Auf der Flucht vor der Gegenwart
Um Hunger und Gewalt zu entkommen, verlässt der 15-jährige Fergus Mitte des 19. Jahrhunderts Irland. Seine Flucht führt ihn durch irische Docks und englische Bordelle bis in die USA. Doch seine Probleme verfolgen ihn bis in die Neue Welt.
Irland im Jahr 1846. Die Kartoffelernte fällt aus, weil sämtliche Pflanzen der Fäulnis zum Opfer gefallen sind. Für den 15-jährigen Fergus bedeutet diese Notlage das Ende einer armen, aber doch behüteten Kindheit. Sein Vater widersetzt sich dem Befehl des Großbauern, vor der Hungersnot in die Stadt zu flüchten. Als Fergus' Geschwister sterben und seine halbverhungerten Eltern von Soldaten getötet werden, beginnt für ihn als einzigen Überlebenden eine abenteuerliche Flucht, die ihn von der irischen Küste zu den Docks und Bordellen von Liverpool, zum Eisenbahnbau nach Wales und schließlich über den Atlantik bis nach Nordamerika führt.
Peter Behrens beschreibt in seinem packend erzählten Roman die Geschehnisse eines Jahres. Der 16-jährige Fergus wird innerhalb dieser Zeit mit so vielen Widrigkeiten konfrontiert, dass er wohl ein ganzes Leben darunter leiden wird.
So gerät er zunächst an eine jugendliche Bande, die, von einem Mädchen angeführt, brandschatzend durch Irland zieht. Dabei gelangt er wieder auf die Farm des Großbauern, der einige Monate zuvor seine Familie vertreiben wollte. Nun ist es Fergus, der töten muss, um selbst am Leben zu bleiben.
Kaum dem Hunger Irlands entronnen, soll Fergus in einem Liverpooler Bordell als Strichjunge arbeiten, aber gerade noch rechtzeitig kann er einen anderen Weg einschlagen – als Arbeiter an einer Eisenbahnstrecke in Wales. Hier lernt er Molly kennen und lieben, mit der er vor deren gewalttätigem Mann flüchtet.
Mit seinen letzten Ersparnissen schifft sich das junge Paar nach Amerika ein und erreicht dessen Küste nach 41-tägiger, strapaziöser Überfahrt. Ihre Probleme aber verfolgen die beiden bis nach Amerika.
"Das Gesetz der Träume" ist kein typischer Auswanderer-Roman. Der jugendliche Held ist nicht in erster Linie auf dem Weg in eine bessere, verheißungsvolle Welt, sondern ständig auf der Flucht vor einer schrecklichen Gegenwart. Ständig hat Fergus Bilder vor Augen, hartnäckige Versatzstücke seines Daseins, die sich nicht mehr abschütteln lassen. Hilfe erfährt er nur ganz selten. Sein einziger Vorteil liegt in seiner jugendlichen Kraft und seiner starken Gesundheit. Am Ende ist Fergus zu einem 16-jährigen "Erwachsenen" gereift, mit unzähligen Narben auf der Seele. Er hat immerhin die Chance auf einen Neuanfang. Ob er sie nutzen kann, bleibt allerdings offen.
In dem Roman gelingt es dem Autor, auf eine beispielhaft tiefgründige Weise die immerwährende Problematik von Armut, Unterdrückung und schließlich Vertreibung zu thematisieren. Dass er ausgerechnet einen irischen Helden leiden lässt, hat einen wichtigen Grund: Iren waren die ersten Menschen, die in Amerika nicht mehr als Siedler, sondern – sehr abwertend – als Immigranten angesehen wurden. Immigration war für viele von ihnen eine schlimme Erfahrung: Von Hunger und Krankheit gezeichnet kamen sie in Amerika an, und ihre Heimat hatten sie für immer aufgegeben. Einen Vorteil aus ihrer Flucht spürten erst ihre Kinder oder Enkel.
Träume haben in dieser Misere einen besonders hohen Wert. Durch Träume kommen auch verzweifelte Seelen, die sich schon beinahe aufgegeben hatten, an ein Ziel. Der Titel des Romans ist somit auch sein Credo: Wer das Träumen aufgibt, hat schon verloren. Der jugendliche Held fragt sich mehrmals, ob er überhaupt noch am Leben ist. Was ihm widerfährt, könnte auch ein Albtraum sein. Und so wie man sich manchmal kneift, um festzustellen, ob man wach ist oder träumt, stürzt Fergus sich derartig intensiv ins reale Leben, dass kein Zweifel mehr besteht – er lebt, denn seine Gefühle existieren. Aber beweisen muss er sich das jeden Tag wieder neu.
Rezensiert von Roland Krüger
Peter Behrens: Das Gesetz der Träume
Roman
Aus dem Englischen von Brigitte Walitzek
Schöffling Verlag, Frankfurt am Main, 2008
556 Seiten, 19,90 Euro
Peter Behrens beschreibt in seinem packend erzählten Roman die Geschehnisse eines Jahres. Der 16-jährige Fergus wird innerhalb dieser Zeit mit so vielen Widrigkeiten konfrontiert, dass er wohl ein ganzes Leben darunter leiden wird.
So gerät er zunächst an eine jugendliche Bande, die, von einem Mädchen angeführt, brandschatzend durch Irland zieht. Dabei gelangt er wieder auf die Farm des Großbauern, der einige Monate zuvor seine Familie vertreiben wollte. Nun ist es Fergus, der töten muss, um selbst am Leben zu bleiben.
Kaum dem Hunger Irlands entronnen, soll Fergus in einem Liverpooler Bordell als Strichjunge arbeiten, aber gerade noch rechtzeitig kann er einen anderen Weg einschlagen – als Arbeiter an einer Eisenbahnstrecke in Wales. Hier lernt er Molly kennen und lieben, mit der er vor deren gewalttätigem Mann flüchtet.
Mit seinen letzten Ersparnissen schifft sich das junge Paar nach Amerika ein und erreicht dessen Küste nach 41-tägiger, strapaziöser Überfahrt. Ihre Probleme aber verfolgen die beiden bis nach Amerika.
"Das Gesetz der Träume" ist kein typischer Auswanderer-Roman. Der jugendliche Held ist nicht in erster Linie auf dem Weg in eine bessere, verheißungsvolle Welt, sondern ständig auf der Flucht vor einer schrecklichen Gegenwart. Ständig hat Fergus Bilder vor Augen, hartnäckige Versatzstücke seines Daseins, die sich nicht mehr abschütteln lassen. Hilfe erfährt er nur ganz selten. Sein einziger Vorteil liegt in seiner jugendlichen Kraft und seiner starken Gesundheit. Am Ende ist Fergus zu einem 16-jährigen "Erwachsenen" gereift, mit unzähligen Narben auf der Seele. Er hat immerhin die Chance auf einen Neuanfang. Ob er sie nutzen kann, bleibt allerdings offen.
In dem Roman gelingt es dem Autor, auf eine beispielhaft tiefgründige Weise die immerwährende Problematik von Armut, Unterdrückung und schließlich Vertreibung zu thematisieren. Dass er ausgerechnet einen irischen Helden leiden lässt, hat einen wichtigen Grund: Iren waren die ersten Menschen, die in Amerika nicht mehr als Siedler, sondern – sehr abwertend – als Immigranten angesehen wurden. Immigration war für viele von ihnen eine schlimme Erfahrung: Von Hunger und Krankheit gezeichnet kamen sie in Amerika an, und ihre Heimat hatten sie für immer aufgegeben. Einen Vorteil aus ihrer Flucht spürten erst ihre Kinder oder Enkel.
Träume haben in dieser Misere einen besonders hohen Wert. Durch Träume kommen auch verzweifelte Seelen, die sich schon beinahe aufgegeben hatten, an ein Ziel. Der Titel des Romans ist somit auch sein Credo: Wer das Träumen aufgibt, hat schon verloren. Der jugendliche Held fragt sich mehrmals, ob er überhaupt noch am Leben ist. Was ihm widerfährt, könnte auch ein Albtraum sein. Und so wie man sich manchmal kneift, um festzustellen, ob man wach ist oder träumt, stürzt Fergus sich derartig intensiv ins reale Leben, dass kein Zweifel mehr besteht – er lebt, denn seine Gefühle existieren. Aber beweisen muss er sich das jeden Tag wieder neu.
Rezensiert von Roland Krüger
Peter Behrens: Das Gesetz der Träume
Roman
Aus dem Englischen von Brigitte Walitzek
Schöffling Verlag, Frankfurt am Main, 2008
556 Seiten, 19,90 Euro