Auf dem Weg zur Supermacht

Chinas Traum vom starken Militär

China tut alles, um militärisch im Konzert der Großen mitzuspielen.
China tut alles, um militärisch im Konzert der Großen mitzuspielen. © picture-alliance / dpa / Li Guangyin
Von Axel Dorloff · 17.10.2016
Aufrüsten und Stärke zeigen: Chinas Präsident Xi Jinping träumt vom "starken Militär" und will die USA als militärische Supermacht herausfordern. Er hat der Armee die größte Reform ihrer Geschichte verordnet. Zugleich bleibt die Volksrepublik auf Konfrontationskurs im südchinesischen Meer.
Modern, schlagfertig, aggressiv – so präsentiert sich Chinas Militär in diesem Werbevideo. Der Clip soll den Nachwuchs für die Volksbefreiungsarmee begeistern. Den Feind immer im Auge haben, die Pflicht auf den Schultern tragen und im Herzen die Passion. So tönt es aus dem Off. In dem Werbefilm steigt ein junger chinesischer Soldat in seine Uniform, streicht sich über die Nationalflagge am Revere – und dann geht es los.
"Der Krieg kann jederzeit beginnen – seid Ihr bereit?", fragt eine Stimme. Danach martialische Bilder vom militärischen Training: chinesische Kriegsschiffe, Kampfflugzeuge, Raketen und andere Waffensysteme. Viel davon ist mittlerweile auch "Made in China", sagt der parteinahe Politikwissenschaftler Jin Canrong von der Renmin Universität in Peking.
"Chinas Kriegsgerät hat sich beeindruckend weiter entwickelt. Chinas Armee kann es heute mit jeder Armee der Welt aufnehmen. Unser Bestand an Raketen kann mit anderen Supermächten mithalten. Bei der Größe der Armee sind wir schon spitze. Wenn also andere Länder, speziell unsere Freunde aus den USA sagen, China möchte seine Muskeln zeigen, dann ist meine Antwort: Ja, genau das ist der Fall! Wir zeigen unsere Muskeln!"
Rückblick: September 2015. Rund 12.000 chinesische Soldatinnen und Soldaten schreiten die Chang'an Prachtstraße vorm Platz des Himmlischen Friedens in Peking entlang. Die Militärparade zum 70. Jahrestag der Kapitulation Japans ist die größte und modernste Waffenschau, die China jemals gesehen hat. Das Motto auch hier: Muskeln zeigen und militärische Stärke demonstrieren.
Chinas Militärexperten schwärmen: rund 80 Prozent der Waffen seien noch nie gezeigt worden. Sieben verschiedene Raketentypen werden vorgeführt, darunter Atom- und Interkontinental-Raketen. 200 Kampfflugzeuge überfliegen den Platz des Himmlischen Friedens. Und am Boden rollen Panzereinheiten und etwa 500 andere Waffensysteme an den Ehrentribunen vorbei.
Zum Auftakt der Parade inszeniert Chinas Präsident Xi Jinping sein Land als verantwortungsvolle Friedensmacht. Er versichert, China sei einer friedlichen Entwicklung verpflichtet, strebe weder nach Hegemonie noch Expansion. Es ist ein Widerspruch: einerseits versichert die chinesische Führung der Welt unentwegt ihre friedlichen Absichten, andererseits droht sie bei der nächstbesten Gelegenheit den Nachbarn im Südchinesischen oder Ostchinesischen Meer. Oder schickt massenhaft Kriegsgerät durch die Straßen der chinesischen Hauptstadt. Der Wissenschaftler Tai Ming Cheung forscht an der Universität von Kalifornien in San Diego seit Jahren zu Chinas Militär.
"China entwickelt sich immer mehr zu einer professionelleren und gut bewaffneten Militärmacht. Das Land spielt noch nicht ganz vorne mit, aber sicher in der zweiten Reihe der weltweiten Militärmächte. China hat seine militärische Organisation und Struktur verbessert. Und sie haben viele neue Waffen, auch wenn einige davon noch in der Entwicklung sind. Auf der anderen Seite hat China kaum Kriegserfahrung. Von daher ist es völlig unklar, wie China in einem wirklichen Krieg auftreten würde."

Reform der Volksbefreiungsarmee

China hatte im Jahr 2015 mit geschätzten 189 Milliarden Euro die zweithöchsten Militärausgaben weltweit – nach den USA. Pekings Militärbudget ist in den vergangenen zehn Jahren fast jedes Jahr zweistellig gewachsen. Für 2016 betrug der Anstieg zwar nur rund acht Prozent, aber Experten gehen sowieso davon aus, dass Chinas Militärausgaben de facto deutlich höher liegen als die offiziellen Zahlen. Die Ausweitung des Verteidigungshaushaltes der letzten Jahre zeigt: für China ist das Militär eine zentrale Komponente auf dem Weg zur nationalen Stärke. Das Motto der Führung in Peking ist dabei eindeutig: eine aufstrebende Supermacht braucht moderne und schlagkräftige Streitkräfte. Um das zu erreichen, hat Präsident Xi Jinping drei Jahre nach seinem Amtsantritt der chinesischen Volksbefreiungsarmee die größte Strukturreform seit den 50er Jahren verordnet.
Die sieben Militärregionen der Volksrepublik wurden Anfang des Jahres in vier regionale strategische Zonen und ein Zentralkommando umstrukturiert. Ziel ist es, Strukturen für ein gattungsübergreifendes Kommando zu schaffen. Die Streitkräfte werden im Zuge der Reform außerdem um 300.000 Stellen verkleinert – auf zwei Millionen Angehörige. Alles für den Traum eines modernen und schlagkräftigen Militärs. Jiang Chunliang, Generalmajor in der Volksbefreiungsarmee, unterstützt die Militärreform von Präsident Xi als notwendigen Schritt.
"Ziel der Militärreform ist es, unsere Gefechtsfähigkeit zu verbessern. Wir müssen in der Lage sein zu kämpfen, Bedrohungen von außen entgegenzutreten und eine mögliche Invasion zu verhindern. Wir müssen in der Lage sein, die Souveränität und territoriale Sicherheit unseres Landes zu schützen."
In der Vergangenheit haben beim chinesischen Militär Heer, Marine und Luftwaffe weitgehend unabhängig voneinander operiert. Jetzt agieren die Teilstreitkräfte im Verbund. Der neue Schwerpunkt liegt auf Marine und Luftwaffe, sagt Generalmajor Jiang.
"Die Militärreform geht einher mit der technologischen Entwicklung. Heutzutage sind die zentralen Schlachtfelder zu Wasser und in der Luft. Wenn wir nicht reformieren, wenn unsere Ausrüstung nicht auf dem neuesten Stand, unsere Organisation nicht flexibel und unser Training nicht von höchster Qualität sind, dann beeinflusst das unsere Gefechtsfähigkeit."
Die Macht übers Militär wurde zentralisiert, hin zu Staats- und Parteichef Xi Jinping. Als Leiter der Zentralen Militärkommission der Kommunistischen Partei ist er auch Oberbefehlshaber der Streitkräfte. Außerdem ließ er sich selbst zum Oberkommandeur des neuen übergreifenden Kommandozentrums ernennen. Für den Militärexperten aus San Diego, Tai Ming Cheung, ist klar: mit der Militärreform soll die chinesische Volksbefreiungsarmee fit gemacht werden. Fit für die Kriege der Zukunft.
"Im 21. Jahrhundert hat sich Chinas nationales Sicherheits- und territoriales Interesse weiter nach außen verlagert. Ob im Südchinesischen oder im Ostchinesischen Meer – oder noch weiter draußen. In allen Fällen ist das alte, landdominierte Militär nicht mehr relevant. Das war hauptsächlich dazu da, Landesgrenzen am Boden zu schützen. Also wird umstrukturiert, hin zu global einsatzbaren Streitkräften, mit deutlich mehr Gewicht für Marine und Luftwaffe. Auch neue Bereiche wie die Cyber-Kriegsführung werden immer wichtiger."

Vertrauten des Präsidenten auf wichtigen Posten im Militär

Die Reform hat allerdings nicht nur Unterstützer. Die Volksbefreiungsarmee galt bislang als riesiger Machtblock innerhalb des Kommunistischen Staates, mit eigenen Gesetzen und eigenen Privilegien. Auch, weil die Militärreform von einem harten Anti-Korruptionskampf begleitet wird, ist sie bei einem Teil des Militärs umstritten und gefürchtet. Zahlreiche hohe Offiziere wurden im Rahmen der Korruptionsbekämpfung von ihren Posten entfernt, verhaftet und verurteilt. In diesem Ausmaß ein Novum in der Geschichte der Volksbefreiungsarmee, sagt der Wissenschaftler und China-Experte Tai Ming Cheung.
"Das hat es vorher so nie gegeben. Und es hat dazu gedient, die Opposition innerhalb des Militärs auszuschalten. Der Gedanke dahinter ist klar: wenn man in dieser großen Zahl Leute aus dem Verkehr zieht und verhaftet, bricht man jeglichen Widerstand innerhalb des Militärs. Und Xi Jinping hat sich darauf konzentriert, mit seinen Anti-Korruptionseinheiten die Leute zu kriegen, die sich seinen Reformen widersetzen könnten."
Wichtige Posten im Militär hat Präsident Xi Jinping mit eigenen Vertrauten besetzt, um Einfluss zu gewinnen und alte Strukturen aufzubrechen. Bislang galt die Volksbefreiungsarmee als weitgehend autarker Apparat im Staat, der sich Eingriffen von oben gut entziehen konnte. Jetzt soll die Kommunistische Partei wieder über die Gewehre herrschen – allen voran Präsident Xi.
Und es gibt auch Gewinner der Reform. Brigadegeneral Li Zhenglian ist einer von ihnen. Im chinesischen Staatsfernsehen wird er als jemand gefeiert, der sich den von Präsident Xi propagierten chinesischen Traum erfüllt hat. Seit 30 Jahren ist Li Zhenglian Soldat, jetzt dient er in der ersten, neuen Raketeneinheit, die Ende 2015 als Teil der militärischen Strukturreform gegründet wurde.
"Ich bin der Kommandeur dieser Truppe. Ich bin verantwortlich für meine Truppe, verantwortlich gegenüber meinem Land und verantwortlich für einen möglichen Kampfeinsatz."
Unter viel medialer Aufmerksamkeit hat Präsident Xi Jinping die neu gegründete Raketeneinheit erst kürzlich besucht. Und fand dabei warme Worte für die chinesischen Soldaten: ihre Einheit sei ein "Kern der strategischen Abschreckung, ein strategischer Stützpfeiler der Position des Landes als Großmacht und ein Grundstein, auf dem die nationale Sicherheit errichtet wird." Im chinesischen Staatsfernsehen CCTV liefen Bilder, wie Brigadegeneral Li in der Wüste der westchinesischen Provinz Xinjiang Raketengeschosse testet.
"Der Einsatz der Rakete war ein voller Erfolg. Das bricht unsere besten Rekorde in der Geschichte der Abwehrraketen. Und das in einer sehr schwierigen Situation. Es zeigt, dass unsere Raketen-Abwehr-Kräfte voll und ganz zum Einsatz bereit sind. Wenn wir den Befehl kriegen, können wir loslegen und den Auftrag erfüllen."

Ziel: als Supermacht weltweit ernst genommen werden

Auch hier die Botschaft: Chinas Militär von heute ist schnell, aggressiv und einsatzbereit. Die militärischen Muskelspiele Chinas ziehen sich durch die Berichterstattung sämtlicher Staatsmedien. Gerne wird dabei auch betont, dass China sich eine eigene Militärindustrie aufgebaut hat. Die militärischen Produktionskapazitäten der Volksrepublik haben tatsächlich deutlich zugenommen. Das Land ist heute weit weniger abhängig von Waffenimporten als noch vor einigen Jahren, sagt Siemon Wezeman, Wissenschaftler am Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI.
"Bis in die 80er-Jahre hinein haben die Chinesen Müll produziert – aber sie hatten keine andere Wahl. Weil ihnen keiner irgendwas verkaufen wollte. Aber die Chinesen haben immer gesagt: wir wollen unsere eigene Militär- und Verteidigungsindustrie aufbauen. Wir kaufen Waffen, wenn wir sie brauchen – aber wir werden auch davon lernen. Und das hat China in den letzten 20, 25 Jahren getan: sie haben viel gelernt, sie haben viel kopiert. Und jetzt produzieren sie mehr und mehr auch hoch entwickelte Waffen, die sie auf dem Weltmarkt auch exportieren."
China ist nach den USA und Russland drittgrößter Waffenexporteur der Welt. Chinas Waffenexporte sind in den vergangenen fünf Jahren um 88 Prozent gestiegen – verglichen mit dem Zeitraum von 2006 bis 2010. China wird als Waffenverkäufer für andere Länder immer interessanter, auch weil China weniger politische Bedingungen an die Kunden stellt als die USA oder Länder aus Europa. Und: Waffen aus der Volksrepublik haben sich weiter entwickelt und werden immer komplexer.
China verkauft mittlerweile fast alles, und das günstig: nicht mehr nur Maschinengewehre oder Handgranaten, sondern auch Raketen, Radarsysteme und Drohnen. Präsident Xi Jinping möchte sein Land als militärische Großmacht etablieren. Experten wie der Politikwissenschaftler Tai Ming Cheung warnen aber: mit der Militarisierung Chinas steigt gleichzeitig auch die Gefahr, dass militärische Reibungen und Konflikte in der asiatischen Region künftig zunehmen.
"Andere Länder haben große Bedenken, weil es mit China viele territoriale Konflikte gibt. Ob die Spratly-Inseln im Südchinesischen Meer, die Bebauung der Inseln und Riffe oder andere territoriale Streitigkeiten, die China mit südostasiatischen Ländern hat. Früher konnte China keinen Druck aufbauen, weil sie die militärische Macht nicht hatten, um ihre Interessen durchzusetzen. Aber das haben sie jetzt. Aber am Ende des Tages will auch das chinesische Militär keinen Krieg führen, schon gar nicht gegen die USA. Weil sie noch immer bedeutend schwächer sind."
Um die eigenen Gebietsansprüche im Südchinesischen Meer zu untermauern, bebaut China die Inseln oder schüttet Korallenriffe zu künstlichen, neuen Inseln auf. So schafft sich die Volksrepublik dort eine immer bessere militärische und zivile Infrastruktur. Perspektivisch wird China an der bestehenden Weltordnung rütteln, sagt Militärexperte Cheung.
"Langfristig – nicht in den nächsten fünf bis zehn Jahren – aber je größer die militärische Macht Chinas wird, desto größer wird die Herausforderung für die USA. Man sieht es jetzt schon, dass die USA deshalb ihre Präsenz im asiatisch-pazifischen Raum verstärken. Die Chinesen haben die Zahlen, die USA haben die Qualität. Was wir erleben, ist eine strategische Konkurrenz. Präsident Xi Jinping betont immer wieder: China ist eine globale Macht. Die USA sind bislang die militärische Supermacht, aber China fordert sie heraus."
Wie die Botschaft dieses aggressiven Werbevideos des chinesischen Militärs sind auch die Signale der politischen Führung aus Peking eindeutig: China möchte als Supermacht neben den USA weltweit ernst genommen werden. Und dazu gehört die größtmögliche militärische Stärke.
Die Entwicklung der Volksbefreiungsarmee hin zu einer modernen, schlagkräftigen Armee ist dabei auch ein Wink an die internationale Gemeinschaft. Pekings Strategen sehen derzeit eine günstige Gelegenheit, um den Aufstieg und die weltweite Präsenz Chinas voranzutreiben. Aus chinesischer Sicht sind die Amerikaner in ihrem Führungsanspruch beschädigt. Die Europäer sind vor allem mit sich selbst beschäftigt. Dazu kommt der Konflikt mit Russland. Die Schwäche der anderen Staaten könnte den Aufstieg Chinas zur globalen Militärmacht beschleunigen.
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