Auf den Straßen der alten Römer

Schnurgerade durch die Landschaft: Als die Römer ihr Imperium schufen, demonstrierten sie ihre Macht auch durch den Bau von Straßen. Der Historiker Arnold Esch hat ihre Überreste erkundet - und kommt Rom dabei auf Wegen näher, die einen immer wieder staunen lassen.
Nach dem Ende des Römischen Reiches verfielen die einst vom Weltimperium gebauten Straßen. Diese untergegangenen Straßen hat der namhafte Historiker Arnold Esch nun zum Gegenstand seines Buches gemacht. Das scheint ein etwas verstiegener Ansatz zu sein. Es klingt danach, als würden wir auf diese Weise erfahren, was in einer Wissenschaftsnische zu Papier gebracht worden ist. Doch das Gegenteil ist der Fall. Um dieses Buch schreiben zu können, hat der 1936 geborene Arnold Esch über Jahre hinweg nach Spuren antiker Straßen in der römischen Landschaft gesucht. Im wahrsten Sinne des Wortes ist er der Geschichte der Straßen "nachgegangen". Mit dem nun in Buchform vorliegenden Ergebnis kommt er Rom auf Wegen näher, die einen immer wieder staunen lassen.

Es sind die scheinbar gänzlich belanglosen Dinge, die Esch herausstellt, wenn er den Unterschied zwischen einer mittelalterlichen und einer im alten Rom erbauten Straße an der "römischen Fuge" festmacht. Die Römer waren Meister im Straßenbau. Sie wussten die verwendeten Steine passgenau aneinander zu fügen. Die im Römischen Reich angelegten Straßen unterscheiden sich von mittelalterlichen auch dadurch, dass sie schnurgerade verlaufen. Nicht zuletzt im Straßenbau zeigte Rom, wozu es in der Lage und wie mächtig es war. In der Landschaft gaben die wie mit dem Lineal gezogenen Straßen den Ton an. Die Gerade eroberte den Raum, sie strukturierte ihn und ihr Verlauf war ein Hinweis darauf, wer sie gebaut hatte.

Als Rom mächtig war, konnte es beim Straßenbau landschaftliche Besonderheiten ignorieren. Eine römische Straße kümmerte sich nicht um Flüsse oder Hügel, sondern folgte allein dem in der Ferne anvisierten Ziel. Jede Kurve hätte Zeitverlust bedeutet und wäre eine Rücksichtnahme auf das Gelände gewesen. Also baute man kostspielige Brücken und meterhohe Rampen, um von der Geraden nicht abweichen zu müssen. Als es mit der Macht vorbei war, verfielen auch die Straßen, was Esch daran abliest, dass die Straßen nur notdürftig ausgebessert wurden.

Dass Historiker den Spuren der Vergangenheit folgen und sie rekonstruieren, ist ihre Profession. Esch aber ist ein besonderer Historiker, denn er versteht es darüber hinaus, Spuren wie ein Indianer zu lesen. Er weiß sie zu deuten und entlockt ihnen ihre Geschichte, indem er Zwiesprache mit den Spuren der Vergangenheit hält. Für Esch sind die antiken Straßen Fundstücke, die er fotografiert, kartografiert und interpretiert hat. Ausgestattet mit diesem Buch kann man sich auf eine Entdeckungsreise begeben.

Der 2011 mit dem Sigmund-Freud-Preis für wissenschaftliche Prosa Ausgezeichnete versteht es, seinen Lesern Geschichte nahe zu bringen. Dass die Straßen des Römischen Reiches sprechen können, verdanken sie Arnold Esch, dem es gelungen ist, sie zum Sprechen zu bringen.

Besprochen von Michael Opitz

Arnold Esch: Zwischen Antike und Mittelalter. Der Verfall des römischen Straßensystems in Mittelitalien und die Via Amerina
Mit Hinweisen zur Begehung im Gelände und 184 Abbildungen sowie 7 Kartenausschnitten
C.H. Beck Verlag, München 2011
208 Seiten, 38 Euro
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