Neher: Albtraum Sicherheit
Interessen und Geschäfte hinter der Sicherheitspolitik
S. Fischer Verlag Frankfurt, Mai 2013
240 Seiten, 14,99 Euro, als ebook erhältlich
Ein besonders profiliertes Projekt nennt sich "INDECT". Es soll ein intelligentes Informationssystem werden, um Bedrohungen für die Sicherheit von Bürgern in städtischer Umgebung zu erkennen und erkannte Gefahren zu bekämpfen.
"INDECT muss man sich vorstellen als eine Kombination aus Überwachungskameras, Ortungssystemen, Drohnen, Robotertechnologie und intelligenten Suchmaschinen. ‚INDECT ermöglicht die Beobachtung aller Bürger im Web und auf der Straße in Echtzeit' und verfolgt das Ziel der präventiven Erkennung von 'abnormem Verhalten', also etwa von Störungen der öffentlichen Ordnung und von Straftaten. 'Automatisierte Schnittstellen leiten Beobachtungen und Erkenntnisse unmittelbar an Polizei und Ermittlungsbehörden weiter.'"
Vom Innenministerium in Warschau initiiert, wird "INDECT" von der Universität für Wissenschaft und Technik in Krakau gemeinsam mit 17 Partnern aus neun Ländern ausgeführt und derzeit in verschiedenen städtischen Ballungsgebieten erprobt. Das Bundeskriminalamt kam einer Einladung zur Mitwirkung übrigens nicht nach, weil es, so die entsprechende Presseerklärung, den umfassenden Überwachungsgedanken des Projektes ablehnt.
Aufschlussreich beschreibt die Autorin, wie entschieden sich Beamte von Polizei und Sicherheitsdiensten gegenüber journalistischer Recherche abschotten. Und auch das habe System.
Den Politikern hält sie vor, einerseits immer wieder zu versichern, wie wichtig ihnen die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit sei, aber andererseits eben diese Freiheit und die bürgerlichen Rechte um der Sicherheit willen gesetzlich einzuschränken. Sicherheit werde zum Albtraum, nicht weil sie zu hohe Kosten für die Etats verursacht.
Der Albtraum seien ein Überwachungsstaat und sein politischer Preis.
Marita Neher: Albtraum Sicherheit
Interessen und Geschäfte hinter der Sicherheitspolitik
S. Fischer Verlag Frankfurt, Mai 2013
240 Seiten, 14,99 Euro, als ebook erhältlich