Auf der Suche nach dem Unsichtbaren
In drei neu erschienenen Büchern dringen die Autoren zur Grenze zwischen den schwindelerregenden Dimensionen des Universums und der mikroskopischen Quantenwelt vor. Klug und informativ berichten sie über den aktuellen Stand bei der Suche nach der Weltformel.
"Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen", lautet der berühmte letzte Satz des "Tractatus logico-philosophicus" von Ludwig Wittgenstein. Denn für den österreichisch-britischen Philosophen stand fest: Nur diejenigen Elemente der Welt sind für uns erkenn- und verstehbar, die sich mit den Mitteln der Sprache erfassen lassen.
Wittgenstein schrieb sein Hauptwerk vor knapp 100 Jahren, zu einer Zeit, als sich die Wissenschaftler einer anderen Disziplin - der Physik - aufmachten, eine Welt zu erforschen, für die es keine direkte Anschauung gibt: das Reich der kleinsten Bausteine der Materie, der Quanten. Und was sie entdeckten, schien sich jeder sinnvollen Beschreibung zu entziehen. Zum Beispiel erwiesen sich Materiequanten im Experiment mal als unendlich ausgedehnte Welle, mal als deutlich lokalisierte Partikel. Das ist so, als wären die Oberfläche eines Ozeans und ein Sandkorn am Strand im Prinzip dasselbe. Mathematisch lässt sich diese Doppelnatur aus Welle und Teilchen sogar in Gleichungen gießen, aber kann man von Konzepten, die das Vorstellungsvermögen derart übersteigen, noch sinnvoll sprechen?
Mittlerweile hat sich die Quantenmechanik zu einer wissenschaftlich-technischen Basisdisziplin unserer Zivilisation entwickelt. Ohne quantenmechanisches Wissen gäbe es keine Computer, Flachbildfernseher, Laser oder Mobiltelefone. Und doch sind die Physiker mit ihr noch nicht zufrieden. Experimentell sind sie immer weiter in die Welt der sub- und subsubatomaren Partikel hinabgetaucht. Doch das Ende der Suche nach der fundamentalen Struktur der Materie ist noch nicht in Sicht.
In seinem Buch "Die perfekte Welle - Mit Neutrinos an die Grenzen von Raum und Zeit" spürt Heinrich Päs, Physikprofessor an der TU Dortmund, das dem Quantendilemma zugrunde liegende Problem bereits in der antiken Philosophie auf. So stritten Parmenides und Sokrates über die Frage, ob das Ganze des Universums in Wahrheit nicht ein Einzelnes - das Eine - sei. Sokrates hielt das für falsch, weil das Ganze niemals zugleich ein Einzelnes, also eine Art Teil sein könne. Parmenides hingegen sah darin keinen Widerspruch. Ihr Streit um das Ganze und das Eine wirkt aus heutiger Sicht ein wenig wie ein Geplänkel um Worte, und doch ist eine gewisse Nähe zum Welle-Teilchen-Dualismus der Quantenmechanik deutlich hörbar.
Päs gelingt es, seinen Ausflug in die Welt von String-Theorie, Higgs-Bosonen und Supergravitation mit Bezügen zur klassischen Philosophie ebenso wie zu Alltagsphänomenen zu versehen. Auch in seinem Buch steckt eine Art Alles-ist-eins-Gedanke: Die wundersame Welt der Physik ist allgegenwärtig - im Teilchenbeschleuniger des CERN, am bestirnten Nachthimmel über uns und beim Surfen am Strand von Hawaii.
Tatsächlich hat sich die Physik in eine Richtung entwickelt, in der die Grenzen zwischen den schwindelerregenden Dimensionen des Universums und der mikroskopischen Quantenwelt zunehmend verschwimmen. Und während Heinrich Päs die Sache gleichsam von unten, von der Welt der Quanten her aufrollt, nähert sich der britische Kosmologe John D. Barrow dem Problem aus der dunklen Ferne des riesigen Weltalls.
In "Das Buch der Universen" rekapituliert er, wie sehr sich unsere Vorstellung vom Aufbau des Universums in den vergangenen drei Jahrtausenden gewandelt hat. War für die Griechen der Kosmos noch ewig unveränderlich, wissen wir heute, dass er das Ergebnis einer gigantischen Explosion ist. Inzwischen ist unter Kosmologen nicht einmal mehr die Einzigartigkeit des Universums sakrosankt. Barrow schreibt:
"Ein Grund für diese Liberalisierung ist die Art und Weise in der viele Naturkonstanten in den quantenmechanischen String-Theorien auftauchen. Die unzähligen Vakuumzustände, die nach diesen Theorien möglich sind, unterstreichen, dass es auch unzählige Sätze von Naturkonstanten gibt, die konsistente Universen produzieren."
Und das heißt, die Quantenmechanik gestattet nicht nur die Existenz eines einzelnen Universums, sondern einer Vielzahl von Universen, die parallel nebeneinander existieren. Dies würde auch das alte Problem lösen, warum unser Universum eigentlich die Freundlichkeit gehabt hat, uns hervorzubringen: Nicht weil Gott es so wollte, sondern ganz einfach weil es in der schieren Menge an Universen rein statistisch auch ein paar Leben spendende geben sollte.
Das Problem an dieser zweifellos attraktiven Theorie ist aber, dass wir sie wohl nie werden verifizieren können. In Bezug auf mögliche andere Universen sind wir wie Fische in einem Teich: Wir können nur den erkunden, in dem wir leben. Ob es noch andere fischfreundliche Teiche gibt, wird wohl immer Gegenstand von unbeweisbaren Spekulationen bleiben.
Aber auch die können ja sehr unterhaltsam und informativ sein, wie der Direktor des Max-Planck-Institus für Physik in München, Dieter Lüst, in seinem Buch "Quantenfische - Die Stringtheorie und die Suche nach der Weltformel" zeigt. Darin schreibt er über die Physikerfische in ihrem Universumsteich:
"An dieser Stelle ihrer Überlegungen hatten die Fische folgendes Problem: Gibt es in der Natur wirklich andere Wasserteiche, oder sind die Lösungen ihrer Gleichungen nur künstliche mathematische Gebilde, die keine Entsprechung in der Realität haben?"
Tatsächlich gibt es immer noch immense Wissenslücken. Zum Beispiel wissen wir, dass der größte Teil der Materie im Universum unsichtbar ist. Die Kosmologen haben dafür den Begriff Dunkle Materie geprägt, ohne so recht zu wissen, worum es sich dabei handeln könnte. Aus stringtheoretischen Überlegungen lassen sich schwere Partnerteilchen der bekannten Materiebausteine postulieren. Und am europäischen Kernforschungszentrum CERN in Genf sucht man nach sogenannten WIMPs, Weakly Interacting Massive Particles. Auch sie würden recht gut ins theoretische Konzept der Physiker passen, aber nachgewiesen hat sie bisher noch niemand.
Bei der Lektüre der drei Bücher, die in ihren Ansätzen durchaus unterschiedlich, aber alle gleichermaßen lesenswert sind, stellt sich ein eigenartiges Gefühl ein: Man gewinnt den Eindruck, dass die physikalische und kosmologische Forschung entweder kurz vor einem großen Durchbruch in ein aufregendes theoretisches Neuland steht, oder dass sie dazu verurteilt ist, auf ewig Spekulationen über Dinge anzustellen, deren Natur wir niemals ergründen werden.
Käme vom CERN die Nachricht vom Nachweis neuer Teilchen - beispielsweise des dringend gesuchten Higgs-Bosons -, würde dies mit Euphorie und Erleichterung zur Kenntnis genommen. Bleibt die Teilchensuche dort aber erfolglos, würde sich wohl Ernüchterung breitmachen. Ein Ende der rund zweieinhalb Jahrtausende währenden Suche nach dem Ganzen und Einen würde dann in weite Ferne rücken.
Ein bisschen ist es, als schwebte das Damoklesschwert des Wittgensteinschen Diktums über den Physikern: "Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen." Aber noch ist es nicht so weit. Noch schweigen sie nicht, sondern schreiben Bücher. Klug, informativ und mit viel wissenschaftlichem Enthusiasmus.
Heinrich Päs: Die perfekte Welle. Mit Neutrinos an die Grenzen von Raum und Zeit
Piper Verlag
John D. Barrow: Das Buch der Universen
Campus Verlag
Dieter Lüst: Quantenfische. Die Stringtheorie und die Suche nach der Weltformel
C.H. Beck Verlag
Wittgenstein schrieb sein Hauptwerk vor knapp 100 Jahren, zu einer Zeit, als sich die Wissenschaftler einer anderen Disziplin - der Physik - aufmachten, eine Welt zu erforschen, für die es keine direkte Anschauung gibt: das Reich der kleinsten Bausteine der Materie, der Quanten. Und was sie entdeckten, schien sich jeder sinnvollen Beschreibung zu entziehen. Zum Beispiel erwiesen sich Materiequanten im Experiment mal als unendlich ausgedehnte Welle, mal als deutlich lokalisierte Partikel. Das ist so, als wären die Oberfläche eines Ozeans und ein Sandkorn am Strand im Prinzip dasselbe. Mathematisch lässt sich diese Doppelnatur aus Welle und Teilchen sogar in Gleichungen gießen, aber kann man von Konzepten, die das Vorstellungsvermögen derart übersteigen, noch sinnvoll sprechen?
Mittlerweile hat sich die Quantenmechanik zu einer wissenschaftlich-technischen Basisdisziplin unserer Zivilisation entwickelt. Ohne quantenmechanisches Wissen gäbe es keine Computer, Flachbildfernseher, Laser oder Mobiltelefone. Und doch sind die Physiker mit ihr noch nicht zufrieden. Experimentell sind sie immer weiter in die Welt der sub- und subsubatomaren Partikel hinabgetaucht. Doch das Ende der Suche nach der fundamentalen Struktur der Materie ist noch nicht in Sicht.
In seinem Buch "Die perfekte Welle - Mit Neutrinos an die Grenzen von Raum und Zeit" spürt Heinrich Päs, Physikprofessor an der TU Dortmund, das dem Quantendilemma zugrunde liegende Problem bereits in der antiken Philosophie auf. So stritten Parmenides und Sokrates über die Frage, ob das Ganze des Universums in Wahrheit nicht ein Einzelnes - das Eine - sei. Sokrates hielt das für falsch, weil das Ganze niemals zugleich ein Einzelnes, also eine Art Teil sein könne. Parmenides hingegen sah darin keinen Widerspruch. Ihr Streit um das Ganze und das Eine wirkt aus heutiger Sicht ein wenig wie ein Geplänkel um Worte, und doch ist eine gewisse Nähe zum Welle-Teilchen-Dualismus der Quantenmechanik deutlich hörbar.
Päs gelingt es, seinen Ausflug in die Welt von String-Theorie, Higgs-Bosonen und Supergravitation mit Bezügen zur klassischen Philosophie ebenso wie zu Alltagsphänomenen zu versehen. Auch in seinem Buch steckt eine Art Alles-ist-eins-Gedanke: Die wundersame Welt der Physik ist allgegenwärtig - im Teilchenbeschleuniger des CERN, am bestirnten Nachthimmel über uns und beim Surfen am Strand von Hawaii.
Tatsächlich hat sich die Physik in eine Richtung entwickelt, in der die Grenzen zwischen den schwindelerregenden Dimensionen des Universums und der mikroskopischen Quantenwelt zunehmend verschwimmen. Und während Heinrich Päs die Sache gleichsam von unten, von der Welt der Quanten her aufrollt, nähert sich der britische Kosmologe John D. Barrow dem Problem aus der dunklen Ferne des riesigen Weltalls.
In "Das Buch der Universen" rekapituliert er, wie sehr sich unsere Vorstellung vom Aufbau des Universums in den vergangenen drei Jahrtausenden gewandelt hat. War für die Griechen der Kosmos noch ewig unveränderlich, wissen wir heute, dass er das Ergebnis einer gigantischen Explosion ist. Inzwischen ist unter Kosmologen nicht einmal mehr die Einzigartigkeit des Universums sakrosankt. Barrow schreibt:
"Ein Grund für diese Liberalisierung ist die Art und Weise in der viele Naturkonstanten in den quantenmechanischen String-Theorien auftauchen. Die unzähligen Vakuumzustände, die nach diesen Theorien möglich sind, unterstreichen, dass es auch unzählige Sätze von Naturkonstanten gibt, die konsistente Universen produzieren."
Und das heißt, die Quantenmechanik gestattet nicht nur die Existenz eines einzelnen Universums, sondern einer Vielzahl von Universen, die parallel nebeneinander existieren. Dies würde auch das alte Problem lösen, warum unser Universum eigentlich die Freundlichkeit gehabt hat, uns hervorzubringen: Nicht weil Gott es so wollte, sondern ganz einfach weil es in der schieren Menge an Universen rein statistisch auch ein paar Leben spendende geben sollte.
Das Problem an dieser zweifellos attraktiven Theorie ist aber, dass wir sie wohl nie werden verifizieren können. In Bezug auf mögliche andere Universen sind wir wie Fische in einem Teich: Wir können nur den erkunden, in dem wir leben. Ob es noch andere fischfreundliche Teiche gibt, wird wohl immer Gegenstand von unbeweisbaren Spekulationen bleiben.
Aber auch die können ja sehr unterhaltsam und informativ sein, wie der Direktor des Max-Planck-Institus für Physik in München, Dieter Lüst, in seinem Buch "Quantenfische - Die Stringtheorie und die Suche nach der Weltformel" zeigt. Darin schreibt er über die Physikerfische in ihrem Universumsteich:
"An dieser Stelle ihrer Überlegungen hatten die Fische folgendes Problem: Gibt es in der Natur wirklich andere Wasserteiche, oder sind die Lösungen ihrer Gleichungen nur künstliche mathematische Gebilde, die keine Entsprechung in der Realität haben?"
Tatsächlich gibt es immer noch immense Wissenslücken. Zum Beispiel wissen wir, dass der größte Teil der Materie im Universum unsichtbar ist. Die Kosmologen haben dafür den Begriff Dunkle Materie geprägt, ohne so recht zu wissen, worum es sich dabei handeln könnte. Aus stringtheoretischen Überlegungen lassen sich schwere Partnerteilchen der bekannten Materiebausteine postulieren. Und am europäischen Kernforschungszentrum CERN in Genf sucht man nach sogenannten WIMPs, Weakly Interacting Massive Particles. Auch sie würden recht gut ins theoretische Konzept der Physiker passen, aber nachgewiesen hat sie bisher noch niemand.
Bei der Lektüre der drei Bücher, die in ihren Ansätzen durchaus unterschiedlich, aber alle gleichermaßen lesenswert sind, stellt sich ein eigenartiges Gefühl ein: Man gewinnt den Eindruck, dass die physikalische und kosmologische Forschung entweder kurz vor einem großen Durchbruch in ein aufregendes theoretisches Neuland steht, oder dass sie dazu verurteilt ist, auf ewig Spekulationen über Dinge anzustellen, deren Natur wir niemals ergründen werden.
Käme vom CERN die Nachricht vom Nachweis neuer Teilchen - beispielsweise des dringend gesuchten Higgs-Bosons -, würde dies mit Euphorie und Erleichterung zur Kenntnis genommen. Bleibt die Teilchensuche dort aber erfolglos, würde sich wohl Ernüchterung breitmachen. Ein Ende der rund zweieinhalb Jahrtausende währenden Suche nach dem Ganzen und Einen würde dann in weite Ferne rücken.
Ein bisschen ist es, als schwebte das Damoklesschwert des Wittgensteinschen Diktums über den Physikern: "Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen." Aber noch ist es nicht so weit. Noch schweigen sie nicht, sondern schreiben Bücher. Klug, informativ und mit viel wissenschaftlichem Enthusiasmus.
Heinrich Päs: Die perfekte Welle. Mit Neutrinos an die Grenzen von Raum und Zeit
Piper Verlag
John D. Barrow: Das Buch der Universen
Campus Verlag
Dieter Lüst: Quantenfische. Die Stringtheorie und die Suche nach der Weltformel
C.H. Beck Verlag