Auf der Suche nach der Tragik der Stars

Von Axel Schröder |
In seiner Reihe "Prominente privat" zeigt der Hamburger Theaterregisseur Mariah Carey als Mann, der seine Lieblingsfanpost liest. Sein Stück wird im Rahmen des Berliner 100 Grad Festivals der freien Theater gezeigt. Als nächstes will sich Frank Abt mit Franziska van Almsick beschäftigen.
Frank Abt: " Ich muss gestehen, dass ich Mariah schon lange faszinierend finde. Nicht als Fan jetzt, sondern, dass mich damals diese Nachricht schwer… getroffen hat ist jetzt zu viel gesagt, aber als es darum ging, dass sie einen Nervenzusammenbruch hatte. "

Frank Abt ist groß und schlaksig, hat dunkle, kinnlange, krause Haare. Der 30-Jährige trägt schwarze Jeans zum roten, verwaschenen Sweatshirt, dazu eine ovale Nickelbrille. Mariah Carey-Fans sehen anders aus. Und trotzdem kennt der Hamburger Theater-Regisseur die Pop-Diva besser als viele Fans. Er hat die Online-Archive nach ihren Songs, Zitaten und Auftritten durchforstet, hat sich vertieft in ihre Biografie. Immer auf der Suche. Nach neuem Stoff, nach Tragik.

Frank Abt: " Man sieht dann immer diese Videos, diese peinlichen. Mit ihren großen Brüsten, möglichst weit zu sehen. Und so weiter. Also sie ist einfach eine Figur, die wirklich kaum Möglichkeiten auslässt, sich lächerlich zu machen. Je mehr man sich mit ihr beschäftigt, doch eben diese große Tragik dahinter spürbar. Und die hat uns interessiert! Das Aha-Erlebnis war eigentlich festzustellen, dass diese Texte, die sie schreibt – wenn man mehr mit ihrer Autobiografie zu tun hat – dann plötzlich feststellt, dass diese Texte ernst gemeint sind.(lacht) Breite deine Flügel aus, du bist ein Schmetterling. (lacht) "

Frank Abt strahlt Ruhe aus. Wenn er lacht, entstehen kleine Falten auf seinem schmalen Gesicht, um Augen und Mund. Er lehnt im dunklen Holzstuhl, in seiner Wohnung auf St. Pauli. Macht Denkpausen vor jeder Antwort. Das Arbeitszimmer voll mit Büchern, dem Wäscheständer, lose Blätter, zusammengetackerte Manuskripte stapeln sich auf dem Schreibtisch.

Geboren ist Frank Abt ganz im Süden der Republik, im kleinen, verschlafenen Äpfingen, am Rand der Schwäbischen Alb. Der Vater ist Berufssoldat, die Mutter Organistin in der evangelischen Gemeinde und Hausfrau. Auch Frank übt an der Orgel, mittendrin im katholischen Süden. Jeder kennt jeden in dem 1000-Seelen-Dorf, die Gehsteige sind gefegt, was sollen die Nachbarn denken? Schon früh ist klar: Hier will er nicht bleiben. Er macht es seinen beiden großen Schwestern nach, zieht weg, raus aus der Enge. Nach Hannover, zum Zivildienst im Altersheim. Danach will er Filme drehen. Doch es kommt anders.

Frank Abt:" Ich wollte immer Film machen eigentlich, bis ich dann in Hannover Zivildienst gemacht hab und da ins Theater ging, und das hat mich total inspiriert, beeindruckt, alles zusammen. Fand ich unfassbar, dass Theater so was kann oder so was möglich macht."

Frank Abt beginnt sein Studium in Berlin, nicht Film-, sondern Theaterwissenschaft. Er schreibt Bewerbungen für Praktika, landet am Wiener Burgtheater, in Bochum am Schauspielhaus, am Hamburger Thalia-Theater. Erst als Praktikant, dann als Assistent. Nebenbei entwickelt Frank Abt seine eigenen Stücke. Wie die Theaterreihe "Prominente privat", in der er auch Mariah Carey auftreten lässt. Frank Abt befreit sie vom Mediengetöse, vom grellen Scheinwerferlicht. Stattdessen zeigt er eine ruhige Mariah Carey, wie in Zeitlupe.

" Also rein ästhetisch zeichnen meine Arbeiten wohl aus: eine große Langsamkeit, eine große Ruhe, ein großer Mut auch zur Pause, zu wenig Aktion, sehr reduziert auch im Spiel. Dieses ganz wenige Spiel: was im Film ja sehr gut funktioniert. Das ist auch was, was ich extrem auf der Bühne anstrebe."

Das Ergebnis: Mariah privat, ganz unverstellt. Frank Abt reißt die Stars aus ihrem Kontext, um klarer zu sehen, macht aus Frau Carey einen Mann. Der singt auf der Bettkante, liest seine Lieblings-Fanpost vor. Verträumt. Melancholisch. Entzückt von sich selbst.


Ausschnitt Mariah-Abend: "Liebe Mariah, ich mag deine Musik sehr. Wir werden nie dieses wunderschöne Wochenende mit Mariah vergessen, es war einfach das schönste Erlebnis unseres Lebens. Mariah, we love you forever and for always."

Frank Abt sucht die Tragik im Star. Den Druck von außen will er sichtbar machen: den Druck der Konsumenten, der Medien und Fans: das System, mit dem sie kämpft. Der Regisseur ist überzeugt, ...

" ... dass dieser Druck eine Form von Zuspitzung ist für unser aller Druck. Man muss immer neue Ideen haben, man muss sie unterkriegen. Dass ist bei jedem so, egal, wo man hinschaut!"

Auch bei Frank Abt: sein erstes Kind ist da, ein Sohn, und gerade mal drei Wochen alt. Also ändert er seine Zeitpläne, räumt zusammen mit der Freundin die große Wohnung um – und bereitet nebenbei schon das nächste Projekt vor: am Berliner Maxim Gorki Theater wird er "Die fetten Jahre sind vorbei" inszenieren. Und auch nach tragischen Stars hält er weiter Ausschau: Nach Mariah Carey nimmt er sich die nächste Prominente vor: Franziska van Almsick.

" Franzi passt in das Schema rein, ja weil, letztlich hat sie diese Goldmedaille, die sie immer wollte, dieses olympische Gold, nie gewonnen. Sie nennt sich ja auch: die Unvollendete. "

… die mit dem System, den Medien kollidierte. Und Frank Abt sucht weiter, nach dem Druck von außen und nach den Brüchen im System.

Service:

Frank Abts Inszenierung "Glückwunsch, Mariah" wird im Rahmen des Berliner 100 Grad Festivals am Freitag, 2. Februar, um 21 Uhr im Berliner HAU 3 gezeigt. Das 100 Grad Festival findet vom 1. bis 4. Februar 2007 in den Sophiensaelen und im HAU statt.