Auf der Flucht
Statt die schmerzhafte Auseinandersetzung zwischen dem Axel-Springer-Verlag und den 68ern zu thematisieren, flüchten sich die Autoren des Buchs "Feindbild Springer" auf jenes Terrain, das politisch und moralisch eindeutig ist: Die unbestritten widerwärtigen Machenschaften der Stasi.
Axel Springer ist längst tot, die Mauer ist vor 20 Jahren gefallen und die 68er gehen in Rente - aber immer noch schwärt die Wunde, jedenfalls im Springer-Verlag. Das anhaltend schlechte Image des Verlages wird als historische Ungerechtigkeit empfunden, die endlich bereinigt werden muss.
So beschloss der Vorstandsvorsitzende Mathias Döpfner, das Anfang 1968 von linken Kritikern veranstaltete und vorzeitig abgebrochene "Springer-Tribunal" im Herbst 2009, mehr als 40 Jahre später, fortzusetzen. Ironie der Geschichte oder: The Empire strikes back. Das Problem: Die alten 68er wollten bei der Sache einfach nicht mitmachen. So musste das "Tribunal" abgesagt werden.
Jetzt gibt es einen kleinen Ersatz für das "Springer-Tribunal", eine Art Musil’scher Parallelaktion, die schon im Mai 2007 begonnen hat. In zweijähriger Arbeit haben die Historiker Jochen Staadt, Tobias Voigt und Stefan Wolle, unterstützt vom "Forschungsverbund SED-Staat" der Berliner Freien Universität, die Geschichte des Springer-Verlags unter besonderer Berücksichtigung seiner Kritiker recherchiert.
Herausgekommen ist ein 300-seitiges Buch, das sich vor allem stützt auf das Quellenstudium in der Stasi-Unterlagenbehörde, im Bundesarchiv und im Unternehmensarchiv des Springer-Verlages selbst. Gern will man den Autoren glauben, dass dies "in völliger Unabhängigkeit" geschah und die Axel Springer AG "keinerlei Einfluss" auf das Ergebnis genommen habe. Von der Finanzierung des Projekts ist freilich nicht die Rede. Die aber stammt vom Springer-Verlag. Auch das müsste noch kein Präjudiz sein, es gibt vergleichbare Fälle.
Doch nach der Lektüre stellt sich heraus: Es geht hier nicht um eine selbstkritische Reflexion der Geschichte des umstrittenen Verlags, sondern um seine zuweilen larmoyante Selbstdarstellung als Opfer von SED, Stasi und 68ern samt sonstigen Verdächtigen aus dem eher linken Spektrum der Republik. Kritische Befunde über etwaiges Fehlverhalten von Springer-Zeitungen zu Zeiten der Studentenrevolte muss man mit der Lupe suchen, während die Anti-Springer-Aktivitäten von SDS und Protestbewegung, aber auch von bürgerlichen Verlegern wie SPIEGEL-Gründer Rudolf Augstein und ZEIT-Herausgeber Gerd Bucerius auf vielen Seiten ausgebreitet werden.
Die Klammer des Ganzen, gleichsam der große, alles vereinnahmende Krake der gesamtideellen Anti-Springer-Kampagne, bilden SED und Stasi, Walter Ulbricht, Erich Mielke und seine Agentenscharen. Die vom Machtapparat der DDR seit 1957/58 initiierten Anti-Springer-Aktionen verkörpern die Zentralperspektive dieser Studie; andere Aspekte, Motive und Sichtweisen werden ignoriert oder marginalisiert. Dass am Ende Axel Springer als weitsichtiger Prophet der Wiedervereinigung triumphiert, dem alle Feindseligkeiten letztlich nichts anhaben konnten, versteht sich von selbst.
Der glückliche Ausgang der Geschichte provoziert allerdings auch eine Frage: Wozu dann der ganze Aufwand? Wozu die minutiöse Nacherzählung von SED-Propagandakrieg und Stasi-Attacken, wenn auf der vorletzten Seite zufrieden und völlig zu Recht ein "Pyrrhussieg über Springer" notiert wird: Klappe zu, Affe tot, DDR kaputt. Apercu am Rande: Erich Honecker war leidenschaftlicher BILD-Leser.
Trotz Dutzender Stasi-Spitzel, darunter jene Chefsekretärin "Marie R." alias "Quelle Grunewald", die zehn Jahre lang wichtige Unterlagen aus dem Springer-Vorstand dem Stasi-IM "Gerd" überbrachte, trotz gefälschter Nazi-Anschwärzungen Axel Springers, trotz eines grotesken fünfteiligen DDR-Fernsehfilms namens "Ich, Axel Cäsar Springer" und einer jämmerlich gefloppten "DDR-BILD", trotz aller Versuche, Teile der Westberliner Protestbewegung in eine Art "Volksfront" gegen den kapitalistischen Großmogul ("Hetzer, Fälscher, Meinungsmacher") zu ziehen, misslang die jahrzehntelange Großaktion gegen den Klassenfeind mit Pauken und Trompeten. Besser: Sie verdampfte mit einem kaum hörbaren pffft.
So ist die wahre Lektion der Studie, die in ihrer Detailversessenheit regelrecht versinkt: Gegen Freiheit und Demokratie, so lange sie von einer Mehrheit getragen und verteidigt werden, ist Propaganda ebenso wirkungslos wie Verschwörungstheorien, die gesellschaftliche Protestbewegungen als Komplott erklären wollen. Schon einige wenige Sätze aus der SED-Giftküche von 1961 wirken unfreiwillig komisch:
"An dem Ausbau Westberlins zum vorgeschobenen Provokationsherd gegen das sozialistische Lager haben neben den dort stationierten Hetzsendern die Frontstadtzeitungen besonderen Anteil. Mit einer ungeheuren Lügenflut und infamen Verleumdungen vergiften sie die Atmosphäre, um damit die Westberliner Bevölkerung auf den Tag X vorzubereiten, an dem nach den Plänen der deutschen Imperialisten und Militaristen die DDR ‚aufgerollt’ werden soll. Einer der exponiertesten Vertreter, die systematisch diesen Tag X propagandistisch vorbereiten, ist der Hamburger Verleger Axel Cäsar Springer, der seine in knapp einem Jahrzehnt zusammengeraffte Pressemacht in den Dienst der Bonner Atomkriegsvorbereitung stellt."
Und noch etwas lernen wir aus der Studie, jedenfalls die, die es noch nicht wussten: Die 68er waren doch nicht "von drüben" gelenkt.
"Wer sich, wie etwa der Redaktionelle Beirat des Axel Springer Verlags, das Phänomen der eifernden jungen Linken immer als vom Osten 'gesteuert' erklärte, lag schief … "
… schreiben die drei Autoren.
Ein merkwürdiges Buch. Den Gründen für die immer noch tief empfundene narzisstische Kränkung des Springer-Verlags – der schmerzhaften Auseinandersetzung mit den 68ern – geht es letztlich aus dem Weg. Dafür flüchtet es auf jenes Terrain, das politisch und moralisch eindeutig ist: Die unbestritten widerwärtigen Machenschaften der Stasi. Unter allen "Gegnern" des Verlags hat man sich also jenen ausgesucht, der am leichtesten zu erlegen ist – nicht zuletzt, weil er bereits erledigt ist. Ob das reicht, die Wunde endgültig zu schließen, wird die Zukunft zeigen.
Jochen Staadt / Tobias Voigt / Stefan Wolle: Feindbild Springer. Ein Verlag und seine Gegner
Verlag Vandenhoek und Ruprecht, Göttingen
So beschloss der Vorstandsvorsitzende Mathias Döpfner, das Anfang 1968 von linken Kritikern veranstaltete und vorzeitig abgebrochene "Springer-Tribunal" im Herbst 2009, mehr als 40 Jahre später, fortzusetzen. Ironie der Geschichte oder: The Empire strikes back. Das Problem: Die alten 68er wollten bei der Sache einfach nicht mitmachen. So musste das "Tribunal" abgesagt werden.
Jetzt gibt es einen kleinen Ersatz für das "Springer-Tribunal", eine Art Musil’scher Parallelaktion, die schon im Mai 2007 begonnen hat. In zweijähriger Arbeit haben die Historiker Jochen Staadt, Tobias Voigt und Stefan Wolle, unterstützt vom "Forschungsverbund SED-Staat" der Berliner Freien Universität, die Geschichte des Springer-Verlags unter besonderer Berücksichtigung seiner Kritiker recherchiert.
Herausgekommen ist ein 300-seitiges Buch, das sich vor allem stützt auf das Quellenstudium in der Stasi-Unterlagenbehörde, im Bundesarchiv und im Unternehmensarchiv des Springer-Verlages selbst. Gern will man den Autoren glauben, dass dies "in völliger Unabhängigkeit" geschah und die Axel Springer AG "keinerlei Einfluss" auf das Ergebnis genommen habe. Von der Finanzierung des Projekts ist freilich nicht die Rede. Die aber stammt vom Springer-Verlag. Auch das müsste noch kein Präjudiz sein, es gibt vergleichbare Fälle.
Doch nach der Lektüre stellt sich heraus: Es geht hier nicht um eine selbstkritische Reflexion der Geschichte des umstrittenen Verlags, sondern um seine zuweilen larmoyante Selbstdarstellung als Opfer von SED, Stasi und 68ern samt sonstigen Verdächtigen aus dem eher linken Spektrum der Republik. Kritische Befunde über etwaiges Fehlverhalten von Springer-Zeitungen zu Zeiten der Studentenrevolte muss man mit der Lupe suchen, während die Anti-Springer-Aktivitäten von SDS und Protestbewegung, aber auch von bürgerlichen Verlegern wie SPIEGEL-Gründer Rudolf Augstein und ZEIT-Herausgeber Gerd Bucerius auf vielen Seiten ausgebreitet werden.
Die Klammer des Ganzen, gleichsam der große, alles vereinnahmende Krake der gesamtideellen Anti-Springer-Kampagne, bilden SED und Stasi, Walter Ulbricht, Erich Mielke und seine Agentenscharen. Die vom Machtapparat der DDR seit 1957/58 initiierten Anti-Springer-Aktionen verkörpern die Zentralperspektive dieser Studie; andere Aspekte, Motive und Sichtweisen werden ignoriert oder marginalisiert. Dass am Ende Axel Springer als weitsichtiger Prophet der Wiedervereinigung triumphiert, dem alle Feindseligkeiten letztlich nichts anhaben konnten, versteht sich von selbst.
Der glückliche Ausgang der Geschichte provoziert allerdings auch eine Frage: Wozu dann der ganze Aufwand? Wozu die minutiöse Nacherzählung von SED-Propagandakrieg und Stasi-Attacken, wenn auf der vorletzten Seite zufrieden und völlig zu Recht ein "Pyrrhussieg über Springer" notiert wird: Klappe zu, Affe tot, DDR kaputt. Apercu am Rande: Erich Honecker war leidenschaftlicher BILD-Leser.
Trotz Dutzender Stasi-Spitzel, darunter jene Chefsekretärin "Marie R." alias "Quelle Grunewald", die zehn Jahre lang wichtige Unterlagen aus dem Springer-Vorstand dem Stasi-IM "Gerd" überbrachte, trotz gefälschter Nazi-Anschwärzungen Axel Springers, trotz eines grotesken fünfteiligen DDR-Fernsehfilms namens "Ich, Axel Cäsar Springer" und einer jämmerlich gefloppten "DDR-BILD", trotz aller Versuche, Teile der Westberliner Protestbewegung in eine Art "Volksfront" gegen den kapitalistischen Großmogul ("Hetzer, Fälscher, Meinungsmacher") zu ziehen, misslang die jahrzehntelange Großaktion gegen den Klassenfeind mit Pauken und Trompeten. Besser: Sie verdampfte mit einem kaum hörbaren pffft.
So ist die wahre Lektion der Studie, die in ihrer Detailversessenheit regelrecht versinkt: Gegen Freiheit und Demokratie, so lange sie von einer Mehrheit getragen und verteidigt werden, ist Propaganda ebenso wirkungslos wie Verschwörungstheorien, die gesellschaftliche Protestbewegungen als Komplott erklären wollen. Schon einige wenige Sätze aus der SED-Giftküche von 1961 wirken unfreiwillig komisch:
"An dem Ausbau Westberlins zum vorgeschobenen Provokationsherd gegen das sozialistische Lager haben neben den dort stationierten Hetzsendern die Frontstadtzeitungen besonderen Anteil. Mit einer ungeheuren Lügenflut und infamen Verleumdungen vergiften sie die Atmosphäre, um damit die Westberliner Bevölkerung auf den Tag X vorzubereiten, an dem nach den Plänen der deutschen Imperialisten und Militaristen die DDR ‚aufgerollt’ werden soll. Einer der exponiertesten Vertreter, die systematisch diesen Tag X propagandistisch vorbereiten, ist der Hamburger Verleger Axel Cäsar Springer, der seine in knapp einem Jahrzehnt zusammengeraffte Pressemacht in den Dienst der Bonner Atomkriegsvorbereitung stellt."
Und noch etwas lernen wir aus der Studie, jedenfalls die, die es noch nicht wussten: Die 68er waren doch nicht "von drüben" gelenkt.
"Wer sich, wie etwa der Redaktionelle Beirat des Axel Springer Verlags, das Phänomen der eifernden jungen Linken immer als vom Osten 'gesteuert' erklärte, lag schief … "
… schreiben die drei Autoren.
Ein merkwürdiges Buch. Den Gründen für die immer noch tief empfundene narzisstische Kränkung des Springer-Verlags – der schmerzhaften Auseinandersetzung mit den 68ern – geht es letztlich aus dem Weg. Dafür flüchtet es auf jenes Terrain, das politisch und moralisch eindeutig ist: Die unbestritten widerwärtigen Machenschaften der Stasi. Unter allen "Gegnern" des Verlags hat man sich also jenen ausgesucht, der am leichtesten zu erlegen ist – nicht zuletzt, weil er bereits erledigt ist. Ob das reicht, die Wunde endgültig zu schließen, wird die Zukunft zeigen.
Jochen Staadt / Tobias Voigt / Stefan Wolle: Feindbild Springer. Ein Verlag und seine Gegner
Verlag Vandenhoek und Ruprecht, Göttingen