Auf den Spuren eines kompromisslosen Lebens

"Into the Wild" handelt von einem jungen Mann, der sich den Segnungen der Zivilisation verweigert. In "Die Band von nebenan" strandet ein ägyptisches Polizeiorchester bei der Suche nach dem Auftrittsort in einer israelischen Kleinstadt. "Asterix bei den Olympischen Spielen" ist die teuerste Produktion in der europäischen Filmgeschichte.
"Into the Wild"
USA 2007, Regie: Sean Penn, Hauptdarsteller: Emile Hirsch

"Into the Wild" von Sean Penn zählt zweifellos zu den besten Filmen der letzten Zeit und zu einem der - wenigen - überragenden der laufenden Kino-Saison. Geschrieben und inszeniert wurde er vom 47-jährigen Sean Penn. Den kennen wir vor allem natürlich als Schauspieler, aus Filmen wie "Colors - Farben der Gewalt" (1988/von Dennis Hopper), "Die Verdammten des Krieges" (1989/Brian de Palma), "Carlito´s Weg" (1993/Brian de Palma), "Dead Man Walking" ("Oscar"-Nominierung/1995/Tim Robbins), "U-Turn - Kein Weg zurück" (1997/Oliver Stone), "Sweet and Lowdown" ("Oscar"-Nominierung/1999/Woody Allen), "Ich bin Sam" ("Oscar"-Nominierung/2001/Jessie Nelson) und natürlich "Mystic River" (2004/von Clint Eastwood), wofür er endlich die längst verdiente "Oscar"-Trophäe als "Bester Hauptdarsteller" bekam.

Seit 1991 aber ist Sean Penn auch als Regisseur und Drehbuch-Autor aktiv. Nach seinem Debütfilm "Indian Runner" entstanden "Crossing Guard - Es geschah auf offener Straße" (1995), "Das Versprechen" (2001/mit Jack Nicholson/Verfilmung des gleichnamigen Dürrenmatt-Romans/siehe auch Schwarz-Weiß-Klassiker "Es geschah am hellichten Tag" von 1958 mit Heinz Rühmann) sowie eine Episode zum Episodenfilm "11´09´01 - September 11" (2002/mit Ernest Borgnine). Für seinen vierten Leinwand-Spielfilm adaptierte Penn das 1996 herausgekommene Recherche-Reportage-Buch "Into The Wild" des Bergsteigers und Schriftstellers Jon Krakauer, das ein Jahr darauf bei uns unter dem Titel "In die Wildnis - Allein nach Alaska" veröffentlicht und inzwischen weltweit zum Bestseller wurde. Darin wird von Christopher Johnson McCandless erzählt.

Der wuchs in einem reichen Vorort von Washington, D. C. auf. War an der Schule ein Überflieger und auch im Sport ein As seines Jahrgangs. Unmittelbar, nachdem er im Sommer 1990 von der "Emory University" mit Auszeichnung abgegangen war, verschwand er. Nahm einen anderen Namen an - Alexander Supertramp, in Anlehnung an die 1908 veröffentlichte Erzählung "Supertramp - Autobiografie eines Vagabunden" des walisischen Dichters und Schriftstellers William Henry Davies (1871-1940)/die Musikgruppe "Supertramp" hat sich im übrigen auch nach ihr benannt - und spendete seine gesamten Ersparnisse von 24.000 Dollar der Wohlfahrt.

Ließ seinen Wagen und den größten Teil seiner Habe zurück und verbrannte auch noch sein gesamtes Bargeld. Machte sich danach daran, sein Leben für sich neu zu erinden/zu definieren. Konsequent. Absolut konsequent. Er mischte sich unter Randexistenzen der Gesellschaft, wanderte quer durch Nordamerika, mit dem Ziel Alaska, seinen Idealen und hohen Moralvorstellungen folgend, immer auf der Suche nach ungefilterten Erfahrungen. Seine Familie hatte keine Ahnung, wo er war und wie er lebte. Zu seinen Eltern allerdings hatte er, wegen ihrer ständigen Zerstrittenheit/Reibereien, ein eher "schwieriges Verhältnis", während ihn zu seiner Schwester Carine eine innige Beziehung verband; aber auch bei ihr meldete er sich nicht. Chris McCandless starb Mitte August 1992 in der Einsamkeit der Wildnis von Alaska. Ein Elchjäger entdeckte die Leiche des 24-Jährigen. Der verhungert war. Ein Tagebuch, das man bei ihm fand, enthüllte in knappen Notizen Details seiner langen Wanderung und der letzten 113 Tage in der unbewohnten Wildnis.

Der Film folgt akribisch den Spuren dieses kompromisslosen, intensiven kurzen Lebens. Erzählt von einem jungen Mann, der - ohne "Botschaft" - die unstillbare Lust hatte, über sein Leben selbst zu befinden. Der mit der taktierenden, berechnenden "Kompromissgesellschaft" und den allgemeinen Konsumwerten, der mit sämtlichen Konsumeinrichtungen/den "Verlockungen"/"Bequemlichkeiten" der Gesellschaft nichts anfangen konnte/wollte, der sich für Besitztümer bzw. Errungenschaften der Komfort-Zivilisation nicht interessierte. Der ein völlig losgelöstes Dasein führen will/wollte, ein
nur selbstbestimmtes/eigenständiges Leben für sich akzeptierte.

Dabei aber kein "Irrer"/Phantast/Spinner war, sondern ein von der Sehnsucht nach dem Erkunden seines wahren Ichs denkender, handelnder Mensch auf der Suche nach der ultimativen Freiheit. Hört sich heutzutage bekloppt an, ich weiß, von wegen "wieder so ein blöder Aussteiger", wird aber vom Film von Anfang an absolut sensibel, verständlich, poren- wie seelentief-verständlich erklärt/erzählt/gespielt/gezeigt. Es ist ein aufregend-anregender Film. Weil er die in jedem von uns versteckten/begrabenen Gedanken/Ideale/Spuren von - wie sag ich´s - Besser- Leben / Glücklicher -Leben/Sinnvoller-Leben/"Bedeutender"-Leben..... - anspricht, ohne dass es sich dabei verklärt, dass man sich schämen müsste.

Einen solchen spannenden, aufrichtigen, wahrhaftigen, naheliegenden Spielfilm "mit Gedanken" gab es schon lange nicht mehr. Dabei, noch mal: Ohne irgendeine Botschaft, weder eine politische noch eine gesellschaftskritische noch eine religiöse. Gott sei Dank bemühen sich Buch und Film keine (schlichten/spekulativen) Antworten zu finden, sondern stellen die Reise durch Kalifornien, die Wüste Arizonas, über die Stromschnellen des Grand Canyons oder durch Mexiko einzig als die persönliche, private Reise des Chris McCandless dar. Der sie gerne wie freiwillig machte/in Angriff nahm. Und während der er zahlreichen Menschen wie einem Hippie-Paar (Catherine Keener/Brian Dierker), einem sympathischen Chaoten-Farmer (Vince Vaughn), einer jungen Sängerin, die sich in ihn verliebt (Kristen Stewart), oder einen alten Witwer (grandios: Hal Holbrook) begegnete, die seine offene, lügenfreie, aber stets konsequente Einfach-So- Art und "aktive Lebens-Philosophie" beeindruckt wie verstört. Doch eine "Verbrüderung" im Geiste wie tatsächlich ist nicht möglich ist/findet nicht statt. Weil Chris sich dadurch viel zu sehr eingeengt fühlt und dies deshalb freundlich, aber bestimmt ablehnt. Er will nur er sein.

Dass dieser Film, dieser Lebens-Abenteuerfilm, so außerordentlich rüberkommt, ohne Verklärung, Angeberei oder Banalität, ist dem Hauptakteur, dem bislang kaum bekannten 22-jährigen Schauspieler Emile Hirsch zu verdanken. Wie er in diese Außenseiter-Aussteiger-Figur schlüpft, wie er diese plausibel, unaufdringlich, wahrhaftig und charismatisch-spannend ausfüllt/präsentiert, ist absolut überzeugend/glaubwürdig und sehr berührend. Der zunächst in TV-Serien mitmischende Kalifornier ("Emergency Room - Die Notaufnahme") hatte dann "unauffällige" Auftritte in Filmen wie "Lost Heaven" (2002) und "The Girl Next Door" (2004) und betritt hier bereits den Darsteller-OLYMP. Denn seine große darstellerische Kraft und Leistung ist es, quasi im Alleingang den Zuschauer packend-anzusprechen und zu fesseln. Emile Hirsch kommt als Seelenverwandter von Chris McCandless ´rüber, eine grandiose Typen- wie Menschen-Darstellung. Dazu taucht Sean Penn seinen Film in warme Landschafts-Farben und atmosphärische Natur-Bilder. Doch sein Blick wirkt nie verklärend oder simpel-romantisch, sondern ist von großer Seelen-Sympathie geprägt: Für keinen einfältigen Rebellen, sondern für einen "normalen" Jungen, der sich den allgemeinen Normen verweigert und sich aufmacht, anders seinen inneren Frieden, sein Lebensglück zu finden. Die klugen, spannenden, hochemotionalen 148 Film-Minuten vergehen wie im Fluge, herausragend-einzigartig-wunderbar.


"Asterix bei den Olympischen Spielen"
Deutschland, Frankreich, Spanien 2008; Regie: Thomas Langmann/Frédéric Forestier; Schauspieler: Clovis Cornillac, Gérard Depardieu, Alain Delon, Frank Dubosac, Benoit Poelvorrde


"Asterix bei den Olympischen Spielen" von Frédéríc Forestier und Thomas Langmann; ist mit 78 Millionen Euro - Co-Produktion Frankreich/Deutschland/Spanien - die teuerste (französischsprachige) Produktion in der europäischen Filmgeschichte und nach "Asterix und Obelix gegen Cäsar" (1999) und "Asterix und Obelix: Mission Kleopatra" (2002) der dritte Spielfilm mit diesen legendären Comic-Figuren. Die davor bekanntlich in acht abendfüllenden Zeichentrickfilmen (von 1967 bis 2006) die Kino-Leinwände aufmischten. Zur Erinnerung: ASTERIX (im Original: "Asterix le Gaulois") ist der Titel der von Autor René Goscinny (1926-1977) und Zeichner Albert Uderzo (Jahrgang ´27) in den 70er Jahren geschaffenen französischen Erfolgs-Comic-Serie.

Die Abenteuer der heldenhaften wie unbesiegbaren Dorf-Gallier wurden in bislang 33 albenlangen Geschichten präsentiert, dazu gibt es noch eine Reihe von Kurzgeschichten. Die dritte Realfilm-Adaption um die urigen Zaubertrank-Figuren ist die schwächste. Müsste eigentlich besser heißen: Brutos gegen Papa Cäsar, denn davon handelt/erzählt der Film zuallererst: Wie der arrogante, mächtige, aber auch sichtlich debile Sohn Brutus (der grimmassierende Belgier Benoit Poelvoorde) ständig bemüht ist, seinen übermächtigen Imperator-Daddy Cäsar (mit anfangs netter Selbstironie: Alain Delon) ins Jenseits zu befördern, um endlich die Macht im Reich übernehmen zu können. Zugleich will Brutus die schöne griechische Prinzessin Irina ehelichen (Vanessa Hessler/bekannt als "Alice"-Werbe-Ikone), aber das hat auch der fesche Gallier Romantix (Stephane Rousseau) vor. Der Bessere/Stärkere soll sie bekommen, deshalb werden die Olympischen Arena-Spiele ausgerufen. Asterix & Obelix wollen mit ihrem Zaubertrank und ihren Super-Kräften ihrem verliebten Dorf-Kollegen zur Seite stehen, aber dies erweist sich schwieriger als angenommen. Liebe, Hiebe, Triebe, Intrigen und das ganze verrückte Spektakel-Zeugs werden offeriert. Leider aber wenig unterhaltsam, weil die Späße nur wenig zünden.

Statt gänzlich auf die beiden Comic-Urgesteine zu setzen (nach Christian Clavier in den ersten beiden Spielfilmen wandelt nun Clovis Cornillac in dessen für ihn aber Eine-Nummer-zu-Großen-Asterix-Spuren/während einmal mehr, aber leider auch viel zu gebremst Gerard Depardieu den dicken Obelix mimt), wird hier viel zu viel platt herumgeblödelt (mit auch Michael "Bully" Herbig als zungenloser Chef der Leibwache von Brutus), um schließlich in einem leer-furiosen Special-Effect-Rausch die vergnügungslose Show über die Wagenrennen-Runden zu bringen. Wobei dann auch Gast-Stars wie unter anderem die französische Fußball-Legende Zinedine Zidane, Formel 1-Team-Chef Jean Todt oder Ex-Rennfahrer-As Michael Schumacher (in einem ferrari-roten Streifwagen) ihre ulkigen Kurzauftritte haben. Doch das kann dann auch nicht mehr viel "Komisches" bewegen/retten/ausrichten, denn all die vielen aufwendigen Kamerafahrten und Computertricks können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Adaption des zwölften "Asterix"-Bandes hier meistens nur kalauerhaft-gequält wirkt/´rüberkommt. Und auch die zeitgenössischen Anspielungen auf Dopingskandale und einem römischen Folterknecht namens Guantanamos haben nur einen (sehr) begrenzten Haltbarkeits-Wert von Qual-Lächeln. Nö, nö, der neueste Zwei-Stunden-Asterix-Film ist ziemlich langweilig/langweilend/doof.



"Die Band von nebenan"
Frankreich/Israel 2007, Regie: Eran Kolirin, Hauptdarsteller: Sasson Gabai, Ronit Elkabetz, Khalifa Natour

"Die Band von nebenan" ist der Debütfilm des 34-jährigen israelischen Drehbuch-Autors und Regisseurs Eran Kolirin. Es ist eine Co-Produktion Israel/Frankreich von gescheitem Vergnügen, die im Vorjahr im Filmfest-Wettbewerb von Cannes lief, dort - "für seine zarten und sorgfältigen Beobachtungen" - den Debütfilmpreis, danach beim Münchner Filmfest den "Publikumspreis" und am Jahresende dann auch den Europäischen Filmpreis "als beste Neuentdeckung" erhielt. In Israel bekam er von der Filmakademie gleich achtmal den dortigen "Oscar" zugesprochen, darunter als "Bester Film" und für den "Besten Regisseur". Man stelle sich vor: Israel heute, irgendwo in der Wüste. Hier landet, besser strandet ein achtköpfiges ägyptisches Polizei-Orchester. Dieses wurde zur Eröffnung eines ägyptischen Kulturzentrums nach Petah Tikva eingeladen. Doch nun stehen sie mit riesigen Instrumentenkoffern fernab der Großstadt im Niemandsland-Nichts.

Ein Missverständnis. Weil es weder ein Voran noch ein Zurück gibt, müssen sie in dem trostlosen Nest die Nacht verbringen. Der militärisch-spröde Dirigenten-Leiter Tewfiq Zakaria (Sasson Gabai/"Denkt daran, wir repräsentieren unser Land")) ist außer sich, muss sich aber nun den "Anweisungen" der selbstbewussten wie attraktiven Restaurantbesitzerin Dina (Ronit Elkabetz) beugen. Das Klima des "Kalten Friedens" der beiden aneinander grenzenden Staaten Israel und Ägypten weicht nach und nach auf. In der wunderbaren Tragikomödie "Die Band von nebenan" ist kein Konflikt-Film angestrebt, sondern, ganz im Gegenteil, das eher melancholische Aufeinanderprallen zweier angeblich so grundverschiedener Kulturen. Wobei Eran Kolirins sensible Handschrift geprägt ist von lakonischer Körpersprachen-Slapstick à la Tati/Chaplin oder Buster Keaton.

Mit originellem, wortkargem Kaurismäki-Figuren-/Charakter-Geschmack. Und um das Thema "Warten" komponiert ist: Für die Ägypter auf den nächsten Tag, für die Israelis auf die Endlich-Befreiung von der Ewigen-Langeweile und Einsamkeit, von der Hoffnung auf den Frieden, um endlich wieder Muße für befreiende, verbindende Gefühle wie Zärtlichkeit/Liebe und die Musik zu haben. Ein ganz leiser, schöner, angenehm-unangestrengter, trocken-humoriger und hintergründig- aktueller Film um eine versöhnliche wie utopische Irrfahrt ins Zwischenmenschliche von Eigentlich-Nachbarn.