Auf der Flucht
Dieser Roman rüttelt an den Grundfesten der Selbstwahrnehmung. Die zentrale Figur ist psychisch krank, nimmt ständig neue Identitäten an, taucht mal an Banken, mal Universitäten auf und hat dabei womöglich reichlich Spuren des Bösen hinterlassen.
Oft sind es heftige "emotionale Rippenstöße", die einen dazu bringen, Geschichten zu schreiben, hat Patricia Highsmith in ihrem Buch "Suspense oder Wie man einen Thriller schreibt" notiert.
Keine Ahnung, welcher Art die emotionalen Rippenstöße waren, die der bisher hierzulande unbekannte amerikanische Autor Dan Chaon einstecken musste. Fest steht aber, dass sein gerade auf Deutsch erschienener Thriller "Identität" uns Lesern nicht nur von Stromstößen aus Elektroschockpistolen erzählt, nein, dieser Roman rüttelt an den Grundfesten unserer Selbstwahrnehmung.
"Ich bin schon eine Menge verschiedener Personen gewesen. Dutzende", sagt die zentrale Figur in Dan Chaons Thriller "Identität" - ein ebenso psychisch kranker wie genialer Verwandlungskünstler, Maskenspieler und Identitätsdieb, der in die Rollen anderer Menschen schlüpfen kann und ein ums andere Mal sein altes Ich hinter sich lässt.
Unklar ist, wie berechnend er dabei vorgeht, denn er leidet an Fugue, einer schweren dissoziativen Störung. Er ist unfähig, sich an die eigene Vergangenheit zu erinnern, verwirrt, was die eigene Identität betrifft und beängstigend gewandt darin, andere Identitäten anzunehmen.
Ein neuer Name, ein neues Leben: War Hayden Cheshire vor kurzem noch Miles Spady, so ist er jetzt George Orson. Gern beruft er sich auf einen Satz des Mathematikers Jakob Bernoulli: "Idem mutatus resurgo." Verändert erstehe ich als derselbe wieder auf.
Seit zehn Jahren schon ist der 32-jährige Hayden Cheshire auf der Flucht, nimmt immer neue Namen an, lehrt an Universitäten und Colleges, arbeitet bei Großbanken wie Goldman Sachs und macht mit Internetbetrug das große Geld.
Aber Fugue-Patienten haben einen fatalen Hang - den, nach Hause zurückkehren zu wollen. Sie verspüren Heimweh. Also meldet sich Hayden Cheshire, der seit langem wie vom Erdboden verschluckt ist, eines Tages telefonisch bei seinem Zwillingsbruder Miles, der ihn verzweifelt sucht und fürchtet, er könnte ein Verbrechen begangen haben. Auch taucht eine Zeugin auf, die Cheshire gesehen haben will.
So beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit, an dessen Ende Thomas Carlyle zitiert wird mit dem Satz: "Könnte es etwas Wundersameres geben als ein wirkliches wahrhaftiges Gespenst?" Es ist jenes hier einmal erwähnte "nadelfeine Unbehagen", das die Atmosphäre von diesem rasanten Thriller prägt. Dan Chaon führt uns in Geisterstädte in Nebraska und quer durch die USA.
Bei diesen "Informationsfunken", um ein weiteres Wort aus "Identität" zu wählen, muss es belassen, wer nicht zuviel über diesen gelungenen Thriller verraten will. Man sollte sich nicht davon abschrecken lassen, dass darin gleich am Anfang eine Hand garottiert wird - die wahren Grausamkeiten sind seelischer, nicht körperlicher Natur.
Besprochen von Knut Cordsen
Dan Chaon: Identität
Thriller. Deutsch von Giovanni und Ditte Bandini.
Rowohlt Polaris, Reinbek 2010
396 Seiten, 14,95 Euro
Keine Ahnung, welcher Art die emotionalen Rippenstöße waren, die der bisher hierzulande unbekannte amerikanische Autor Dan Chaon einstecken musste. Fest steht aber, dass sein gerade auf Deutsch erschienener Thriller "Identität" uns Lesern nicht nur von Stromstößen aus Elektroschockpistolen erzählt, nein, dieser Roman rüttelt an den Grundfesten unserer Selbstwahrnehmung.
"Ich bin schon eine Menge verschiedener Personen gewesen. Dutzende", sagt die zentrale Figur in Dan Chaons Thriller "Identität" - ein ebenso psychisch kranker wie genialer Verwandlungskünstler, Maskenspieler und Identitätsdieb, der in die Rollen anderer Menschen schlüpfen kann und ein ums andere Mal sein altes Ich hinter sich lässt.
Unklar ist, wie berechnend er dabei vorgeht, denn er leidet an Fugue, einer schweren dissoziativen Störung. Er ist unfähig, sich an die eigene Vergangenheit zu erinnern, verwirrt, was die eigene Identität betrifft und beängstigend gewandt darin, andere Identitäten anzunehmen.
Ein neuer Name, ein neues Leben: War Hayden Cheshire vor kurzem noch Miles Spady, so ist er jetzt George Orson. Gern beruft er sich auf einen Satz des Mathematikers Jakob Bernoulli: "Idem mutatus resurgo." Verändert erstehe ich als derselbe wieder auf.
Seit zehn Jahren schon ist der 32-jährige Hayden Cheshire auf der Flucht, nimmt immer neue Namen an, lehrt an Universitäten und Colleges, arbeitet bei Großbanken wie Goldman Sachs und macht mit Internetbetrug das große Geld.
Aber Fugue-Patienten haben einen fatalen Hang - den, nach Hause zurückkehren zu wollen. Sie verspüren Heimweh. Also meldet sich Hayden Cheshire, der seit langem wie vom Erdboden verschluckt ist, eines Tages telefonisch bei seinem Zwillingsbruder Miles, der ihn verzweifelt sucht und fürchtet, er könnte ein Verbrechen begangen haben. Auch taucht eine Zeugin auf, die Cheshire gesehen haben will.
So beginnt ein Wettlauf gegen die Zeit, an dessen Ende Thomas Carlyle zitiert wird mit dem Satz: "Könnte es etwas Wundersameres geben als ein wirkliches wahrhaftiges Gespenst?" Es ist jenes hier einmal erwähnte "nadelfeine Unbehagen", das die Atmosphäre von diesem rasanten Thriller prägt. Dan Chaon führt uns in Geisterstädte in Nebraska und quer durch die USA.
Bei diesen "Informationsfunken", um ein weiteres Wort aus "Identität" zu wählen, muss es belassen, wer nicht zuviel über diesen gelungenen Thriller verraten will. Man sollte sich nicht davon abschrecken lassen, dass darin gleich am Anfang eine Hand garottiert wird - die wahren Grausamkeiten sind seelischer, nicht körperlicher Natur.
Besprochen von Knut Cordsen
Dan Chaon: Identität
Thriller. Deutsch von Giovanni und Ditte Bandini.
Rowohlt Polaris, Reinbek 2010
396 Seiten, 14,95 Euro