Wenn Antibiotika nicht mehr helfen
Immer häufiger sind Krankheitskeime resistent gegen Antibiotika. Forscher wollen jetzt die längst vergessene Wirksamkeit von Bakteriophagen in Deutschland wieder nutzen. Das sind Viren, die Bakterien als Wirtszellen für ihre Vermehrung nutzen und dabei zerstören.
Alle zwei Monate ist Christine Rohde am Stadtrand von Braunschweig unterwegs. Mit einem Wasserschöpfer und kleinen Glasflaschen ausgestattet nähert sie sich einem kleinen Tümpel. Das Wasser ist trüb. Es riecht modrig. Genau der richtige Ort, um Bakteriophagen zu fischen, meint die Mikrobiologin.
"Am liebsten suchen wir in der Kläranlage, aber auch in Flüssen und in Teichen und auch da, wo es etwas brackig ist. Und da wird man oft genug fündig."
Denn wo viele Bakterien leben, gibt es auch Bakteriophagen in großer Zahl. Die Mikrobiologin tritt mit ihren blauen Gummistiefeln ans matschige Ufer. Vorsichtig schöpft sie eine Wasserprobe und verteilt sie in zehn kleine Glasflaschen.
Wie kleine Marsroboter
Seit zwei Jahren ist sie auf der intensiven Suche nach den Bakterienzerstörern. Denn die 200 Nanometer kleinen Viren sind als Antibiotika-Alternative gefragt. Im Labor an der Deutschen Sammlung für Mikroorganismen und Zellkulturen in Braunschweig macht Christine Rohde die winzigen Phagen unter dem Rasterelektronenmikroskop sichtbar. Wie kleine Marsroboter sehen sie aus. Um sich zu vermehren benötigen sie Bakterien als Wirtszellen.
"Ein Phage besteht grundsätzlich aus Kopf und Schwanz und Schwanztentakeln, mit der der Phage an der Bakterienoberfläche anhaften kann. Wenn der Rezeptor der Bakterienzelle passt, dann kann der Phage sein Erbmaterial durch den Schwanz in die Bakterienzelle schießen und damit ist der Anfang gemacht, dass die Bakterienzelle neue Phagen produziert und die Zelle stirbt dabei natürlich ab."
Weil Phagen auf diese Weise Bakterien zerstören, werden sie auch "Bakterienfresser" genannt, erzählt die Wissenschaftlerin während sie eine Wasserprobe filtriert. Anders als Antibiotika wirken Phagen aber spezifisch, je nach Art immer nur gegen eine Bakteriengruppe.
"Wir haben uns vorgenommen, möglichst schnell, möglichst viele Phagen gegen die wichtigsten Krankenhauskeime zu finden. Und das sieht auch ganz erfolgreich aus."
Manche können Gifte produzieren
Ungefähr einen Monat braucht die Mikrobiologin, um diese Phagen aus den Wasserproben zu isolieren, mit Bakterien zu füttern und ihre Wirkung gegen multiresistente Krankenhauskeime zu testen. Christine Rhode muss ausschließen, dass die Phagen unerwünschte Eigenschaften mit bringen. Manche können Gifte produzieren oder sich ins Erbgut von Bakterien einbauen. Die sind dann als Therapiephagen nicht geeignet.
"Wir müssen jedem Phagen in den Kopf schauen, nämlich in sein Genom. Konkret, wir müssen sein Genom sequenzieren, damit wir den Phagen ganz genau kennen."
Eine Sammlung von über 500 Phagen gibt es in Braunschweig bereits, die bedeutendste deutschlandweit. Hinter einer Panzertür lagern sie in winzigen Röhrchen bei minus 196 Grad in großen Stickstofftanks.
Christine Rohde öffnet einen Tankbehälter, um neue Phagen einzulagern. Bis zu zweihundert kommen jetzt jedes Jahr hinzu. Künftig möchte die Mikrobiologin ein ganzes Sortiment an Therapiephagen aufbauen. Daraus sollen dann Cocktails für die Behandlung von Infektionen entstehen.
"Uns fehlt der Zwischenschritt zwischen der Biologie, die wir hier betreiben und der Medizin, nämlich die Phagen hoch rein aufzuarbeiten. Das fehlt. Und die große Pharmaindustrie will da noch nicht so recht aufspringen."
Phagen aus Braunschweig
An der medizinischen Infektions- und Lungenklinik der Berliner Charité experimentiert deshalb der Oberarzt Martin Witzenrath mit Phagen. In seinem Forschungslabor lässt er Proben vom menschlichen Lungengewebe mit multiresistenten Lungenbakterien infizieren. Dann kommen die Phagen aus Braunschweig dazu. Mit bloßem Auge verfolgt er, wie auf dem Lungengewebe in den Probenschälchen farblose bakterienfreie Zonen entstehen.
"Wir sehen, dass diese Bakteriophagen extrem effizient Bakterien angreifen und umbringen. Wir sehen auch, dass keine relevante Entzündungsreaktion durch die Bakteriophagen ausgelöst wird."
Noch in diesem Jahr möchte Martin Witzenrath Phagen an Lungenpatienten testen. In Osteuropa, wo Antibiotika stets rar waren, verfügen Ärzte bis heute über große Erfahrungen mit Phagentherapien. Besonders in Georgien. In der Hauptstadt Tiflis lassen sich sogar EU-Bürger mit chronischen Erkrankungen am Elivia-Institut mit Phagen behandeln. Doch die eingesetzten Präparate sind hierzulande nicht zulassungsfähig – sagt der Mediziner. Es fehlt an klinischen Studien, die vor westlichen Gesundheitsbehörden Stand halten.
Er hat jetzt eine beantragt.
"Wir müssen befürchten, dass aufgrund der zunehmenden Resistenzlage wir bestimmte Therapien in Zukunft viel erfolgloser durchführen werden. Insofern brauchen wir neue Möglichkeiten, diese zunehmend resistenten Bakterien auch erfolgreich zu behandeln."
Bis Phagenpräparate auf den deutschen Markt kommen, wird es noch ein paar Jahre dauern, meint Martin Witzenrath. Und: es fehlt EU-weit ein rechtlicher Rahmen für diese Art von Infektionsbehandlung. Bis dahin wird er seine Arbeit mit Phagen im Forschungslabor fortsetzen.
"Wir müssen eben ganz klar zeigen, das wir keinen Patienten gefährden würden mit dieser Therapie."