Auf den Spuren alter Meister
Der Maler Lucian Freud hat sich am Anfang seiner Karriere von den alten Meistern der Niederländischen Malerei beeinflussen lassen. Sein späteres Werk dagegen zeugt von einer echten Begeisterung für Tizian, Courbet, Cezanne und Picasso. Einige der im Museo Correr in Venedig ausgestellten Gemälde Freuds reichen in ihrer spontanen Malweise durchaus an Werke van Goghs heran.
Als vor wenigen Jahren die Royal Portrait Gallery in London ein Bildnis der Queen erwarb, das Lucian Freud 2001 gemalt hat, gab es darüber kaum eine öffentliche Schlagzeile im Vereinigten Königreich zu lesen. Vor 15 oder 20 Jahren hätte das sicher noch ganz anders ausgesehen, denn obwohl Lucian Freud lange schon international als der herausragende englische Portraitmaler galt, sahen ihn die eigenen Mitbürger eher als hemmungslosen Darsteller menschlicher Fleischmassen, als einen, der Tiere und Aktmodelle in schamloser Nachbarschaft abbildet und in jedem Fall niemals geeignet wäre, der Königin auf diese Weise zu nahe zu treten.
Freud, der das Portrait von Her Majesty The Queen nicht als Auftragswerk anfertigte, betont in typischer Manier die Fleischlichkeit ihres Gesichts, das aus mehreren übereinandergelagerten Fettschichten einschließlich eines angedeuteten Doppelkinns zu bestehen scheint. Doch die in breiten Pinselspuren schlicht aufgetragenen Gesichtszüge treffen überaus genau den stets leicht reservierten wie von würdevollem Humor umspielten Charakter dieses berühmten Gesichts, die Queen wirkt darauf überaus menschlich. Trotz oder vielleicht eben wegen seines offiziösen Charakters ein Bild, das auch viel über seinen Maler aussagt. William Feaver, der die Ausstellung im Museo Correr gehängt hat:
"Freud ist in der National Gallery in London groß geworden, und der Einfluss dort ging für ihn von Memling, van Eyck und der Niederländischen Malerei aus, zumindest für sein Frühwerk. Sein späteres Werk dagegen zeugt von einer echten Begeisterung für Tizian, Courbet und Corot, Cezanne, Picasso und so fort, all die großen Meister, daher ist es so gut, Freuds Bilder hier in Venedig zu sehen. (...) Es gibt einen gewissen Zug in Freuds Werk, in dem er erscheinen könnte wie ein Maler von Heiligen und Madonnen – nur ohne Heilige und Madonnen zu zeigen, nein, absolut ohne Heilige und Madonnen. Aber in diesem Sinn ist es traditionelle Malerei: Menschen in verschiedenen Posen."
Feaver zeigt sich dankbar darüber, dass wir nicht schon wieder über diesen Namen Freud orakeln und über das Verhältnis zu seinem berühmten Großvater Sigmund, den er nur für etwa ein Jahr, am Ende von dessen Leben, in London gesehen hat. Oft wird Lucian Freud von Kritikern gerade demonstrativ für die "feine Psychologie" in seinen Portraits gelobt, womit dann die Malerei wunderbar aus den familiären Banden erklärt wäre. Viele halten Freud auch immer noch für einen eigentlichen österreichischen Maler, oder sogar für einen deutschen, weil er 1922 in Berlin als Sohn des Architekten Ernst Freud geborgen wurde. Alles das ist für die Bewertung seiner Malerei aber ziemlich unerheblich.
William Feaver: "So um das Alter von 15 Jahren dürfte ihm der Gedanke gekommen sein, Maler werden zu wollen, und wahrscheinlich zunächst in einem eher romantischen Sinn: ein Maler sein und nicht allzuviel zu arbeiten. Allerdings wurde daraus dann eine Leidenschaft, die ihn mit der Zeit ganz und gar für sich einnahm, so wie es sich dann auch durch sein ganzes Leben zieht. Man kann sagen, dass er ab den späten vierziger Jahren ein eigenständiger Maler war, vom ersten Bild in dieser Ausstellung an, dem ersten Bild, bei dem er versucht hat, wirklich ein Gemälde zu produzieren, das sich gegenüber anderen Bildern größerer Künstler behaupten können sollte."
Feaver verzichtet in den begrenzten ehemaligen Büroräumen der venezianischen Stadtverwaltung - dem heutigen Museo Correr - gegenüber dem Markusdom komplett auf das Frühwerk Freuds, das viel von romantischem Drang verströmt und setzt ein mit dem Jahr 1948, einem geheimnisvollen Mädchenportrait mit Rosen, das in der Tat manches vom Geist der niederländischen Stifterbilder der Renaissance zitiert. Hier ist der Farbauftrag noch dünn, die Oberflächen glatt, die Farbigkeit eher blaß, die Linien fein gezeichnet. Ende der fünfziger Jahre entwickelt sich mit einem Sprung erst jener stark expressive Stil Freuds, den man heute mit ihm verbindet, und viele machen dafür die Bekanntschaft mit Francis Bacon verantwortlich. Aber auch das weist William Feaver vorsichtig zurück:
"Es war eine enge Freundschaft über 25 oder 30 Jahre. Allerdings: Es war vor allem die Persönlichkeit Francis Bacons, die ihn beeinflußt und angezogen hat, seine Art, geistreich und mutig zu sein, vor allem, wenn Bacon sich als Schwuler öffentlich machte und sogar dafür ins Gefängnis ging. Er war beeindruckt von Bacons Verhalten als Spieler, von seiner rücksichtslosen Art zu leben. Aber im Stil seiner Malerei war Freud nie wirklich beeinflußt von Bacon – außer vielleicht, daß er natürlich jedes neue Gemälde von Bacon zu Gesicht bekam und daraufhin versuchte, selber noch ausdrucksstärker, noch mehr dramatisch zu malen als er, und so verändert sich sein Umgang mit Malerei."
Der 13 Jahre ältere Bacon hatte mehr Erfahrung, aber Freud wollte nie so weit gehen, wie Bacon die Körper zu verzerren, zu verletzen, Zerstörung drastisch darzustellen. Freud balanciert auf einem schmalen Grat zwischen Extremen der radikalen Expression wie bei Bacon und der Manieriertheit traditioneller Portraitkunst. Doch in seinen größten Gemälden, seinen in den zahlreichen Männer- und Frauenakten, die er in vollkommen ungeschützten Haltungen darstellt, mit offen dargebotenem Geschlecht, oft schlafend oder wie erschöpft zusammengekrümmt, reicht Freud mit seiner spontanen Malweise durchaus an die Unmittelbarkeit und Eindringlichkeit eines Vincent van Gogh heran.
Freud, der das Portrait von Her Majesty The Queen nicht als Auftragswerk anfertigte, betont in typischer Manier die Fleischlichkeit ihres Gesichts, das aus mehreren übereinandergelagerten Fettschichten einschließlich eines angedeuteten Doppelkinns zu bestehen scheint. Doch die in breiten Pinselspuren schlicht aufgetragenen Gesichtszüge treffen überaus genau den stets leicht reservierten wie von würdevollem Humor umspielten Charakter dieses berühmten Gesichts, die Queen wirkt darauf überaus menschlich. Trotz oder vielleicht eben wegen seines offiziösen Charakters ein Bild, das auch viel über seinen Maler aussagt. William Feaver, der die Ausstellung im Museo Correr gehängt hat:
"Freud ist in der National Gallery in London groß geworden, und der Einfluss dort ging für ihn von Memling, van Eyck und der Niederländischen Malerei aus, zumindest für sein Frühwerk. Sein späteres Werk dagegen zeugt von einer echten Begeisterung für Tizian, Courbet und Corot, Cezanne, Picasso und so fort, all die großen Meister, daher ist es so gut, Freuds Bilder hier in Venedig zu sehen. (...) Es gibt einen gewissen Zug in Freuds Werk, in dem er erscheinen könnte wie ein Maler von Heiligen und Madonnen – nur ohne Heilige und Madonnen zu zeigen, nein, absolut ohne Heilige und Madonnen. Aber in diesem Sinn ist es traditionelle Malerei: Menschen in verschiedenen Posen."
Feaver zeigt sich dankbar darüber, dass wir nicht schon wieder über diesen Namen Freud orakeln und über das Verhältnis zu seinem berühmten Großvater Sigmund, den er nur für etwa ein Jahr, am Ende von dessen Leben, in London gesehen hat. Oft wird Lucian Freud von Kritikern gerade demonstrativ für die "feine Psychologie" in seinen Portraits gelobt, womit dann die Malerei wunderbar aus den familiären Banden erklärt wäre. Viele halten Freud auch immer noch für einen eigentlichen österreichischen Maler, oder sogar für einen deutschen, weil er 1922 in Berlin als Sohn des Architekten Ernst Freud geborgen wurde. Alles das ist für die Bewertung seiner Malerei aber ziemlich unerheblich.
William Feaver: "So um das Alter von 15 Jahren dürfte ihm der Gedanke gekommen sein, Maler werden zu wollen, und wahrscheinlich zunächst in einem eher romantischen Sinn: ein Maler sein und nicht allzuviel zu arbeiten. Allerdings wurde daraus dann eine Leidenschaft, die ihn mit der Zeit ganz und gar für sich einnahm, so wie es sich dann auch durch sein ganzes Leben zieht. Man kann sagen, dass er ab den späten vierziger Jahren ein eigenständiger Maler war, vom ersten Bild in dieser Ausstellung an, dem ersten Bild, bei dem er versucht hat, wirklich ein Gemälde zu produzieren, das sich gegenüber anderen Bildern größerer Künstler behaupten können sollte."
Feaver verzichtet in den begrenzten ehemaligen Büroräumen der venezianischen Stadtverwaltung - dem heutigen Museo Correr - gegenüber dem Markusdom komplett auf das Frühwerk Freuds, das viel von romantischem Drang verströmt und setzt ein mit dem Jahr 1948, einem geheimnisvollen Mädchenportrait mit Rosen, das in der Tat manches vom Geist der niederländischen Stifterbilder der Renaissance zitiert. Hier ist der Farbauftrag noch dünn, die Oberflächen glatt, die Farbigkeit eher blaß, die Linien fein gezeichnet. Ende der fünfziger Jahre entwickelt sich mit einem Sprung erst jener stark expressive Stil Freuds, den man heute mit ihm verbindet, und viele machen dafür die Bekanntschaft mit Francis Bacon verantwortlich. Aber auch das weist William Feaver vorsichtig zurück:
"Es war eine enge Freundschaft über 25 oder 30 Jahre. Allerdings: Es war vor allem die Persönlichkeit Francis Bacons, die ihn beeinflußt und angezogen hat, seine Art, geistreich und mutig zu sein, vor allem, wenn Bacon sich als Schwuler öffentlich machte und sogar dafür ins Gefängnis ging. Er war beeindruckt von Bacons Verhalten als Spieler, von seiner rücksichtslosen Art zu leben. Aber im Stil seiner Malerei war Freud nie wirklich beeinflußt von Bacon – außer vielleicht, daß er natürlich jedes neue Gemälde von Bacon zu Gesicht bekam und daraufhin versuchte, selber noch ausdrucksstärker, noch mehr dramatisch zu malen als er, und so verändert sich sein Umgang mit Malerei."
Der 13 Jahre ältere Bacon hatte mehr Erfahrung, aber Freud wollte nie so weit gehen, wie Bacon die Körper zu verzerren, zu verletzen, Zerstörung drastisch darzustellen. Freud balanciert auf einem schmalen Grat zwischen Extremen der radikalen Expression wie bei Bacon und der Manieriertheit traditioneller Portraitkunst. Doch in seinen größten Gemälden, seinen in den zahlreichen Männer- und Frauenakten, die er in vollkommen ungeschützten Haltungen darstellt, mit offen dargebotenem Geschlecht, oft schlafend oder wie erschöpft zusammengekrümmt, reicht Freud mit seiner spontanen Malweise durchaus an die Unmittelbarkeit und Eindringlichkeit eines Vincent van Gogh heran.