Auf der Suche nach dem Dazwischen
Die Schriftstellerin Zsófia Bán ist in Brasilien und Ungarn aufgewachsen. Nach wissenschaftlichen Werken hat sie 2008 einen ersten Erzählungsband vorgelegt, der mit einem Literaturpreis in Ungarn ausgezeichnet wurde. Jetzt gibt es das Buch auch auf Deutsch: "Abendschule. Fibel für Erwachsene".
In Zsófia Báns Debüt "Abendschule. Fibel für Erwachsene", in Ungarn mit dem angesehenen Attila-József-Preis ausgezeichnet, wird weder für die Schule noch für das Leben gelernt. Aber beides führt die Ungarin wie Feuer und Wasser zusammen. Zsófia Bán hat ein Faible für Extremsituationen, die sie mit großer Intensität schildert. Es gebe keine Erklärung, behauptet der Hund Laika in einer Erzählung, Sinn aber durchaus.
Denn so oder so, meint das in einer sowjetischen Raketenkapsel dem sicheren Tod im Weltraum entgegensehende Tier, entstehe auf jeden Fall eine Geschichte, und "jede Geschichte ist auf irgendeine Weise interpretierbar, sogar auf mehrere Weisen." Zsófia Bán weiß auch keine Erklärung, aber Geschichten. Mit ihnen erobert sie wie Moos unwirtliches Terrain das, was nicht zu erklären ist: das todsicher Gewusste. "Worüber man nicht reden kann, nicht wahr", wendet sich eine von Báns Figuren gegen Wittgenstein, "darüber sollte man vielleicht versuchen zu reden".
Der Fächerkanon der "Abendschule" ist weit gespannt. Die ihnen zugeordneten Erzählungen gehen allerdings eigene Wege: Unter "Französisch" folgt die Reise von Gustave Flaubert und Maxime Du Camp nach Ägypten, auf der sich die Freunde ziemlich fremd werden; unter "Geographie - Biologie" wird von der "Versuchung des Henri Mouhot" erzählt, vom emotionalen Dickicht im Käfersammler und seiner Liebschaft mit einem Dschungelkönig; in "Zeichnen - Kunstgeschichte" schildert das Modell Victorine, wie sie den ihr verfallenen Maler Manet zwang, das berühmte Bild "Olympia" zu malen, um ihn zu quälen. Bekannte Bilder, Texte, Töne, Ereignisse dienen Zsófia Bán als Material für Collagen, Montagen, Zitate, Neumischungen, Perspektivverschiebungen.
Manche Geschichten haben keine erkennbare Vorlage, und bei aller Leichtigkeit und Absurdität taucht in einigen der Judenstern auf, erweisen sich heitere Erinnerungen an die über alles geliebte Frau am Ende als im Lager verfasst. Alles ist konkret, nah und präzis bei Zsóia Bán und zugleich organisiert von einem philosophischen Kopf, der nicht beschreiben oder widerlegen, der mitten hinein will in die Ausweglosigkeit, mit Witz, Spott, Ironie, Sarkasmus, Ernst und Trauer.
Viele Sprachen, Englisch, Französisch und Russisch, sind in diesem Buch, dessen ungewöhnliche Prosa beständig ein Dazwischen sucht: mit den erwähnten Mitteln der Moderne wie Zitaten und Montagen, mit dem Hin und Her zwischen Emotion und Reflexion, mit schulbuchartigen, sanft surrealen Fragen.
Vielleicht weil Reinheit und Ursprung, wonach die heutige ungarische Politik mit rabiaten Mitteln strebt, nicht an der Wiege von Zsófia Bán standen, die 1957 in Rio de Janeiro geboren wurde, in Brasilien und in Ungarn aufwuchs, in Filmstudios arbeitete, Ausstellungen kuratierte, Amerikanistik in Budapest lehrt und eine angesehene Kunst- und Literaturkritikerin ist.
Intensität und Intellektualität, Schmuck und Schmutz eignet ihrer Sprache in der deutschen Übersetzung von Terézia Mora. Es wird reflektierend für bare Münze genommen, metaphysisch auf den Putz gehauen und stoisch sich vom Acker gemacht. Ganz selten weiß der Erzähler nicht weiter: "Pflicht ist Pflicht", sagt er, "versprochen ist versprochen, Politik ist Politik, und was Liebe ist, fällt mir im Moment nicht ein". Das ist natürlich überhaupt kein Grund zu schweigen.
Besprochen von Jörg Plath
Zsófia Bán: Abendschule. Fibel für Erwachsene
Aus dem Ungarischen von Terézia Mora
Suhrkamp Verlag, Berlin 2012
240 Seiten, 22,95 Euro
Denn so oder so, meint das in einer sowjetischen Raketenkapsel dem sicheren Tod im Weltraum entgegensehende Tier, entstehe auf jeden Fall eine Geschichte, und "jede Geschichte ist auf irgendeine Weise interpretierbar, sogar auf mehrere Weisen." Zsófia Bán weiß auch keine Erklärung, aber Geschichten. Mit ihnen erobert sie wie Moos unwirtliches Terrain das, was nicht zu erklären ist: das todsicher Gewusste. "Worüber man nicht reden kann, nicht wahr", wendet sich eine von Báns Figuren gegen Wittgenstein, "darüber sollte man vielleicht versuchen zu reden".
Der Fächerkanon der "Abendschule" ist weit gespannt. Die ihnen zugeordneten Erzählungen gehen allerdings eigene Wege: Unter "Französisch" folgt die Reise von Gustave Flaubert und Maxime Du Camp nach Ägypten, auf der sich die Freunde ziemlich fremd werden; unter "Geographie - Biologie" wird von der "Versuchung des Henri Mouhot" erzählt, vom emotionalen Dickicht im Käfersammler und seiner Liebschaft mit einem Dschungelkönig; in "Zeichnen - Kunstgeschichte" schildert das Modell Victorine, wie sie den ihr verfallenen Maler Manet zwang, das berühmte Bild "Olympia" zu malen, um ihn zu quälen. Bekannte Bilder, Texte, Töne, Ereignisse dienen Zsófia Bán als Material für Collagen, Montagen, Zitate, Neumischungen, Perspektivverschiebungen.
Manche Geschichten haben keine erkennbare Vorlage, und bei aller Leichtigkeit und Absurdität taucht in einigen der Judenstern auf, erweisen sich heitere Erinnerungen an die über alles geliebte Frau am Ende als im Lager verfasst. Alles ist konkret, nah und präzis bei Zsóia Bán und zugleich organisiert von einem philosophischen Kopf, der nicht beschreiben oder widerlegen, der mitten hinein will in die Ausweglosigkeit, mit Witz, Spott, Ironie, Sarkasmus, Ernst und Trauer.
Viele Sprachen, Englisch, Französisch und Russisch, sind in diesem Buch, dessen ungewöhnliche Prosa beständig ein Dazwischen sucht: mit den erwähnten Mitteln der Moderne wie Zitaten und Montagen, mit dem Hin und Her zwischen Emotion und Reflexion, mit schulbuchartigen, sanft surrealen Fragen.
Vielleicht weil Reinheit und Ursprung, wonach die heutige ungarische Politik mit rabiaten Mitteln strebt, nicht an der Wiege von Zsófia Bán standen, die 1957 in Rio de Janeiro geboren wurde, in Brasilien und in Ungarn aufwuchs, in Filmstudios arbeitete, Ausstellungen kuratierte, Amerikanistik in Budapest lehrt und eine angesehene Kunst- und Literaturkritikerin ist.
Intensität und Intellektualität, Schmuck und Schmutz eignet ihrer Sprache in der deutschen Übersetzung von Terézia Mora. Es wird reflektierend für bare Münze genommen, metaphysisch auf den Putz gehauen und stoisch sich vom Acker gemacht. Ganz selten weiß der Erzähler nicht weiter: "Pflicht ist Pflicht", sagt er, "versprochen ist versprochen, Politik ist Politik, und was Liebe ist, fällt mir im Moment nicht ein". Das ist natürlich überhaupt kein Grund zu schweigen.
Besprochen von Jörg Plath
Zsófia Bán: Abendschule. Fibel für Erwachsene
Aus dem Ungarischen von Terézia Mora
Suhrkamp Verlag, Berlin 2012
240 Seiten, 22,95 Euro