Auf der Spur eines lebenden Fossils

Autobiographie eines Forscherlebens und ein großes Wissenschaftsabenteuer: Hans Fricke erzählt in einem spannenden, reich bebilderten Buch, wie er und seine Tauchboot-Crew einen seltenen Urfisch aufspürten und seine Lebensweise erforschten und dokumentierten. Ein Muss für alle Fans des unbekannten Universums der Meere.
Der Mann hatte allen Grund sich krank zu ärgern. Was hatte er nicht alles unternommen, um das lebende Fossil selbst zu Gesicht zu bekommen. Er hatte eigens Geld für ein Tauchboot aufgetrieben, das Gerät bauen und an die Ostküste Afrikas bringen lassen und damit monatelang in den Tiefen des Indischen Ozeans herumgesucht. Vergeblich. Schließlich musste er zurück nach Europa. Seine Crew ließ er zurück.

Beim Zwischenlanden in Paris ruft er seine Familie an: "Ich komme." Statt eines "Au ja, Papi!" kräht ihm der Stöpsel von einem Sohn ins Telefon: ""Papi, der Olaf hat deinen Fisch gesehen."
Die entscheidende Entdeckung seines Lebens, den Höhepunkt einer abenteuerlichen und aufreibenden Suche nach einem Tier, das seit 65 Millionen Jahren als ausgestorben gegolten hatte, muss er zähneknirschend anderen überlassen. Von der schwer zu verkraftenden Enttäuschung seines persönlichen Ehrgeizes spricht Fricke in seinem Buch nicht mit einer einzigen Silbe. Vielleicht ist es mittlerweile einfach zu lange her: es war ja schon im Januar 1987, als dem Berliner Student Olaf Reinicke im Tauchboot "Geo" als erstem ein lebender Quastenflosser vor die Suchscheinwerfer geraten ist.

Inzwischen schaut Fricke in seinem locker hingeworfenen biographischen Buch zwanzig Jahre zurück und hat natürlich auch die reiche Ausbeute des ihm nur knapp entgangenen Fundes im Blick, von dem er seither freilich am meisten profitiert hat: die Filme, die Bücher, die Vorträge allüberall auf der Welt und der Ruhm, der sich ausschließlich mit Frickes Namen verbindet, der Ruhm von einem, der in den Tiefen des tropischen Meeres ein Tier lebend aufgespürt hat, das aus einer fernen, fernen erdgeschichtlichen Zeit stammt.

Das klingt ein bisschen wie Jurassic Park. Mehr noch: Dieser Fisch existierte schon 150 Millionen Jahre vor den Sauriern. Ein Fisch, dessen Geschichte bis in eine Zeit zurückreicht, als Verwandte von ihm den folgenreichen Schritt aus dem Wasser an Land gewagt hatten. Ein Fisch zwischen Meeres- und Landbewohner mit Flossen, die an Stielen sitzen und sich im Kreuzgang bewegen.

Das macht die Faszination von Latimeria chalumnae aus und deswegen hat er es nach seiner Wiederentdeckung bis auf die Titelseite der New York Times geschafft: der Quastenflosser als ganz entfernter Urahn des Menschen.

Bevor er ihn zu seiner Leidenschaft erhoben hatte, hatte der Meeresbiologe Hans Fricke mal über Fische, mal über Stachelhäuter, Korallen, Quallen, Krebse und anderes Meeresgetier geschrieben. Er war ein Abenteurer, den eine wissenschaftliche Karriere und langwierige Veröffentlichungen nicht sonderlich interessierten. Stattdessen wollte er nur "forschen, filmen, berichten" und Licht in die tiefsten Tiefen der Meere bringen.

Er bekennt sich zu seinem Vorbild Jacques Piccard, der fast 11.000 Meter in den pazifischen Marianengraben hinabgetaucht war, tiefer als je vor und nach ihm ein Mensch. Das war 1960 und nicht 1964, wie Fricke schreibt. Dort hatte Piccard zu seiner eigenen Überraschung fast die gleichen Meeresbewohner entdeckt wie er sie aus dem sehr viel seichteren Mittelmeer kannte.

Nicht immer ganz stilsicher, nicht immer mit der klaren Unterscheidung zwischen wichtig und unwichtig beschreibt Fricke in Die Jagd nach dem Quastenflosser weniger die Hatz als den mühseligen Weg bis zu dem entscheidenden Moment, als das silberschuppige Tier das erste Mal in voller Lebensgröße – 160 cm - in 200 Metern unter dem Meeresspiegel durch den Lichtkegel des Tauchbootes Geo schwebte.

Eine trotzdem abwechslungsreiche, spannend und anschaulich geschriebene Schilderung, in der Fricke auch nicht auslässt, wie die etablierte Forschung ihn mit seinem Projekt finanziell allein gelassen hat, wie er seiner Familie mit seiner Leidenschaft weidlich auf die Nerven gegangen ist und wie er mit seiner Crew nach und nach die Lebensgewohnheiten dieses aus heutiger Sicht so sonderbaren, gelegentlich sogar Kopf stehenden Riesenfischs erforscht hat.


Rezensiert von Florian Hildebrand


Hans Fricke: Die Jagd nach dem Quastenflosser. Der Fisch, der aus der Urzeit kam
Beck-Verlag, München 2007, 320 Seiten, 19,90 Euro