Auf der Suche nach der Moderne
Kaum eine amerikanische Stadt teilt die Menschen so in Fans und Hasser wie Los Angeles. Der Autor Kevin Vennemann hat jetzt einen Essay über diese Stadt geschrieben, der von Kritikern schon als "großer Wurf" gelobt wird, "Sunset Boulevard": ein Buch über die amerikanische Moderne.
Der Autor kennt sich aus - in Los Angeles, in der Stadt-, der Architektur- , der Kinogeschichte, und es gelingt ihm diese Kenntnisse virtuos zu verbinden - in einem ungewöhnlichen Essay, der sich der amerikanischen Moderne widmet.
Am Anfang stehen Kinobilder: Billy Wilders "Sunset Boulevard" aus dem Jahr 1950. Die Geschichte vom Untergang einer Stummfilm-Diva wird hier von einem Toten erzählt. Der schwimmt als Leiche im Swimmingpool und war ein erfolgloser Drehbuchautor. Willkommen in Hollywood, willkommen in Los Angeles. Hierher reist man immer nur, nie kommt jemand wirklich an. Nicht im Kino, nicht im Leben. Es ist der Traum, nach Westen zu ziehen.
Eine amerikanische Autorin, eine Freundin des Autors - die in diesem Buch als eingeborene ältere Partnerin eine wichtige Rolle spielt - schreibt, dass eigentlich "an der Ostküste alle vom Wüstenparadies träumen". Mit Ausnahme einer Romanheldin von Joan Didion, wie sie hinzufügt - und natürlich - denkt man bei der Lektüre - von Woody Allen, der, wenn er schon nicht in New York ist, lieber in Europa Filme macht als in Los Angeles, wohin es einst Diane Keaton verschlug, in "Anni Hall".
Ihr Wiedersehen mit dem ehemaligen Geliebten im Café an einer Ecke in Manhattan gehört zu den traurigsten Liebesszenen im Kino: Die Beiden sind freundlich miteinander, dabei hatten sie doch neunzig Kinominuten lang gegen die Unmöglichkeit einer Liebe gekämpft. Woody Allan kommt gar nicht vor in diesem Buch über das "südkalifornische Ersatzparadies", aber Abschweifungen bei und nach der Lektüre sind nicht nur erlaubt, der Autor lädt mit seiner Erzähldramaturgie dazu ein.
Er erinnert an Filme und zitiert aus ihnen - etwa aus Clint Eastwoods "Changeling" - ... jeden Tag versinkt diese Stadt tiefer in einer Jauchegrube aus Angst, Einschüchterungsversuchen und Korruption", offenbart seine Liebe zu "Johnny Guitar" von Nicolas Ray und überhaupt seine Kenntnis des Film Noir, er springt von der Gegenwart in die Vergangenheit, verbindet mühelos die "Antigone" des Sophokles mit der fragwürdigen Macht der Bilder und der amerikanischen Architekturgeschichte.
Die Beschreibung eines geplatzten Interviews mit dem Fotografen Julius Shulman, einem der letzten Zeitzeugen der Moderne, ist ein glänzendes Beispiel für die assoziative, auf enormer Recherche und Sachkenntnis beruhende Schreibweise des Autors. Er denkt sich lauter kritischen Fragen aus, umreißt die Biografie der Fotografen-Legende und schildert die Gebäude, die den architektonischen Ruf von Los Angeles begründeten - mitsamt der seiner Besitzer und Erbauer -, und wird am Ende abgewiesen.
Dass es am Ende um New York geht, um den großen Fotografen Weegee und seine Bilder des Verbrechens in den 1940er- und 50er-Jahren zu sehen, hat sicher auch damit zu tun, dass der 1977 in Westfalen geborene Autor, inzwischen dort lebt.
Besprochen von Manuela Reichart
Kevin Vennemann: Sunset Boulevard. Vom Filmen, Bauen und Sterben in Los Angeles
Suhrkamp, Berlin 2012
200 Seiten, 14,00 Euro
Am Anfang stehen Kinobilder: Billy Wilders "Sunset Boulevard" aus dem Jahr 1950. Die Geschichte vom Untergang einer Stummfilm-Diva wird hier von einem Toten erzählt. Der schwimmt als Leiche im Swimmingpool und war ein erfolgloser Drehbuchautor. Willkommen in Hollywood, willkommen in Los Angeles. Hierher reist man immer nur, nie kommt jemand wirklich an. Nicht im Kino, nicht im Leben. Es ist der Traum, nach Westen zu ziehen.
Eine amerikanische Autorin, eine Freundin des Autors - die in diesem Buch als eingeborene ältere Partnerin eine wichtige Rolle spielt - schreibt, dass eigentlich "an der Ostküste alle vom Wüstenparadies träumen". Mit Ausnahme einer Romanheldin von Joan Didion, wie sie hinzufügt - und natürlich - denkt man bei der Lektüre - von Woody Allen, der, wenn er schon nicht in New York ist, lieber in Europa Filme macht als in Los Angeles, wohin es einst Diane Keaton verschlug, in "Anni Hall".
Ihr Wiedersehen mit dem ehemaligen Geliebten im Café an einer Ecke in Manhattan gehört zu den traurigsten Liebesszenen im Kino: Die Beiden sind freundlich miteinander, dabei hatten sie doch neunzig Kinominuten lang gegen die Unmöglichkeit einer Liebe gekämpft. Woody Allan kommt gar nicht vor in diesem Buch über das "südkalifornische Ersatzparadies", aber Abschweifungen bei und nach der Lektüre sind nicht nur erlaubt, der Autor lädt mit seiner Erzähldramaturgie dazu ein.
Er erinnert an Filme und zitiert aus ihnen - etwa aus Clint Eastwoods "Changeling" - ... jeden Tag versinkt diese Stadt tiefer in einer Jauchegrube aus Angst, Einschüchterungsversuchen und Korruption", offenbart seine Liebe zu "Johnny Guitar" von Nicolas Ray und überhaupt seine Kenntnis des Film Noir, er springt von der Gegenwart in die Vergangenheit, verbindet mühelos die "Antigone" des Sophokles mit der fragwürdigen Macht der Bilder und der amerikanischen Architekturgeschichte.
Die Beschreibung eines geplatzten Interviews mit dem Fotografen Julius Shulman, einem der letzten Zeitzeugen der Moderne, ist ein glänzendes Beispiel für die assoziative, auf enormer Recherche und Sachkenntnis beruhende Schreibweise des Autors. Er denkt sich lauter kritischen Fragen aus, umreißt die Biografie der Fotografen-Legende und schildert die Gebäude, die den architektonischen Ruf von Los Angeles begründeten - mitsamt der seiner Besitzer und Erbauer -, und wird am Ende abgewiesen.
Dass es am Ende um New York geht, um den großen Fotografen Weegee und seine Bilder des Verbrechens in den 1940er- und 50er-Jahren zu sehen, hat sicher auch damit zu tun, dass der 1977 in Westfalen geborene Autor, inzwischen dort lebt.
Besprochen von Manuela Reichart
Kevin Vennemann: Sunset Boulevard. Vom Filmen, Bauen und Sterben in Los Angeles
Suhrkamp, Berlin 2012
200 Seiten, 14,00 Euro