Auf den Spuren Albert Einsteins in Berlin

Rezensiert von Kurt Darsow · 07.08.2006
Vom Ersten Weltkrieg bis zum Beginn der Naziherrschaft lebte Albert Einstein in Berlin. In dieser Zeit hat er nicht nur der Physik bahnbrechende Erkenntnisse beschert, sondern auch die Kultur der brodelnden Metropole bereichert. Dieter Hoffmann ist den Spuren Einsteins vor Ort nachgegangen und hat mit "Einsteins Berlin" einen wissenschaftshistorischen Reiseführer vorgelegt.
Die einen verkriechen sich in ihre Studierstuben, und die anderen streben ins Scheinwerferlicht. Die einen reisen zu Kongressen, und die anderen halten populärwissenschaftliche Vorträge. Die einen äußern sich in Fachzeitschriften, und die anderen stellen ihre Ideen auch in der Tagespresse dar.

Auf Albert Einstein trifft diese reinliche Unterscheidung nicht zu. Er hat stets auf beiden Hochzeiten getanzt. Er war in der Fachwelt ebenso zu Hause wie in den Medien. Ja, man kann sogar sagen, dass er den heute überall anzutreffenden Typus der "öffentlichen Person" für den Bereich der Naturwissenschaft erst eigentlich erfunden hat.

Im Jahr 1931 referierte er sogar in der Marxistischen Arbeiterschule Groß-Berlin über sein Forschungsgebiet. Die Schriftstellerin Anna Seghers hatte ihn dazu in die Weinmeisterstraße eingeladen, und der Nobelpreisträger war sich durchaus nicht zu schade, so genannten "einfachen Arbeitern" die subtilen Geheimnisse der Relativitätstheorie zu erklären.

Bevor Einstein in den zwanziger Jahren zur "Kultfigur" aufstieg, war unter den Physikern eher der Typus des Geheimrats vorherrschend, wie ihn der asketisch wirkende Max Planck verkörperte. Auch er hat sich zwar bereits auf fachfremdes Gebiet begeben, wie seine Kontroverse mit dem Wiener Philosophen Ernst Mach zeigt, aber ansonsten ging er der Öffentlichkeit eher aus dem Weg.

Den Umgang mit ihr musste auch Albert Einstein erst lernen. Als er 1914 sein erstes Berliner Domizil in der Dahlemer Ehrenbergstraße aufschlug, ersuchte ihn die Kaiser Wilhelm Gesellschaft, die ihn zum Direktor ihres noch nicht existierenden Instituts für Physik ernannt hatte, zu standesgemäßem Verhalten.

Schließlich lebte er gerade "in Scheidung" und wurde von seiner Frau Mileva und den beiden Söhnen bereits kurz nach dem Einzug in die neue Wohnung wieder verlassen. Als seinem Arbeitgeber dann auch noch Gerüchte über eine sich anbahnende Beziehung zu seiner Kusine Elsa zu Gehör kamen, schärfte ihm der Direktor des Instituts für Physikalische Chemie Fritz Haber ein, sich in der Öffentlichkeit nur ja nicht zusammen mit ihr sehen zu lassen.

In den 18 Jahren, die Albert Einstein in Berlin lebte und arbeitete, setzte er sich immer souveräner über solche Anstandsregeln hinweg. Die noch aus der wilhelminischen Ära stammenden Konventionen verloren im Sündenbabel der Weimarer Republik sukzessive an Wirksamkeit. Aber vor allem war es sein Ruf als "physikalisches Weltgenie", der Einstein immer größere Freiheiten erlaubte.

Die in der Öffentlichkeit heiß diskutiere Relativitätstheorie ließ auch die kulturelle Szene aufhorchen. Gerhart Hauptmann, Walter Rathenau und Charlie Chaplin waren bei Einstein zu Gast. Harry Graf Kessler lobte seine "hübsche Wohnung im Berliner Westen" und fand Gefallen an seinem kindlichen Gemüt. Doch da lebte der Physiker schon lange nicht mehr als "Ein-Mann-Institut" in Dahlem, sondern ließ in der Haberlandstraße seiner Exzentrik freien Lauf.

Der Berliner Wissenschaftshistoriker Dieter Hoffmann hat als Nachtrag zum abgelaufenen "Einstein-Jahr" ein Buch vorgelegt, das Einsteins wichtigste Lebensstationen in der Reichshauptstadt in Wort und Bild zur Anschauung bringt. Wo er in den politisch wie kulturell gleichermaßen turbulenten Jahren gewohnt und gearbeitet hat, mit wem er Umgang pflegte und welche politischen Positionen er vertrat, ist dort nachzulesen.

Hoffmanns Buch ist als Reiseführer konzipiert und stellt allein schon durch seine Form eine wichtige Ergänzung zu den Jubiläumspublikationen des letzten Jahres dar. Darüber hinaus gibt es einen Eindruck davon, wie intensiv Einstein in das urbane Leben eingebunden war und welche Lücke er mit seinem Weggang in der Metropole hinterließ.
Von einer Reise in die USA kehrte er unter dem Eindruck antisemitischer Anfeindungen nicht mehr nach Berlin zurück. Im Institute of Advanced Studies in Princeton boten sich ihm ideale Arbeitsbedingungen, während die Berliner Wissenschaft immer mehr unter den Einfluss des nationalsozialistischen Ungeistes geriet.

Wenn nicht alles täuscht, hat sie den Verrat an ihren besten Köpfen bis heute nicht verwunden. Nie wieder hat sie jene Weltbedeutung zurückgewonnen, für die der Name Einstein stand. Wenn der heutige "Wissenschaftsstandort" etwas von ihm lernen will, darf er nicht nur auf "Effizienz" bedacht sein.

Einstein war kein effizienter Denker, sondern eher ein "schlampiges Genie", das auch Irrwege und Abwege in Kauf nahm. "Phantasie ist wichtiger als Wissen", lautete eine seiner Maximen. Daran sollte man sich ein Beispiel nehmen.

Dieter Hoffmann: Einsteins Berlin - Auf den Spuren eines Genies
Wiley-VCH Verlag, Weinheim 2006
224 Seiten, 19,90 Euro